Auswertung: Tag X, Rote Zone, offene Versammlung

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Freitag, der 15. Oktober, war der Räumungstermin eines der letzten Projekte einer Liste von bedrohten Orten in Berlin: der Köpiwagenplatz, Zuhause duzender von Menschen. Die Räumung war Teil einer Reihe von Angriffen des sogenannten linken Senats von Berlin auf die Überbleibsel der Besetzungswelle der 80er und 90er.

Wie schon während den letzten Räumungen der unterschiedlichen Projekte des vergangenen Jahres wollte die Polizei eine Rote Zone um den Köpiplatz errichten um Unterstützer*innen davon abzuhalten, dass sie von außen her zu nah an den Bereich des Räumungseinsatzes herankommen. Ungefährer Ort und Zeit der Errichtung der Roten Zone wurden erst eine Woche vor dem 15.10. durch Parkverbotschilder eingrenzbar, was die Planung von Widerstand etwas erschwerte. Die Idee war schließlich, wie schon in früheren teils erfolgreichen Fällen, den Aufbau der Roten Zone zu stören. Mit diesem Ziel vor Augen wurde eine offene Versammlung ins Leben gerufen, die sich als eine relativ große und heterogene Gruppe mit regelmäßigen Treffen einige Wochen vor der Räumug konstituierte. Von hier aus sollte eine politische Strategie und Unterstützung für den Kampf um den Köpiplatz und gegen die Rote Zone organisiert werden. Wir sind einige dieser Gruppe, die sich teilweise vorher noch nicht kannten. Wir schreiben diesen Text nachdem die erste Runde der Auswertung stattgefunden hat.
Mit diesem Text wollen wir unsere Erfahrungen rund um den Kampf für den Köpiplatz teilen. Auch wenn objektiv betrachtet das Ergebnis nicht wie erwartet ausfiel, sind wir im Prozess der Berliner autonomen Bewegung mit Sicherheit ein Stück weitergekommen. Es ist ein Schritt nach vorne, dass Aktionen mit einer breiteren Basis organisiert werden und dass offene Prozesse als Weg erkannt werden um politische Kämpfe zu organisieren. Zurecht gibt es Bedenken bezüglich der Sicherheit all derer die daran Teilhaben und der Kapazität der Koordinierung nicht vertrauter Menschen innerhalb einer kurzen Zeitspanne. Aber logischerweise sind offene Prozesse effektiv darin, mehr Menschen zu mobilisieren, neue Möglichkeiten zu kreieren um zusammenzukommen und Erfahrungen auszutauschen, Menschen darin zu bestärken, Teil militanter Kämpfe zu werden und kollektive Momente gemeinsam zu schaffen. Wir haben dadurch Erfahrung darin gesammelt, unbekannten Menschen zu vertrauen, die es Wert sind vermittelt und, bis zu einem gewissen Grad, diskutiert zu werden.

Da die letztjährige große Räumgswelle gegen Berliner Projekte, konkret dem Syndikat, der Liebig34, der Rummelsbucht, der Meuterei und letztlich dem Köpiplatz auszulaufen scheint, wollen wir uns nun gegenseitig bestärken und eine Diskussion darüber anfangen, wie wir mit diesem Kampf und der Verteidigung selbstorganisierter, autonomer Räume und Ideen weitermachen. Vielleicht sogar darüber, wie wir zum Gegenangriff übergehen, neue Orte schaffen und Vorstellungsräume zurückerobern können.

Offene Treffen

Als Weg um den Widerstand gegen den geplanten Angriff auf den Köpiplatz zu organisieren wurde der Aufruf zu einer offenen Versammlung gewählt. Schon Monate vor der Räumung kamen Leute zusammen, doch erst mit der Veröffentlichung des genauen Datums einige Wochen vor der Eskalation war es möglich eine kritische Masse an Menschen und Strukturen zu mobilisieren. Für uns war die Zahl der Teilnehmer*innen der Versammlung tatsächlich ziemlich eindrucksvoll. Allein diese Möglichkeit zusammenzukommen schuf eine Atmosphäre der Solidarität untereinander, zwischen verschiedenen Teilen des Kampfes und natürlich mit den bedrohten Projekten. Das Ziel die Dynamik und Hierarchie zwischen denjenigen, die direkt angegriffen werden, und den so genannten Supportern zu durchbrechen wurde wie schon bei der Brandschutz-Räumung der Rigaer94 allein dadurch erreicht, dass eine gemeinsame Basis und Raum für Diskussionen geschaffen wurden. Wir sind als Kompliz:innen auf Augenhöhe zusammengekommen und haben kollektiv die Anliegen unseres Kampfes und unserer Verteidigung gegen gemeinsame Feinde diskutiert. Die Diskussionspunkte der Versammlung zeigten von Anfang an, dass es ein breites Verständnis der Natur des Angriffes auf den Köpiplatz gab und dass Erfahrungen aus Demonstrationen, defensiven Aktionen und Gegenangriffen eine kollektive Militanz erzeugt haben. Die Ereignisse im Kontext Roter Zonen, von der Ohlauer Schule an bis heute und im besonderen in 2020/21 wurden als Quelle von Wissen verstanden. Die erfolgreiche Auseinandersetzung vor der Roten Zone der versuchten Brandschutzräumung der Rigaer94 war nicht nur praktisch gesehen Inspirationsquelle sondern auch von der Art und Weise her, wie über eine offene Versammlung Dinge nicht primär entsprechend der Bedürfnisse der direkt vom Angriff Betroffenen diskutiert wurden sondern in erster Linie als politische Fragen mit dem Ziel die Kämpfe zu verallgemeinern und zusammenzuführen. In Diskussionen mit mehreren duzend Leuten darüber, wie wir aktiv werden können, bevor die staatliche Mobilisierung diesen in die Lage versetzten würde eine gesamte Nachbarschaft abzuriegeln, wurden die Zeiten wo Menschen mit leeren Händen an den Absperrungen stehen würden wurden für beendet erklärt. Die Idee entstand, Menschen in das entsprechende Gebiet zu mobilisieren und als Unterstützung eine Atmosphäre des Aufruhrs zu schaffen. Ein neues Bewusstsein der Militanz entsteht dort, wo in diesen Prozessen Aktionen nicht entlang der Traditionen einer individualistischen Subkultur mit dem Macho Straßenkämpfer im  Mittelpunkt geplant werden, sondern als Antwort auf die Notwendigkeiten unserer horizontalen Kämpfe, die so inklusiv wie möglich eine gemeinsame Grundlage suchen, um auf noch breiterer Basis zum Gegenangriff überzugehen.

Wie weitermachen?

Da diese bestimmte Phase unseres Kampfes, in der wir es geschafft haben eine gemeinsame Strategie für unseren Widerstand zu finden, vorüber ist, stehen wir nun vor einer neuen Situation. Das verlangt von uns, eine Perspektive zu finden, die über aufwändige Pläne einer möglichst offensiven Verteidigung einer Reihe von bedrohten Projekten hinausgeht. Während wir uns in den letzten zwei Jahren nur auf regelmäßige Gelegenheiten verlassen haben, um auf der Straße zusammenzukommen, müssen wir jetzt darüber nachdenken, wie wir ein Vermächtnis dieser Periode schaffen können, in der wir einerseits einige Räume verloren, aber auch Vertrauen, Erfahrung und Masse gewonnen haben. Es besteht kein Zweifel, dass die polymorphen Angriffe des Staates und des Kapitals auf unser Leben weitergehen werden und dass ein Teil ihrer Strategie die Isolierung und Auslöschung der antagonistischsten und radikalsten Elemente in der Gesellschaft bleiben wird. Dies könnte durch die Räumung bestehender oder neuer Projekte und besetzter Häuser versucht werden oder durch etwas ganz anderes als das, was wir in letzter Zeit gesehen haben. Die Analyse der letzten und kommenden Periode – sowohl unseres Kampfes als auch der Strategie von Staat und Kapital – muss so kollektiv und offen wie möglich durchgeführt werden. Durch unsere Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, wie die Tradition der offenen Versammlungen fortsetzen und als Teil einer langfristigen Strategie unseres kollektiven Widerstandes verstanden werden kann, um Wege zu finden, wie wir spontan reagieren, aber auch um eine gemeinsame Strategie als Ausgangspunkt für die verschiedenen Bereiche des Kampfes schaffen können. Alles in allem sind wir zuversichtlich und freuen uns darauf, die Atmosphäre des Kampfes, die wir in den letzten zwei Jahren häufiger aufkommen sahen und die vor Kurzem in der Wiederaneignung der Straßen von Kreuzberg durch Tausenden von Menschen resultierte, zurückzubringen und auszuweiten.

Evaluation: DayX, Red Zones, open assemblies

Author: some people of the General-Assembly about Köpiplatz

On Friday the 15th of October was the eviction date for one of the last projects of a list of endangered spaces in Berlin, which gave a home to tens of people, the Køpi-Wagenplatz. This eviction was part of a series of attacks from the so-called „left“ Senate of Berlin against the remains of the squatting wave earlier in the ’80-’90.
As already done during the last evictions of the different projects in the past year, the police wanted to establish a „red zone“ around Køpiplatz to prevent supporters coming from the exterior to get too close to the area as the eviction would be executed. The approximate perimeter and date of the establishment of the „red zone“ got published only a week before the 10/15, through signs in the streets announcing an interdiction to park, which made it a bit more difficult to plan to counter it. Because the idea was, as tried and partially succeeded, in previous attacks of Berlin’s Senate against autonomous spaces, to disturb the installation of the red zone. With this goal in mind, an open assembly was called and a heterogeneous and rather large group of people met regularly in the weeks before, to organise a political strategy and support the fight around Køpiplatz and against the red zone. We are some of the people who were part of this group, some of us didn’t know each other before and we write this text after the first round of evaluation has taken place.

Through this text, we want to share our experience we made around this fight of Køpiplatz. Even if, objectively, the results weren’t those primarily expected, we definitely went forward in a bigger process for the Berlin autonomous movement and marked a step in organizing actions on a broader level, recognizing open processes as a way to organize political fights. This definitely carries legitimated apprehension, mostly regarding the security of each participant, but also concerning the capacity of strangers to coordinate themself in a short period of time. But it logically has also the very positive effect of mobilizing more people, offering the opportunity to come together and share experiences, empowering people to join in militant fights and create more collective moments together. Thereby we made experience with trusting unknown people, worth to be shared, and with its boundaries, worth to be discussed.
As the past years big wave of evictions of many projects in Berlin seems to tend to lower its pace, for now, after evicting Syndikat, Liebig34, Rummelsbucht, die Meuterei and not so long ago the Køpi-Wagenplatz, we want to empower each other and start a discussion about how to continue with the struggle and the defense around self-organised, autonomous spaces and ideas. And even maybe, how to counter attack and get back the already lost places and fields of ideas.

Open procedure

As a way to organize the resistance against the planned attack on Köpiplatz the choice was to call for an open assembly. Already months before the eviction people came together, but only with the publication of the precise date some weeks prior to the escalation it was possible to mobilize a critical amount of people and structures. In fact for us the number of participants was quite impressive. Only by having this opportunity to come together, an atmosphere of solidarity between each other, between different sections of the struggle and of course the solidarity with the threatened projects was created. The aim to break the dynamic and hierarchy between those under direct attack and the so called supporters was reached as before in the resistance against the firesecurity-eviction of Rigaer94 only by having a common ground and space of discussion. We came together as comrades on the same level, discussing collectively the matters of our struggle and our defense against common enemies. The discussion points of the assembly showed from the beginning on that there was a broad understanding of the nature of the attack on Köpiplatz and that experiences from the last year of demonstrations, defensive actions and counter-attacks had created a collective militancy. The events connected to the red zones as far in the past as the eviction of the Ohlauer School, but especially those in 2020/21 were considered a pool of knowledge. The successful fight ahead of the red zone for the attempted firesecurity-eviction of Rigaer94 was a point of inspiration not only for practical reasons but also because of the way how it was organized by an open assembly, where things were not primarily debated according to the needs of those affected directly by the attack but mainly as political questions with the aim to generalize and connect the struggles. The times where people would stand with nothing in their hands at the police fences were declared over as we discussed with several dozens of people how to get active before the state’s mobilization and ability to shut down a whole neighborhood. The idea of mobilizing people into the area of concern and in the same time support it by creating an atmosphere of unrest came up. A new understanding of militancy is being created in these procedures, where we discuss our actions not according to the traditions of a individualist subculture with the image of a macho streetfighter in the center but as an answer to the needs of our horizontal struggles, that always try to be as inclusive as possible, seeking for a common ground in order to counter attack on an ever wider base.

How to continue

Having passed this specific period of our struggle where we were able to find a common strategy of fighting, we now face a new situation. This demands from us to find a perspective that goes beyond the elaborate plans of the „as offensive as possible“ defense of the series of threatened projects. While in the last two years we could just rely on regular opportunities to come together on the streets, we now have to think about how to create a legacy from this period where we concurrently lost some spaces and gained confidence, experience and numbers. There is no doubt that the polymorphic attacks of the state and capital against our lives will continue and that one part of their strategy will remain the isolation and extinction of the most antagonistic and radical elements in society. This could be tried by the eviction of remaining or new projects and squats or something completely different to what we have seen recently. The analysis of the last and coming period – our struggle as well as the state´s and capital´s strategy – has to be done as collectively and open as possible. Through our discussion the point of how to continue the tradition of the open assemblies was brought up and understood as part of a long-term strategy of our collective-defense in order to find ways how to react spontaneously but also to create a common strategy as a point of reference of the different sections of struggle. All in all we are confident and looking forward to bring back and extend the atmosphere of struggle that we saw popping up more frequently the last two years and which resulted lately in the reappropriation of the streets of Kreuzberg by a mass of thousands of people.