Rede eines Mitarbeiters des Roten Antiquariats auf der Kundgebung vor Gorillas-Filiale
Rede eines Mitarbeiters des Roten Antiquariats auf der Kundgebung vor der Gorillas Filiale in der Rungestraße 23 (30.03.2022)
Ich begrüße euch auf dieser kleinen Kundgebung und möchte euch etwas aus der Perspektive eines Angestellten im Roten Antiquariat erzählen. Der Laden liegt gut 150 Meter entfernt und ist auf den Bereich Arbeiter_Innenbewegung und Sozialismus spezialisiert. Als Laden im Kiez nehmen wir zahlreiche Pakete für die Nachbarschaft an und haben dadurch Kontakt zu den FahrerInnen und den Nachbarn. Auffällig ist, dass das Geschäftsmodel von den Gorillas nur ein Teil einer Dienstleistungsbranche ist, die in den letzten Jahren erheblich gewachsen hat. Wir spüren, dass nicht nur an der Zunahme der Pakete, die wir für die Nachbarn entgegennehmen sondern auch bei der Steigerung der Bestellungen, die wir selber versenden.
Das Unternehmen Gorilla trat im Jahre 2020 mit dem Versprechen an, Lebensmittel und andere Supermarktwaren, die über seine App bestellt werden, per Fahrradkurier zu denselben Preisen zu liefern, wie sie im Supermarkt verlangt werden. Das Klientel, das bestellt ist eine urbane Mittelschicht. Für Sie soll per Mouseklick der Einkauf innerhalb von 10 Minuten zu Hause sein. Es liegt ganz im Trend der Zeit, sich alles im großen Umfang nach Hause schicken zu lassen. Die Palette reicht von Kleidung, Tierfutter bis hin zu ganzen Wohnungseinrichtungen für die neue Eigentumswohnung. Die ZustellerInnen sind dann nicht schlecht bezahlte Fahrradkuriere, sondern Angestellte verschiedener Postunternehmen. Auch diese Arbeitskräfte sind größtenteils extrem schlecht bezahlt und oft MigrantenInnen. Es wird erwartet, dass alles pünktlich geliefert wird und zwar direkt bis zur Haustür. Klappt die Zustellung nicht hundertprozentig, so werden diese oft als faul und unfähig bezeichnet und sich beschwert. Kein Wort und kein Gedanke zu den Arbeitsverhältnissen und den Strukturen dieser Firmen. Genauso wie bei den Gorillas wird auf den Rücken der Beschäftigten der Gewinn gemacht. Sollen die einen den Einkauf in 10 Minuten ausliefern, bekommen die anderen so viele Pakete aufgedrückt, dass diese in der vorgegebenen Zeit nicht aus lieferbar sind. Zusätzlich kommt hinzu, dass am nächsten Tag zahlreiche Pakete wieder zurückgeschickt werden, da die bestellten Waren nicht passen, nicht gefallen oder in den wenigsten Fällen beschädigt sind. Nebenbei, der so erzeugte Müll bedeutet nicht nur eine riesige Ressourcenverschwendung, er blockiert auch oft die hauseigenen Müllplätze. Auch sich Bio Produkte aus dem Süden per Lufttransport direkt nach Hause liefern zu lassen, ist ökologisch gesehen eine Katastrophe.
Doch statt die Arbeitsbedingungen und die Kapitalstrategien zu kritisieren, werden die oftmals migrantischen Beschäftigten selber zu Sündenböcken erklärt. Es wird sich über die hohe Geschwindigkeit der Fahrradkuriere oder die blockierten Straßen mokiert aber nicht gesehen, dass die Beschäftigten im Zustellungsbereich einen gewaltigen Druck erleben und sie es sind, die die bestellten Waren transportieren aber nicht konsumieren. Die Logik ist klar, man will beliefert werden, aber der Lieferverkehr und die Arbeitskräfte sollen nicht stören.
Die Kuriere sind jedoch die modernen Dienstboten unserer Zeit. Diese wohnen zwar nicht mehr mit im Haushalt, es wird jedoch erwartet, dass alles schnell und zu möglichen billigen Preisen nach Hause geliefert wird und zwar bis zur Haustür. Dies wird durch diese neu entstanden Dienstleistungsunternehmen bedient und hat in den letzten Jahren ein erhebliches Wachstum erlebt. Parallel dazu werden viele Produkte nur noch Online angeboten, da durch steigende Mieten die klassischen kleinen Läden für jeden Bedarf nicht mehr in der Breite existieren wie in früheren Zeiten. Ebenso ist die Bestellung Online natürlich einfacher, als in entsprechende Spezialgeschäfte zu gehen. Ein Preisrecherche ist gut möglich, so dass der Preisdruck nach unten gewaltig ist. Im Antiquariat bedeutet das z.B. häufiger, dass sich Bücher zwar angeschaut werden aber dann online beim Billiganbieter wie Amazon oder Medimops bestellt werden. Auch durch diese Entwicklungen erlebt der Online Handel und der damit verbundene Versand ein stetiges Wachstum. Die Corona Pandemie hat diese Tendenz noch einmal beschleunigt. Der Niedergang des Kleinhandels zu Gunsten großer Online Marktplätze wird den Paketversand und den damit verbundenen Lieferdiensten mit ihren zum Teil zahlreichen prekären Arbeitsverhältnissen ein weiteres Wachstum bescheren und wir machen dabei mit. Es ist also kein Wunder das Kapital in diesen Bereichen angelegt wird. Genauso wie im Immobilienbereich werden hier große Gewinne erwartet. Insbesondere bei den Zustelldiensten kann hier ordentlich an der Lohnschraube nach unten geschraubt werden. Ein Wettbewerbsvorteil auf Grund höherer Produktivität durch Technik ist für diese Firmen schwierig, so wird an der Lohnschraube bzw an der Geschwindigkeit der Zustellung durch Menschenkraft gedreht, was oftmals auch zu gefährlichen Verkehrssituationen führt, bei denen die Gesundheit oder sogar das Leben der Beschäftigten wie auch anderer Verkehrsteilnehmenden riskiert bzw. gefährdet wird.
Es ist die Suche nach vielversprechenden Kapitalanlagemöglichkeiten, für die auch Bedürfnisse erst geschaffen werden. Und das trifft auf ein Klientel, welches im Arbeitsalltag immer weniger soziale Interaktion erlebt, so dass es zunächst gar nicht auffällt, dass sie sich an Ausbeutermethoden beteiligen. Sie profitieren zumindest für eine Zeit von dem Machtkampf verschiedener Anbieter, die um den gerade neu geschaffenen Markt kämpfen. Koste es was es wolle. Oft werfen diese Geschäftsmodelle lange kein Gewinn ab, bis ein Unternehmen den Markt beherrscht. Die Leittragenden sind die Beschäftigten, die für diesen Machtkampf mit ihren Lohn, ihrer Gesundheit und Arbeitslosigkeit bezahlen müssen.
Statt als Konsument bzw. Konsumentin diese Entwicklungen noch weiter zu verschärfen, bedarf es meiner Meinung nach solidarische Kieze. Solidarische Nachbarschaft muss heißen, sowohl die Arbeitsbedingungen und schlechten Löhne der prekär Beschäftigten im Auge zu haben, als auch die steigenden Mieten und die zunehmende Umwandlung in Eigentumswohnungen zu kritisieren. Solidarität heisst in diesem Zusammenhang vor allem auch, sich mit den streikenden Beschäftigten gegen diese prekären Verhältnisse zu wehren. Ganz praktisch kann dies z.B. heißen, die Streikenden zu besuchen, mit ihnen zu sprechen und sie moralisch eventuell auch finanziell zu unterstützen. In der historischen ArbeiterInnenbewegung war dies Gang und Gäbe. Gab es in einem Viertel einen Streik wurde dieser oft zu einer zentralen Anlaufstelle der örtlichen Bevölkerung, um gemeinsam bessere Lebensbedingungen zu erreichen oder um schlichtweg zu zeigen: ihr seit nicht allein. In diesem Sinne liebe Nachbarschaft unterstützt die Streikenden. Denn umgekehrt braucht ihr eventuell auch Solidarität wenn eure Wohnungen umgewandelt, luxussaniert oder ihr wegen Eigenbedarf aus der Wohnung raus müsst. Damit möchte ich enden und wünsche uns viel Kraft auch für die kommenden Konflikte.
passiert am 30.03.2022