Das Dilemma mit der linken Gewalt
Nach der Räumung des Köpi-Platzes ist der Rauch verzogen, die Gewalt unter dem Vorwand von Gentrifizierung wird aber bleiben. Ein Dilemma für die künftige Landesregierung – die selbst ein Problem mit dem entfesselten Wohnungsmarkt hat.
An dem Tag, an dem die gewaltbereite linke Szene die „Stadt in Scherben legen“ wollte, Tausende ihre Wut gegen private Wohnungen, Häuser, öffentliches Eigentum und ihren Hass auf Menschen in Polizeiuniformen entluden, fand die designierte Regierungskoalition nicht mal ein Wort für diese Form der Gewalt, die Berlin seit Jahren erlebt: In dem Sondierungspapier, das die Spitzenkandidaten von SPD (Franziska Giffey), Grünen (Bettina Jarasch) und Linken (Klaus Lederer) am Freitag vorlegten, sind Linksextremismus und linke Gewalt gänzlich unerwähnt. Obwohl die linksmotivierte politische Kriminalität noch im Jahr vor der Wahl um die Hälfte auf ein Zehnjahreshoch gestiegen war, die linke Gewalt sogar um zwei Drittel.
Parteien haben keine Antwort auf entfesselten Wohnungsmarkt
Die gewalttätigen Aktionen und Demonstrationen sind als Reaktion auf ein Thema zu verstehen, auf das die regierenden Parteien in den fünf Jahren ihrer bisherigen Regierungskoalition keine Antwort gefunden haben: auf den entfesselten Berliner Wohnungsmarkt und die rasant fortschreitende Gentrifizierung.
Denn natürlich lagen die Besetzer vom Wagenplatz in der Köpenicker Straße (einem 2.600 Quadratmeter Filetstück in Berlin Mitte) faktisch richtig, als sie den Polizisten bei der Räumung vorwarfen, sich zum Handlanger von Spekulanten zu machen. Zwar haben diese mit der Räumung geltendes Recht durchgesetzt, das bis zuletzt durch die Gerichte bestätigt worden war. Das wiederum nutzt jedoch vor allem jenen, die auf der zunehmenden sozialen Schieflage immer weiter nach oben gelangen, weil immer mehr andere abrutschen und aus ihren Wohnungen verdrängt werden.
Akzeptanz für linke Gewalt
Dass es drei Parteien mit einem jeweiligen Markenkern beim Sozialen in 20 Jahren ihrer unterschiedlichen Regierungsbeteiligung nicht gelungen ist, diese Entwicklung aufzuhalten, ist ein ernüchternder Befund, ein politischer Offenbarungseid. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast schon egal zu sein, wer Berlin regiert. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig, verfallen in Agonie, einige sind wütend.
Bei den Wütenden beginnt das Dilemma für die Politik: Einerseits versuchen Autonome und Extremisten, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen, was Politiker verurteilen müssen. Andererseits stößt die Gewalt der Autonomen und Extremisten auf Akzeptanz bei einigen, die sich dem Kampf gegen die Gentrifizierung verschrieben haben. Darunter auch einzelne Politiker aus künftigen Regierungsparteien.
Bei den Protesten rund um die Räumung des Köpi-Platzes waren auch einzelne Abgeordnete der designierten, linken Regierungspartei mit dabei. Auch die Initiative des Volksentscheids zur Enteignung von Wohnungskonzernen erschien im Wahlkampf als Vorfeldorganisation der Linken, mit engen Verbindungen zu einzelnen Gruppen der linksextremistischen Szene. Diese haben wiederum maßgeblich die Straßenproteste vom Freitag vorangetrieben, nach denen die Stadt in Scherben liegen sollte.
Gewalt wird bleiben
Im Sondierungspapier von Rot-Grün-Rot wird der Volksentscheid in eine „Expertenkommission“ verlagert, die innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für den Senat erarbeiten soll. Noch am Abend twitterte die Initiative ihren entschiedenen Kommentar dazu: „Schwaches Sondierungspapier (…) Eine Beerdigung des Volksentscheids unter Prüfaufträgen wird Berlin nicht akzeptieren!!“ Die Ungeduld wächst, und mit ihr ein Problem, das die künftige Regierungskoalition nicht als solches erkennen will. Zwar ist der besetzte Köpi-Wagenplatz geräumt, und der „Tag X“, an dem die Szene die „Stadt in Scherben legen“ wollte, ist erstmal vorbei, aber die linke Gewalt wird bleiben.
passiert am 15.10.2021