Türschlösser von Gorillas-Filialen in Berlin verklebt
Unbekannte haben in der Nacht zu Freitag die Türen von mehreren Gorillas-Filialen verklebt. Für den Nachmittag ist eine Fahrraddemo angekündigt. Christoph Kluge
Am Freitagmorgen ist die Tür des Gorillas-Lagerhauses in der Muskauer Straße in Kreuzberg geschlossen geblieben. Davor standen einige Beschäftigte, die ihre Schicht nicht beginnen konnten. Eigentlich sollte die Filiale wie jeden Tag um 7:30 Uhr öffnen, doch noch eine Stunde später waren Bestellungen über die App nicht möglich.
Inzwischen läuft der Betrieb wieder. Der Grund für den Ausfall war diesmal allerdings kein Streik, sondern eine Klebstoffattacke. Unbekannte Täter:innen haben in der Nacht zum Freitag die Türschlösser mehrerer Filialen des Express-Lieferdienstes Gorillas verklebt.
Eine Gruppe, die sich „Leo & the siblings“ nennt, verschickte noch in der Nacht ein Bekennerschreiben und postete ein Video auf der Plattform Vimeo. Auch die Filiale in der Urbanstraße, die Neukölln beliefert, war betroffen.
Allerdings gelang es den dortigen Beschäftigten, die Haupttür zu öffnen und den Betrieb aufzunehmen. Kurz nach acht Uhr werkelte ein Mitarbeiter noch mit einer Flasche Multifunktionsöl am Schloss einer Seitentür herum. Nach Tagesspiegel-Informationen musste außerdem an einem Lagerhaus am Kaiserkorso in Tempelhof ein Schloss gewechselt werden.
Das Bekennerschreiben wirft dem Gorillas-Geschäftsführer persönliche Verantwortung für unfaire Arbeitsbedingungen vor: „Wir sind es leid, wie Kağan Sümer und das Management von Gorillas die Forderungen der Arbeiter_innen bei Gorillas ignorieren. Deshalb haben wir in der letzten Nacht auf den heutigen Aktionstag die Schlösser von mindestens 15 Lagerhäusern verklebt.“
Den mutmaßlichen Täter:innen zufolge sollen elf Filialen in Berlin betroffen sein, außerdem weitere in Dresden und in Amsterdam.
Täter rufen zur Unterstützung der Rider-Proteste auf
Das Video zeigt eine maskierte Person, die sich in der Nacht an einem Türschloss zu schaffen macht. In anderen Szenen ist zu sehen, wie diese Person auf einem Fahrrad am Lausitzer Platz in Kreuzberg vorbeifährt. Dort hängt seit einigen Wochen ein Transparent mit dem abgewandelten Schriftzug des Unternehmens: „Norillas“.
Die Person trägt dabei auch eine Papiertüte mit diesem Logo. Eine computergenerierte Stimme kommentiert die Bilder und ruft in englischer Sprache zur Unterstützung der „mutigen Beschäftigten“ von Gorillas und anderen Lieferdiensten auf.
Die Berliner Polizei teile dem Tagesspiegel am frühen Freitagnachmittag mit, dass bisher keine Anzeigen wegen Sachbeschädigung eingegangen seien. Auch bei der Polizei Sachsen liegen nach Auskunft einer Sprecherin bisher keine Anzeigen wegen der angeblichen Attacken in Dresden vor.
Sachbeschädigung ist ein Antragsdelikt. Das bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden nur auf einen Strafantrag hin aktiv werden, sofern nicht ein besonderes öffentlichen Interesse vorliegt. Letzteres ist hier offenbar aus Sicht der Behörden nicht der Fall. Der Politische Staatsschutz der Polizei ist nach Auskunft einer Sprecherin informiert, hat aber kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Demonstrationen für den Nachmittag geplant
Für Freitag hat der Verein „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ zu einem bundesweiten Aktionstag gegen schlechte Arbeitsbedingungen aufgerufen. Motto: „Proteste gegen Horror-Jobs und Union Busting bei Fahrrad-Lieferdiensten“. Der Begriff Union Busting bezeichnet die systematische Bekämpfung von Gewerkschaften durch Unternehmen, zum Beispiel die Behinderung der Bildung von Betriebsräten. Gorillas und andere Lieferdienste bestreiten diesen Vorwurf.
Ein Gorillas-Sprecher teilte am Freitag mit: “Die aktuellen Proteste richten sich gegen die gesamte Lieferbranche. Wir jedoch sehen uns als Gegenmodell zur Gig-Economy, haben festangestellte MitarbeiterInnen und unterstützen bedingungslos die Bildung eines Betriebsrats. Allerdings sind Sachbeschädigungen oder Störungen unserer Betriebsabläufe klare Grenzüberschreitungen und stehen deutlich entgegen unserem Verständnis von Dialog.”
Um 15:30 Uhr soll eine Fahrraddemo an der Kreuzberger Gorillas-Filiale in der Muskauer Straße starten. Die Route führt zur Zentrale des Restaurant-Bringdienstes Lieferando in der Cuvrystraße. Danach soll es weiter gehen zu dessen Konkurrenten Wolt in der Nähe des Ostbahnhofs. Letzte Station ist eine Gorillas-Filiale in der Friedrichshainer Gürtelstraße, die bereits vor einigen Wochen bestreikt worden war.
Laut Polizei ist die Fahrraddemo für 50 Teilnehmende angemeldet. Auch in anderen Städten sind für den Nachmittag Demos und Protestaktionen geplant, zum Beispiel in Hamburg, Köln, München und Stuttgart.
Schwerer Unfall am Mittwoch
Am Mittwochnachmittag ist ein Gorillas-Rider bei einem Verkehrsunfall in Charlottenburg schwer verletzt worden. Der Polizei zufolge ist der 29-jährige über eine rote Ampel an der Kreuzung Mommsen- Ecke Lewishamstraße gefahren. Dabei wurde er von einem Auto erfasst.
Der Radfahrer erlitt Brüche am Bein und an einem Wirbel sowie Blutungen im Gehirn. Der Rettungsdienst brachte ihn zur stationären Versorgung in ein Klinikum. Das Fachkommissariat für Verkehrsdelikte der Polizeidirektion 2 (West) hat die Ermittlungen zum Unfallhergang übernommen.
Das „Gorillas Workers Collective“, das seit Mitte Juni Proteste organisiert, bezeichnete die Gorillas-Geschäftsführung auf Twitter als „mitschuldig“ an dem Unfall. Seit Wochen bereits kritisiert das Kollektiv: Die Beschäftigten stünden unter großem Leistungsdruck, die Fahrräder seien zum Teil schlecht gewartet und gefährlich. Die Geschäftsführung hat diesen Vorwürfen wiederholt widersprochen.
Unterdessen expandiert Gorillas weiter. Der Lieferdienst ist inzwischen neben Deutschland auch in den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Belgien, Italien, Spanien und den Vereinigten Staaten vertreten. Kürzlich wurde mit der US-Amerikanerin Deena Fox eine erfahrene Personalexpertin in die Geschäftsführung geholt. Fox war zuvor unter anderem bei Amazon tätig gewesen.
Doordash will Gorillas kaufen, aber wenig zahlen
Doch das umstrittene Unternehmen hat offenbar ernsthafte Probleme beim Einsammeln dringend benötigter Investorengelder. Einem Bericht der Financial Times zufolge musste der Geschäftsführer Kağan Sümer seine Erwartungen deutlich nach unten korrigieren. Demnach strebte Sümer ursprünglich eine Bewertung von sechs Milliarden US-Dollar an, doch inzwischen wird Gorillas nur noch mit 2,5 Milliarden bewertet.
Der US-Lieferdienst Doordash habe sogar Interesse am Kauf des gesamten Unternehmens geäußert, allerdings zu einem vergleichsweise niedrigen Preis, schreibt die Financial Times und beruft sich auf Insider.
Offenbar zweifeln Investoren auch an Sümers Führungsqualitäten. Der Gorillas-Chef musste kürzlich in einem Interview mit dem Tech-Magazin The Information zugeben, einen früheren Job bei einem anderen Start-up wegen Drogenkonsums verloren zu haben. Er habe in der Vergangenheit „leistungssteigernde Mittel“ genommen, sagte Sümer dort, tue das heute aber nicht mehr.
Zuletzt war Sümer durch eine seltsame Rundmail aufgefallen, in der er die Beschäftigten dazu aufrief „Geist und Flamme“ zu sein. Gorillas äußert sich generell nicht zu Finanzierungsrunden und diesbezüglichen Gerüchten.
passiert am 13.08.2021