„Genderfanatiker und Völkerkundler“

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist zerstritten – Aktivisten warnen vor Einfluss einer „Polit-Sekte“. Diese schade der demokratischen Kultur und solle nicht mit dem Senat verhandeln

Von Pascal Bartosz und Alexander Fröhlich

Der Streit in der Berliner Enteignungsinitiative ist heftiger als bislang bekannt – und wird sich auf etwaige Gespräche mit dem Senat auswirken. Nach Tagesspiegel-Informationen warnen Aktivisten innerhalb von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ davor, dass ein sektenartiges Netzwerk die Kampagne dominiere. Gemeint ist die „Interventionistische Linke“ (IL), eine aus dem Studentenmilieu stammende Truppe, die „weniger durch fundierte Gesellschaftskritik“ auffällt, wie eine frühere Aktivistin sagte, als vielmehr durch „Phrasendrescherei gelangweilter Oberschichtskinder“.

Ein Mitstreiter beklagt in einer internen E-Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt, „dass die Kampagne ein Problem mit einer autoritär agierenden Polit-Sekte hat“, deren Anhänger nicht zu geplanten Gesprächen mit dem Senat gehen sollten: Zementiere die IL ihren Einfluss in „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, schreibt der Aktivist, würde dies „nicht nur die demokratische Kultur nach innen weiter beschädigen, sondern auch die Kampagne nach außen delegitimieren“.

Die IL ist unter Gewerkschaftern, Nachbarschaftszirkeln und Einzelpersonen in der Kampagne umstritten. Das hat weniger damit zu tun, dass der Verfassungsschutz die IL beobachtet, sondern eher damit, dass sich die Anhänger der Gruppe in fast religiöser Weise mit Identitätsfragen befassen – und anderen diese Sicht aufdrängen.

Die erwähnte Ex-Aktivistin, die sich selbst als Marxistin bezeichnet, sagte dem Tagesspiegel: Die IL sei keine linksradikale, schon gar keine sozialistische Organisation. Sie rekrutiere sich aus Wohngemeinschaften in der Innenstadt und werde von „Genderfanatikern und Völkerkundlern“ dominiert. Auch die Debatten in der Kampagne drehten sich oft um sexuelle Orientierung und Hautfarbe, weniger um Mieten und Lohnarbeit. Hinzu käme trotz wohlwollender Berichterstattung vieler Medien eine „Lügenpresse“-Attitüde, die an populistische Verschwörungsmythen erinnere.

Die IL-Vertreter versuchten „Sprachgebote“ durchzusetzen, schreibt der eingangs erwähnte Aktivist. Weil er vorgeschlagen habe, in Gesprächen mit potenziellen Unterstützern der Kampagne „etwas softer zu gendern“, also alltagstauglicher zu sprechen, sei er isoliert worden. Die IL teile Menschen in Gruppen ein, „sogar nach Hautfarben wird unterschieden“, betont werde „das Trennende und nicht das Gemeinsame“. Und: „Penibel wird über die Kontrolle der Online-Verteiler gewacht, sodass freier Meinungsaustausch untereinander unterbunden werden kann. Auch diese Mail wird deswegen längst nicht alle erreichen können, die sie soll“, schreibt der Aktivist. Ihm hätten IL-Vertreter den Zugang zu Online-Foren der Kampagne verwehrt, Passwörter ohne Rücksprache geändert. „Eine produktive Mitarbeit ist erst wieder möglich“, heißt es, „wenn die Interventionistische Linke ihren Anspruch auf Selbstermächtigung und Meinungsführerschaft abgegeben hat.“

Im September hatte Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) im Abgeordnetenhaus gesagt: „Der Verfassungsschutz hat keine Erkenntnisse, dass die Initiative ,Deutsche Wohnen & Co. enteignen‘ sich maßgeblich von Linksextremisten steuern lässt“, sie sei „kein Beobachtungsobjekt“ des Verfassungsschutzes. Akmann erwähnte aber, dass die IL in der Initiative mitmische.

Wie berichtet geriet „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ schon vor der Abstimmung in die Kritik. Eine Aktivistin hatte den Mitgründer, Michael Prütz, angezeigt: Gegen den 69-Jährigen wird wegen Verdachts der sexuellen Nötigung ermittelt. Er soll auf einer öffentlichen Veranstaltung im Juni, so der Vorwurf, die Hand der Frau an sein erigiertes Glied geführt haben. Prütz sagte, dies sei „frei erfunden“, er werde gezielt verleumdet.

Wenige Tage nach dem elektoralen Erfolg, als am 26. September 56 Prozent der Wähler für den von der Initiative durchgesetzten Volksentscheid stimmten, verließ einer der bekanntesten Aktivisten die Kampagne. Der frühere Rap-Label-Chef Marcus Staiger schrieb, die Initiative werde von „Moralaposteln“ mit „künstlicher Sprache“ dominiert, denen es „ums Aburteilen und Bestrafen“ derjenigen gehe, die ihre Linie nicht teilten. Ein Sprecher der Initiative teilte dazu mit, die erhobenen Vorwürfe hätten für die Kampagne derzeit keine Priorität. Auch für die IL-Aktivisten gilt die Unschuldsvermutung.

In diesen Tagen diskutiert die Initiative darüber, welche ihrer Vertreter mit dem Senat verhandeln sollen. Der erwähnte Aktivist schreibt dazu: Versuche der IL, „die Hoheit an sich zu reißen und damit die Verhandlungen nach ihrer ausgrenzenden Linie im Hinterzimmer zu dominieren“, sollten endlich offen thematisiert werden.

https://plus.tagesspiegel.de/berlin/genderfanatiker-und-voelkerkundler-aktivisten-warnen-vor-polit-sekte-bei-berliner-enteignungs-initiative-274906.html

passiert am 13.10.2021