DWE ade?! Wer zu oft Recht hatte ohne Konsequenzen hat trotzdem Unrecht.
Eine anarchistische Position zu „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
Am 26. September steht in Berlin das große Wahlspektakel an. Die Leute sollen sich eine neue Regierung wählen. Gleichzeitig wird auch über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) abgestimmt. Warum wir uns weiterhin nichts vom Parlamentarismus versprechen aber trotzdem für DWE stimmen werden, warum DWE ein sozialdemokratisches Projekt ist aber trotzdem ein richtiger Schritt sein kann, warum wir uns nicht auf die Kader hinter DWE verlassen können sondern unsere eigene Perspektive aufzeigen müssen – darum soll es in den nächsten Zeilen gehen.
0. Endlich eine Debatte
Während wir diese Zeilen schreiben, erscheint auf Kontrapolis ein Debattenbeitrag zur „Kritik an Kampagne: Deutsche Wohnen kaufen“ (https://kontrapolis.info/4395/). Die Debatte um DWE aus anarchistischer Perspektive scheint damit eröffnet. Angestoßen wurde das durch Perspektive Selbstverwaltung und den Rauswurf eines Unterschriftensammlers für DWE beim Kronstadt Kongress (https://perspektivesv.noblogs.org/post/2021/06/22/statement-dwe-kronstadt-kundgebung/). Hier setzen wir gerne an.
I. Alles schon mal gehabt
Ein erfolgreiches Volksbegehren in der ersten Phase, „das den Bürgern gefiel“, schreibt die taz. Eine junge Bewegung, der große Hoffnungen gemacht werden. Handfeste Erfolge, in Gesetz gedruckt, für alle Mieter*innen der Stadt gültig. Beim Unterschriften sammeln kommen statt der benötigten 20.000 mehr als das Doppelte zusammen. Nein, nicht DWE sondern der Mietenvolksentscheid 2015. Die erste große Kampagne einer Gruppe Aktivist*innen von IL, über Linkspartei bis Kotti & Co. Eine angedrohte Verfassungsklage und ein paar Verhandlungen im Hinterzimmer mit den Regierungsparteien bleibt nicht viel übrig: „Als Revoluzzer gestartet, als Erfüllungsgehilfen der SPD geendet.“ Denn die Initiative dahinter hatte einen „Kompromiss“ ausgehandelt. Einige Linke sprachen eher von einem Verrat. Wie gut der Kompromiss funktioniert hat zeigt die heutige Lage des Wohnungsmarktes. Die Bewegung war gelähmt, viele aktive Mieter*innen zogen sich gefrustet wieder zurück. Der Volksentscheid wurde eine Niederlage.
Was das mit „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zu tun hat? Nun: Es sind die gleichen Leute. Leute, die seit jeher eng mit Linken und Grünen zusammenarbeiten oder von denen über Stiftungen sogar bezahlt werden. Das macht sie für uns nicht zu erbitterten Feind*innen aber auch nicht zu Menschen denen wir vertrauen sollten.
DWE ist ein sozialdemokratischer Reformversuch, aber keine Enteignung. Enteignen würde für uns bedeuten, den Profit zu enteignen. Beispielsweise hat Deutsche Wohnen den Kaufpreis der ehemalig landeseigenen Häuser (GSW) von 2004 längst wieder drin. Der Abkauf durch die Stadt würde zwar zukünftige Gewinne ausschließen, mit dem Kapital kann aber leicht auf einem anderen Markt wieder zugeschlagen werden. Leipzig soll ja im Kommen sein haben wir gehört.
Doch gleichzeitig müssen wir anerkennen: Die Richtung stimmt. Ohne eine Enteignung der Wohnungskonzerne wird es nicht klappen, ohne die Vergesellschaftung von Wohnraum wird die Verdrängung weitergehen. DWE ist keine Enteignung, aber ein Schritt in die Richtung.
II. Reform vs. Revolution
Viele Anarchist*innen haben ein ambivalentes Verhältnis zu Reformen und Forderungen, das immer wieder unsere aktuelle Schwäche verdeutlicht. Einerseits predigen wir eine radikale aber oft abstrakte Kritik an den Grundsätzen der Gesellschaft. Diese Kritik weist ausgenommen von konkreten Kämpfen (Google Campus verhindern, bedrohte Projekte erhalten oder Zwangsräumung verhindern) in ihrer Komplexität meist in eine revolutionäre Zukunft. Fragen uns Menschen nach unseren Ansätzen um dieses oder jenes Problem zu lösen holen wir – und das hat ja auch berechtigte Gründe! – groß aus und erklären, dass sich das erst verändert wenn wir das Patriarchat überwunden, den Eigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und Räte in allen Nachbarschaften installiert haben. Knäste auflösen klappt nur wenn wir den Kapitalismus überwinden. Damit haben wir vielleicht Recht, weiter bringt uns das – ohne eine konkrete Strategie – trotzdem nicht. Wenn wir keinen revolutionären Weg vorzeichnen können sondern ihn nur an den Horizont projezieren verlieren wir irgendwann selbst den Glauben daran.
Andererseits entstehen daraus zwei verschiedene Perspektiven in der anarchistischen Bewegung und der radikalen Linken: Entweder lehnen Menschen Reformen grundlegend ab oder verfallen ihnen aus Mangel an anderen Perspektiven. Ein strategisches Verhältnis ihnen gegenüber fehlt oft.
Denn der naive Glaube an Reformen ist gefährlich: Wenn der Staat Protestbewegungen entgegenkommt, ihre Wut in Papier umwandelt dann meist um sie zu befrieden. Dazu kann der Staat sie selbst jederzeit zurücknehmen. So lange unsere Gegenmachtstrukturen nicht genug ausgebildet sind, werden wir uns der staatlichen Logik jedoch nicht voll entziehen können. Wenn wir reale Verbesserung wollen, nicht der Elendstheorie folgen und nicht auf die marxistische Naturgegebenheit der Revolution warten können, dann liegt es auch an uns der Regierung Reformen abzuringen. Nicht von oben, nicht mit ihnen zusammen, sondern als Zugeständnisse an eine revolutionäre Bewegung. So wurde der 8-Stunden-Tag erkämpft, so das Frauen*wahlrecht. Es geht nicht darum über Reformen zum Ziel zu kommen, wie es die Sozialdemokratie sich einbildet. Es geht darum eigene Stärke zu gewinnen, als Bewegung die Mächtigen vor sich her zu treiben. Es geht darum reale Erfolge zu erzielen, ohne die keine Bewegung überlebt. „For reforms, not reformism“ wie Thomas Giovanni schrieb.
Genau das könnte DWE sein, doch genau hier zeigen sich auch beispielhaft die unterschiedlichen Haltungen: Teile der radikalen Linken lehnen das Volksbegehren grundsätzlich ab. Hier gehören z.B. die anonymen „Kritiker*innen an Deutsche Wohnen & Co. kaufen“ dazu. Sie sehen grundsätzlich keine Hoffnung im Parlamentarismus, argumentieren, dass „nur mit einer Unterschrift niemand enteignet wird“. Sie werfen DWE – durchaus nachvollziehbar – vor, die Leute zu verarschen. Auf der anderen Seite unterstützen auch viele aus der radikalen Linken DWE, engagieren sich in den Kiezgruppen und freuen sich endlich mal mit vielen Berliner*innen beim Sammeln ins Gespräch zu kommen. Diskursveränderung, neue Basisarbeit oder einfach die aktuell erfolgsversprechenste Kampagne, die Gründe sind vielseitig.
Wir wollen diese beiden Positionen zusammenführen.
III. Den nächsten Schritt schon denken
Als Fridays for Future 2019 plötzlich entstand, war das nicht ohne die Kämpfe um den Hambi möglich. Sie hatten den Boden gesetzt in einer günstigen Zeit. Als an Pfingsten 2018 #besetzen gleichzeitig 10 Häuser in ganz Berlin besetzte und ein „Frühling der Besetzungen“ ankündigte, war dies vielleicht das erste mal seit den 1990ern, dass die Parole „Den Häusern denen die drin wohnen“ mit Leben gefüllt wurde. Auch DWE ist ohne die Radikalisierung der Mieter*innen und der kleinen Besetzungsbewegung nicht denkbar. Es war der logische Schritt reformistischer Kräfte.
Gleichzeitig wäre ein Scheitern fatal: Der Bruch für die Mieter*innenbewegung wäre nur schwer auffangbar. Das hat auch schon der Volksentscheid 2015 gezeigt. Genau deshalb rufen wir dazu auf: Wählt keine Regierung, keine Partei – aber wählt DWE! Doch dann geht es für uns erst richtig los.
Bei einem Wahlerfolg für DWE ist nämlich noch gar nichts gewonnen. Der Volksentscheid ist kein „Gesetzesvolksentscheid“ bei dem direkt ein Gesetz verabschiedet wird. Sondern mehr ein besonders starker Willensausdruck. Doch wir sind uns sicher: Egal wer an die Regierung kommt – niemand wird die Pläne von DWE einfach umsetzen. Die Grünen geben das sogar schon zu. Was wir stattdessen erwarten können sind jahrelange Verzögerungstaktiken, juristische „Prüfungen“ und sonstiger Käse. Niemand darf so naiv sein, dass ein Wahlerfolg bedeutet, dass DWE & Co. 2022 der Stadt gehören.
Doch viele werden das tun. Und in der Logik der liberalen Demokratie haben sie jedes Recht dazu! Die Bevölkerung stimmt ab und trotzdem wird es nicht durchgesetzt – der Vertrauensbruch in den Parlamentarismus könnte nachhaltig sein. Hier können wir ansetzen und ihn vergrößern. Warum nicht Ultimaten stellen an die Regierung, die den Volksentscheid nicht umsetzt? Warum nicht ankündigen: Wenn ihr innerhalb von einem halben Jahr nichts macht – dann wird es Massenmobilisierungen, Blockaden, Besetzungen o.ä. geben? Das sind die konkreten Kämpfe die wir brauchen.
Atopic & Perspektive Selbstverwaltung
August 2021
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