Umkämpft, geräumt – leerstehend?
In vielen ehemaligen linken Szenetreffs gibt es bis heute keine reguläre Nachnutzung
Umkämpft, geräumt – leerstehend?
Tausende Polizeibeamte, hunderte Festnahmen und ein entstandener Sachschaden in Millionen-Höhe: Die in den vergangenen Jahren durchgeführten Räumungen vieler linker Szeneobjekte kamen das Land teuer zu stehen. Darüber schwebte seitdem die Frage: Wofür das Ganze? In drei der vier Fälle lautet die Antwort derzeit: für den Leerstand. Eine Übersicht.
MEUTEREI
Am Ende ging alles schnell: Nachdem die Kreuzberger Kneipe Meuterei zwölf Jahre lang existiert und zuletzt nach Aussagen des verantwortlichen Kollektivs verlässlich für Umsatz gesorgt hatte, dauerte die Räumung am 25. März 2021 nur rund eine Stunde. Zwar hatten sich hunderte Menschen rings um das zu diesem Zeitpunkt längst verriegelte Haus in der Reichenberger Straße versammelt und protestiert. Die von der Szene als Angriff auf autonome Strukturen betrachtete Räumung konnten sie aber nicht verhindern.
Seitdem ist es ruhig um die Meuterei. Noch heute erinnern zahlreiche an die Fenster geklebte Plakate mit dem Aufruf zum Protest gegen die Räumung an den letzten Kampf der Kneipe. Die Meuterei steht seit mehr als 18 Monaten leer. Ob sich daran künftig etwas ändert, wissen nicht mal diejenigen, die sich damals für den Erhalt der Meuterei eingesetzt haben. Mal heißt es, der zum damaligen Zeitpunkt offiziell in Zossen ansässige Besitzer des Raumes habe diesen verkauft, der neue Eigentümer sei unbekannt. Dann ist die Rede davon, das gerüchteweise zerstrittene Kollektiv sei auf der Suche nach Ersatzräumen im Kiez – bislang erfolglos. Ob und, wenn ja, wie es in den Räumen der ehemaligen Meuterei weitergeht, ist derzeit vollkommen unklar.
KÖPI-WAGENPLATZ
Rund 2000 Polizeibeamte aus Berlin und weiteren Bundesländern waren am 16. Oktober 2021 im Einsatz, als unter großem Widerstand der „Köpi“-Wagenplatz in der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte nach 30 Jahren geräumt wurde. Eigentümer des Grundstücks ist die Sanus AG, deren Vorstand der umstrittene Investor Siegfried Nehls ist. Auf dem Gelände ist seit der Räumung augenscheinlich nicht viel passiert. Noch immer schirmen Stahlplatten das Grundstück zur Straße ab. Nur auf einer Seite ist freie Sicht auf das Gelände durch einen Bauzaun möglich, hinter dem Sicherheitskräfte das Grundstück bewachen. Eine flache Baugrube ist von dort zu erkennen.
Nun soll es bald vorangehen: Ein Vorstandsmitglied der Sanus AG sagte dem Tagesspiegel, dass man auf dem Gelände ein Mehrfamilienhaus mit 65 Wohnungen und zwei Gewerbeflächen plane. In drei Wochen wolle man mit der Umfassung der Baugrube beginnen. Noch vor rund einer Woche hatte die „taz“ über Verkaufsabsichten des Eigentümers berichtet.
Ein Mitarbeiter der Sanus AG hatte diese im Gespräch mit der Zeitung geäußert. Ein Vorstandsmitglied der AG sagte dem Tagesspiegel nun, dass die Information falsch gewesen sei – es gebe keine Verkaufsabsichten. Auch sei die Baugenehmigung für das Grundstück nicht erloschen. Mit Dekontaminierungsarbeiten sei im November 2021 begonnen worden, von März/April bis Ende Mai 2022 habe man eine Baugrube ausgehoben. Derzeit warte man auf ein wasserrechtliches Baugutachten.
Das Vorstandmitglied sagte zudem, dass man rechtliche Schritte gegen Mittes Stadtentwicklungsstadtrat Ephraim Gothe (SPD) eingeleitet habe. Dieser hatte der „taz“ gesagt, man wisse schon länger von der Verkaufsabsicht des Eigentümers. Auch sehe die Bauaufsicht die Genehmigung wegen „des nicht erfolgten realen Baubeginns“ als erloschen an. Nach Ansicht der Sanus AG liegt allerdings eine gültige Baugenehmigung vor, weil vor dem Auslaufen der Genehmigung mit Bauarbeiten begonnen wurde.
Nach Tagesspiegel-Informationen ist unklar, ob die Genehmigung gültig ist. Dies hängt vom tatsächlichen Baubeginn ab und von der juristischen Klärung, ob vor dem eigentlichen Auslaufen der Genehmigung Ende November 2021 mit Bauarbeiten begonnen wurde oder erst danach.
Der Sanus AG gehört ebenfalls das benachbarte Grundstück und Haus auf der Köpenicker Straße 137-138, wo sich weiterhin das linke Kulturzentrum „Köpi“ befindet. Die dortigen Mieter haben noch Verträge bis 2037.
Nach übereinstimmenden Angaben sowohl der Sanus AG als auch des Bezirksamts hat das Unternehmen für das Haus einen Bauvorantrag gestellt. Damit wird festgestellt, ob Bauvorhaben auf dem Grundstück – wie etwa die Errichtung eines Vorderhauses – überhaupt rechtlich möglich sind.
LIEBIG 34
Dass etwas nicht stimmt mit dem vor etwas mehr als zwei Jahren geräumten Gebäude in der Friedrichshainer Liebigstraße, wird schon beim Öffnen der neu eingesetzten feuerroten Haustür klar. Den Gestank von Hausmüll in der Nase, fällt der Blick auf einen mit Unrat und Schuttbergen übersäten Innenhof. Offen im Treppenhaus verlegte Wasserleitungen enden freischwebend im Erdgeschoss. Einen warmen Tropfen Wasser haben die Rohre wohl noch nie gesehen – die Heizungen im Haus bleiben kalt.
Das Tragische: Das Gebäude ist voll bewohnt. Etwa 70 Menschen, die allermeisten von ihnen mit russischer Staatsangehörigkeit, leben oder besser hausen in Wohnungen, über die ein langjähriger Beobachter aus dem Bezirksamt sagt: „Das ist der übelste Wohnraum, den man in Berlin mieten kann.“ Ein anderer Kenner der Immobilie sagt: „Das Haus ist in absolut desolatem Zustand, unbewohnbar eigentlich.“
Verantwortlich dafür, dass das Haus erstens verfällt und zweitens die Mieter abgezockt werden – verlangt wird der Höchstsatz des vom Jobcenter möglichen und gerüchteweise eine zusätzliche Gebühr in bar – ist der Eigentümer Gijora Padovicz. Weil er allein in Friedrichshain rund 50 Häuser besitzt und sich häufig weder um die darin wohnenden Mieter noch um die Rechnungen von Handwerksunternehmen schert, gilt er der Mieterbewegung und erst recht der linken Szene als rotes Tuch. Dass die Bau- und Wohnungsaufsicht des Bezirks das Haus aktuell im Blick hat, scheint den Unternehmer nicht groß zu beunruhigen. Aktuell ist das Gebäude verpachtet an eine Firma mit mindestens ebenso zweifelhaftem Ruf. Und so bleibt die Liebig zwei Jahre nach ihrer Räumung eine Art Abzockruine, bewohnt von Menschen ohne Alternative oder gar Lobby.
KNEIPENKOLLEKTIV SYNDIKAT
Nach über 30 Jahren war der Kiezkneipe „Syndikat“ im Neuköllner Schillerkiez im Sommer 2018 unerwartet der Mietvertrag nicht verlängert worden. Das Kneipenkollektiv verweigerte die Schlüsselübergabe an den Eigentümer – eine Holding der britischen Milliardärsfamilie Pears, denen mit ihrem Firmengeflecht tausende Wohnungen in ganz Berlin gehören dürften.
Vor über zwei Jahren, im August 2020, wurde das „Syndikat“ geräumt. Passiert ist seitdem nichts. Jedenfalls nichts, was sichtbar wäre. Kurz nach der Räumung wurden Fenster und Tür verbarrikadiert. Die restlichen Wohnungen im Haus sind weiter vermietet. Einem Antrag zur Umwandlung in Eigentumswohnungen lehnte der Bezirk zunächst ab, nach einem erfolgreichen juristischen Widerspruch musste er sie aber genehmigen.
Umgesetzt worden ist die Umwandlung aber noch nicht, berichtet eine Bewohnerin des Hauses. Das Unternehmen Pears Global ließ eine Anfrage des Tagesspiegels zu den Nutzungsabsichten des Gebäudes und der Kneipenräumlichkeit unbeantwortet. Ein Mitglied des immer noch bestehenden „Syndikat“-Kollektivs sagte dem Tagesspiegel: „Das ist genau das, was wir befürchtet haben. Wir mussten raus, damit das Gebäude profitabler verwertet werden kann.“ Neuköllns Stadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne), ärgert sich ebenfalls darüber, dass die Kneipenräumlichkeiten einfach leer stehen: „Das zeigt nochmal mehr, dass man Eigentümern mit luxemburgischen Fantasiestandorten keine Häuser anvertrauen sollte“, sagte er.
passiert am 30.10.2022