„Nazis machen auf sozial“
Vor dem angekündigten Großaufmarsch der AfD am 8. Oktober in Berlin, wurde bei einem Friedrichshainer Tresenabend zusammengefasst vor welchen Aufgaben wir als antifaschistische Bewegung in Zeiten der Inflation stehen. Die Aufnahme des Gesprächs wurde gestern auch von StudioAnsage im Radio übertragen (1). Einige Ansätze fanden wir so wichtig, dass wir sie hier kurz nennen wollen.
Zusammen mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) und dem Bündnis Aufstehen gegen Rassismus (AgR) wurde diskutiert was die soziale Demagogie der AfD von der der NSDAP unterscheidet. Es gab viel zur Strategiedebatte innerhalb der neuen Rechten zu hören. Letztlich ging es auch um unsere Strategien diese „soziale“ Bewegung von rechts wieder zu zerstreuen.
Was erwartet uns am 8. Oktober?
Die AfD hat eine längere Auftaktkundgebung an der Reichtstagswise angemeldet (2). Danach zieht eine Demo durch das Regierungsviertel und endet dort wieder. Gegenkundgebungen an Start und Ende wird es geben. Auch entlang der Route sind Mahnwachen, Demos und Kundgebungen gegen den AfD-Aufmarsch angemeldet. Aber Mitte ist bekanntlich ein mieses Pflaster für Protest (3). Die AfD hat 5.000 Personen angemeldet und bezahlt Busse (mindestens bekannt aus Süddeutschland), um Anhänger*innen hierher zu kriegen. Der Berliner Landesverband der Partei ist kaum involviert. Es ist ein Projekt der Bundesebene, um sich bei den rechts dominierten Sozialprotesten in Ostdeutschland zu profilieren (4).
An den Gegenprotesten beteiligen sich, wie vor 5 Jahren wieder das Berliner Partyspektrum, aber auch mietenpolitische Initiativen (es ist auch bundesweiter Mietenaktionstag), sowie Gruppen, die sich gegen die Auswirkungen der Inflation engagieren und sich dringend von Rechts abgrenzen müssen. Dafür bietet die AfD nun den Anlass. Für die massenhafte Beteiligung an den Gegenprotesten sind zwei Aspekte zentral: 1. Die Angst davor, dass die extreme Rechte die Sozialproteste im „Heißen Herbst“ für sich vereinnahmen könnte. 2. Ihr genau deshalb einmal gemeinsam in den Arsch zu treten und damit auch auf die ländlichen Regionen auszustrahlen: Es ist möglich sie in die Schranken zu weisen, versteckt euch nicht, sondern vernetzt euch und kämpft.
Aber worum geht es der AfD oder generell der Rechten bei den Sozialprotesten?
Exkludierende Solidarität
Nationalistische Bewegungen, egal welche Coleur, sind immer sozial gegenüber der eigenen Gruppe. Die unterschiedlichen Motive dafür und mehr oder weniger extremen Ausprägungen werden unter dem Stichwort „Exkludierende Solidarität“(5) zusammengefasst. So tendieren traditionsbewußte Faschist*innen, wie die vom 3. Weg, zusätzlich zur Abstammungsideologie noch zum Stärkekult und Sozialdarwinismus, also in letzter Konsequenz zur Beseitigung von behinderten Menschen, Schwachen, Erwerbslosen, Alten, Kranken und Jüd*innen aus der deutschen „Volksgemeinschaft“. Ihr „Angebot“ richtet sich propagandistisch an alle Deutschen, aber eigentlich doch nur an die gesunden und starken. Der 3. Weg hat überhaupt nichts gegen kalte Wohnungen, weil man gleichzeitig gegen Verweichlichung und Schwäche eintritt. Ende August veröffentlichte die Partei ein Sozialprogramm, das eigentlich die 30er Jahre aufleben lässt. Es ist sozialreformerisch und staatskapitalistisch (6) und eine Fortführung der „Kümmerer“-Arbeit die der 3. Weg z.B. im sächsischen Vogtland schon länger betreibt (7).
Die AfD fährt ein anderes Konzept. Der Antisemitismus tritt nur verdeckt auf, ihr Angebot richtet sich explizit an die Kleinbürger*innen und den Mittelstand (symbolisch dafür das deutsche Handwerk). Ihr Programm ist prokapitalistisch und nimmt selbst das Großkapital in Schutz (8). Ein echtes Sozialprogramm, das weite Teile der Bevölkerung berücksichtigt, wird schon durch die Rechtslibertären in der Partei verhindert, die das Individuum in den Vordergrund stellen und den Sozialstaat gern abschaffen würden. Aus dieser Gemengelage ist es schwierig gemeinsame Forderungen zu entwickeln – dennoch gelingt es in den letzten Wochen immer mehr. Vor allem weil thematisch nur an der Oberfläche gekratzt wird.
Rechte Strategien
Allen, ob rechten Thinktanks, Compact-Magazin, AfD oder 3.Weg geht es um eine völkische oder zumindest nationalistische Querfront gegen die herrschende Ordnung. Gern auch mit Linken, die sich am Nationalismus nicht so stören. Gemeinsamkeiten sind: Solidarität mit Rußland, Rassismus, Antifeminismus und falsch verstandener Antikapitalismus.
In diesem Rahmen wird alles vernetzt was sich nicht klar abgrenzt. Rechte Akteure, die sich noch vor drei Jahren nicht mal wahrgenommen haben, berichten plötzlich übereinander und laden sich gegenseitig zu Protestevents ein. Die AfD lädt z.B. am 8. Oktober „alles, was erlaubt ist“ nach Berlin ein und zielt damit klar auf Freie Sachsen und co. Dass der 3. Weg in Berlin mittlerweile dafür eintritt den mietenpolitischen Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen und co umzusetzen zeigt, wie sehr sie den Schulterschluss wollen und linke Ideen (Vergesellschaftung, Globalisierungskritik, Antikapitalismus) und Organizing-Konzepte für sich vereinnahmen wollen. Das ist kein neues Konzept, wurde aber 2020 vom Institut für Staatspolitik unter dem Schlagwort „Solidarischer Patriotismus“ als Handlungsempfehlung neu aufgelegt (9).
Mit Demonstrationen, SocialMedia-Dominanz, medienwirksamen Regelverstößen und kurzlebigen (Szene-)Prominenten, wird eine gewisse Rastlosigkeit suggeriert, die Stärke auf der Straße beweisen und das Gefühl vermitteln soll, wir stünden gerade vor dem Umsturz. Dieses Gefühl wird durch die Unfähigkeit des Staates auf z.B. massenhafte Regelverstöße gegen Coronaschutzmaßnahmen o.ä. zu reagieren, unterstrichen. Deshalb sind diese zielgerichteten Provokationen (10) ein wichtiges Mittel um dem Staat die Macht abzusprechen und sich selbst als machtvoll zu inszenieren. Auch diese Strategie der scheinbaren Beschleunigung und symbolischen Radikalisierung von Auseinandersetzungen kennen wir bereits aus der Weimarer Republik.
Umsturz statt Wahlbündnis
Wer sich als Akteur herausbildet, der diese Mobilisierung und Vernetzungsarbeit auch für nachhaltig nutzen kann, ist klar. Es wird die AfD sein, die das ganze in Wahlerfolge, zumindest im ländlich geprägten Osten übersetzen kann. Hier ist aktuell das Zentrum der rechten (Sozial-)Proteste, nachdem 2015 gegen Geflüchtete und 2020 gegen die Corona-Maßnahmen ebenso massiv demonstriert wurde. Hier wenden sich die meisten Erstwähler*innen der AfD zu und es gibt es eine große Anschlussfähigkeit zu weiten Teilen der Gesellschaft.
Das alles ist nicht neu. Aber was passiert denn eigentlich bei einer rechten Hegemonie in Teilen des Ostens? Die Idee der AfD war es, ähnlich wie die der anderen extrem rechten Parteien in Europa, stärkste Kraft zu werden und mit einem kleinen konservativen Partner durchzuregieren. Das wird nicht funktionieren. Und auch wenn:
Beim Staatsumbau gibt es sehr viele Stellschrauben (Fördermittel, Verwaltung, Umwidmung von Geldern, Gesetze) um linke und andere mehr oder weniger progressive Kräfte aus den Regierungsapparaten herauszudrängen. Am langen Weg durch die Institutionen sind auch in anderen Ländern schon viele Rechtspopulist*innen gescheitert. Die Erfahrungen der letzten Jahre (11) zeigen, dass die AfD in den Parlamenten kein Durchhaltevermögen hat und die eigenen Erwartungen nicht erfüllen kann.
Allerdings folgt auf abgewirtschaftete Rechtspopulistische Regierungen meistens eine noch krassere extrem rechte Partei, die das Heft in die Hand nimmt und die bereits begonnene Normalisierung radikaler Politik nutzen kann. Vor diesem Szenario haben alle zurecht Angst. Aktuell ist aber eine parlamentarische Mehrheit mit den AfD-Themen nicht zu holen (12). Die aktuelle Rußlandsolidarität und der krasse Irrationalismus während der Coronakrise hat viele potentielle Bündnispartner*innen im konservativen Lager vergrault.
Aufgrund dieser vielen Unwägbarkeiten setzt man nun eben auf Umsturz. Auf der einen Seite durch die massenhafte Infragestellung des Staates, durch die schon beschriebenen Regelverstöße. Auf der anderen Seite durch einen offen diskutierten Putsch durch Polizei und Militär (13). Die Planungen dafür werden konkretisiert. Götz Kubitschek hat dazu sogar eine Kolumne auf seinem Blog gestartet (14).
Was auf der Straße hilft
Aufstehen gegen Rassismus hat sich 2017 mit dem Einzug der AfD in den Bundestag gegründet. Hauptfeld sind die Stammtischkämpfer*innen-Schulungen gegen Rassismus und die Argumentationsstrateige der AfD. Darüberhinaus wird Material erstellt und bundesweit zur Verfügung gestellt. Die Ortsgruppen sind zu wichtigen Trägern der Proteste gegen die AfD geworden. Thematisch musste sich AgR mit Corona stärker gegen Verschwörungsmythen ausrichten. Mit dem Krieg in der Ukraine und nun auch mit der sozialen Krise kommt erneut eine Neuausrichtung.
Immer wichtiger wird dabei die Frage wie sich Querfront-Strategien verhindern lassen. AgR rät dazu sich in den Aufrufen klar auf internationale Solidarität zu berufen und profeministisch zu positionieren. Keine Rechten wird unter einer Regenbogenfahne mitlaufen und für globale soziale Gerechtigkeit eintreten. Was in Erfurt am 11.9. mit einem breiten Bündnis durch lange Diskussionen gelungen ist (15), gelingt andernorts noch nicht, weil sich die Organisator*innen zuwenig mit dem Problem auseinandersetzen und nicht definieren können oder wollen wie weit ihre Solidarität geht – deshalb bleiben sie national exklusiv und anschlussfähig für die Rechte (16). Das Problem ist nicht immer worüber gesprochen wird (Arbeitslosigkeit, Verarmung, miese Bedingungen für kleine Firmen) sondern was ausgelassen wird (Umverteilung, soziale Daseinsvorsorge, Klimagrechtigkeit). Um bestimmten Themen Repräsentation zu verschaffen, hilft es explizit diejenigen einzuladen, die besonders von der Krise betroffen sind.
Nicht zuletzt wird es auf den nicht ganz eindeutigen Demos darauf ankommen, wie wir uns als Teilnehmende positionieren. Wie bringen wir uns thematisch ein (wie uminterpretierbar sind unsere Slogans), wie sehen unsere eigenen Aktionen aus?
Moderation, Ordner*innen und Demoleitung müssen schnell Maßnahmen ohne Polizei umsetzen. Gut ist sowas vorher im Bündnis abzuklären, oder auch nur dafür an den Vorbereitungstreffen teilzunehmen (17), um Bewußtsein zu schaffen. Bewährt hat sich das Agieren in Kleingruppen bis 5 Personen, die allein handeln können, aber auch in gut in Kombination mit anderen Gruppen. Geholfen habe etwa physische Barrieren (Flatterband/Transparente), Menschenketten, Sprechchöre (Aufmerksamkeit auf die Situation ziehen), Redebeiträge (das auf der ganzen Demo zum Thema machen, ist nicht immer die beste Idee), um Rechte rauszudrängen. Neonazis und ihre Symbole müssen erkannt werden und rausfliegen. Erfahrungen mit dem Isolieren/Einkesseln von Rechten und Abdrängen wurden im Kleinen in Berlin vor der Grünen-Zentrale gemacht und im Großen am 5.9. in Leipzig (18). Hier würden Aktionstrainings sicher helfen ge- und entschlossener vorzugehen.
Es gilt das Einmaleins
Einer wöchentlichen Massenmobilisierung erstmal ratlos gegenüber zu stehen, dürfte seit 2015 ein bekanntes Gefühl hiesiger Antifaschist*innen sein. Wie haben wir darauf reagiert: Bündnisse gegründet, uns mit Gegenargumenten auseinandergesetzt, Bildungsarbeit betrieben, und vor allem die Protagonist*innen und ihre willigen Helfenden konsequent fertig gemacht. Wir haben gelernt: Keine soziale Bewegung funktioniert ohne Motoren – sie aufzuspühren, sie zum Stottern zu bringen und auf den Schrott zu schicken, ist unsere Aufgabe. Diese Strategien sind weiterhin richtig. Haben wir sie verlernt, müssen wir sie uns wieder beibringen.
Was in den letzten Jahren auch wichtig geworden ist, war der Kampf um die diskursive Hegemonie. Die von der AfD als „Problem“ markierten, mussten gezielt argumentativ gestützt und manchmal auch direkt geschützt werden. Das gilt es weiterhin und leider müssen wir dabei Prioritäten setzen. Wenn die Analyse ist, dass der ländliche Raum im Osten nicht genügend antifaschistischen Mut entfalten kann, müssen wir wohl gemeinsam nachhelfen auch dort mal Erfolge erzielen und den lokalen Gruppen und engagierten Einzelpersonen den Rücken stärken. Auch das hat es in jüngster Vergangenheit viel gegeben. In den letzen Jahren leider zurückgeblieben ist der internationale Austausch über die antifaschistischen Strategien. Wir wissen viel über rechte Parteien und Wahlbündnisse, aber fast nichts über unsere eigene Bewegung. Deshalb braucht es einerseits lokale Strategie&Taktik-Diskussionen, die sich andererseits mit denen fernab verbinden.
Wir sehen uns am 8. Oktober im Berliner Regierungsviertel
(1) Radiosendung (ab 8:40 bis 1:03:55 ist die Veranstaltung nachzuhören) https://www.mixcloud.com/WhudKz/051022-sondersendung-zu-exrem-rechten-demos-und-kundgebung-gegen-kotti-wache/
(2) Aktuelle Infos unter https://berlin-gegen-nazis.de/breite-proteste-gegen-eine-rechtspopulistische-demonstration-im-regierungsviertel/
(3) Auswertung „AfD Wegbassen“ 2018: https://de.indymedia.org/node/22863
(4) Einschätzung zum 8.10.2022 https://mbr-berlin.de/aktuell-einschaetzung-zu-der-rechtspopulistischen-demonstration-am-8-oktober-2022-in-berlin/
(5) Exkludierende Solidarität https://www.belltower.news/wutwinter-teil-1-die-neue-rechte-will-dass-deutschland-leidet-136873/ und Veröffentlichungen vom https://promotionskolleg-rechtspopulismus.net
(6) Unsichere Seite (https://der-dritte-weg.info/2022/08/die-wahre-krise-ist-das-system-wirtschaftliches-sofortprogramm-des-deutschen-sozialismus/)
(7) 3.Weg im Vogtland https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2019/11/06/wenn-sich-neonazis-als-sozialarbeiter-tarnen_29206?wt_ref=https%3A%2F%2F&utm_referrer=https%3A%2F%2Fblog.zeit.de%2F
(8) Unsichere Seite https://www.afd.de/sozialkonzept/
(9) inzige linke Rezension des Buchs von Bennedikt Kaiser https://jungle.world/artikel/2020/50/volk-sucht-rente
(10) Starschnitt Kubitschek https://www.tagesspiegel.de/politik/gotz-kubitschek–der-stratege-der-neuen-rechten-5530186.html
(11) Nach der Berlin-Wahl https://keinraumderafd.info/2021/11/04/veranstaltungsbericht-afd-das-bekannte-boese/
(12) Einschätzung zum Niedergang der AfD 2020 https://antifa.vvn-bda.de/2021/03/15/afd-im-niedergang/
(13) Elsässer-Aufruf „Soldaten geht an die Grenzen“ https://www.imi-online.de/2018/04/04/die-afd-im-verteidigungsausschuss-einige-kritische-portraits/.
(14) Unsichere Seite https://sezession.de/66365/herbst-empoerung-grundsaetze-2-lenkung
(15) Gewrkschaftsdemo ohne rechte Beteiligung https://www.thueringer-allgemeine.de/politik/steigende-preise-gewerkschaftsprotest-in-erfurt-id236401205.html
(16) AK zur nationalen Psychose https://www.akweb.de/bewegung/montagsdemos-gegen-inflation-und-wirtschaftskrieg-sozialprotest-mit-deutschlandtunnelblick/
(17) Antifa Zusammenschluss aus Süddeutschland zu den Strategien von Antifas in Sozialbündnissen https://antifa-sued.org/handlungsvorschlaege-fuer-den-heissen-herbst/
(18) Lesenswerte Auswertung einer kommunistischen Gruppe https://knack.news/3336