„Die Waffen der Inhaftierten sind nun mal ein Stift und Papier.“

Zwei Berichte von der Familie von Kay: der erste über ihren ersten Knastbesuch seit Langem, der zweite über ihre Gefühle aus der Zeit, in der Kay in Moabit sitzen musste – was es bedeutet, eingepserrt zu sein, was es bedeutet, den Sohn nicht mehr sehen zu können, was Angehörige fühlen und wie sich der Knast auf Beziehungen auswirken kann. Und was es bedeutet zu kämpfen.
Alle Artikel zum Thema „Verlegung von Moabit nach Wulkow“ findet ihr hier.

1. Bericht: Auch, wenn wir nicht alle Aussagen teilen würden, wie beispielsweise die Unschuldsbeteuerung, veröffentlichen wir an dieser Stelle den Brief im Original und unverändert, weil wir diese hier beschriebene Emotionalität nicht schneiden wollen:

Um fünf Uhr morgens klingelte der Wecker und die Nacht war zu Ende, trotz unseres Urlaubs. Der ersehnte Besuch bei Kay stand bevor. Unseren Kämpfer endlich mal live sehen, nach über 14 Monaten. In der JVA Moabit klemmten wir uns die Besuche, die Voraussetzungen waren/sind dort erbärmlich und auf die Covidverordnungen nahmen/nehmen sie keine Rücksicht.

Wir (mein Mann und ich) fuhren früher los, da wir die Verkehrslage um diese Zeit nicht kannten. Unsere Strecke führte uns durch das schöne Land Brandenburg, vorbei an satten grünen Wiesen, gelben Feldern voll Rapspflanzen. Das Wetter spielte mit, die Sonne schien und der Himmel war hellblau. Wir fuhren durch verschlafene Nester, in diesen will kein Hund begraben sein. Ich bin nun mal ein Großstadtkind und werde es bleiben. Ich schaute verträumt aus dem Fenster vom
Beifahrersitz und ließ meine Gedanken freien Lauf. Die Bäume huschten an mir nur so vorbei, ich wurde ruhiger und genoss diese Eindrücke.

Nach einer gefühlten Ewigkeit nahmen die Baumreihen ein jähes Ende und ich sah nur grauen Beton. Die Mauern schienen mir höher zu sein, als die der damaligen Mauer um Westberlin. Meine Ruhe war dahin und in mir stieg die Wut und der Hass empor. Scheiß Knast!!
Wir verweilten noch eine knappe Stunde auf dem Parkplatz, hieß es doch wir sollten um 8.00 Uhr erst vor Ort eintreffen. Vor Ort gingen einige Menschen in den Personaleingang und grüßten uns freundlich. Überrascht verschlug es und die Sprache, wir nickten nur. Was ist hier los??? Von Kay seinen Erzählungen wussten wir ja schon, dass die Schlusen dort anders ticken und noch ein Herz haben.

Nun betraten wir den Knast, kurzes Gespräch und dann hinein in die Schleuse. Krankheitsbedingt darf ich eine Begleitperson mitnehmen. Vorher bekamen wir noch Infoblätter zu Covid19 die wir ausfüllen mussten und Einmalhandschuhe. Danach der Sicherheitscheck und alle verbotenen Sachen einschließen. Bei der Körpertemperaturmessung gab es ein kleines Hallo. Ich hatte erhöhte Temperatur, konnte es aber durch die gestrige Covidimpfung erklären. Am Automat zogen wir für Kay Getränke und Naschzeug. Eine Münze blieb stecken und der Mitarbeiter schloss den Automaten auf und setzte diesen wieder in Gang. Die Münze bekamen wir wieder zurück und setzten unseren Einkauf fort. In Moabit den selben Vorfall damals gehabt und die dortigen Schlusen sagten uns nur, wir müssen uns an den Betreiber wenden. Handynummer steht am Automaten, wie immer geist- und sinnlos von denen. Wir mussten ja alles abgeben und hatten kein Stift und Papier bei uns. Moabit halt.

Dann ging es in den Besucherraum und dort saß unser Bengel. Wir begrüßten uns aus der Ferne und setzten uns hin. Innerlich zerriss es mich, Wechselbad der Gefühle. Eine Mutter will ihren Sohn in den Armen halten/nehmen dürfen und ihn mal richtig knuddeln. Tränen ließen wir nicht zu, haben die Schlusen nicht verdient. Körperbeherrschung pur und nicht leicht. Er musste sich nun beeilen die mitgebrachten Waren aus dem Automaten innerhalb von einer Stunde zu verzehren. Also Speedessen und Getränke kippen. Wir bestellten ihm liebe Grüße von Allen. Er erhielt auch schon kämpferische und solidarische Post von einigen Vereinen und
Orgas. Die Typen aus Moabit schafften es sogar seine Post nachzusenden, meine war nicht dabei, warum? Keine Ahnung. War denen bestimmt zu weit links. Penner dort.

Aber wir kämpfen weiter gegen Guantanamo Moabit. Auch wenn Kay nicht mehr dort drinnen um sein Leben bangen muss, ist sein Kampf noch nicht vorbei. Wir beenden den Kampf und nicht der Knast!

Kay trank und stopfte sich die Gummibärchen und Kekse in sich hinein und kippte seine Cola. Auf gut deutsch, fressen und saufen bis der Arzt kommt. Er darf die restlichen Artikel nicht mit in seine Suite nehmen. Zum Ende der Besuchszeit sprachen wir noch die Modalitäten für den nächsten Besuch ab. Zum Abschied berührten sich unsere Finger, getrennt durch die Plexiglasscheibe. Mein Mann nahm dann mal gleich die Faust. Zufrieden trennten sich unsere Wege und ich gab Kay noch mit auf dem Weg sauber zu bleiben. Nach dem Motto Leben und leben lassen. Gilt für beide Seiten im Knast.

Alle Mitarbeiter trugen MNS oder FFP2 Maske und mein Mann bekam sogar eine neue FFP2 Maske gereicht. Beim Verlassen des Gebäude war ich erst in der Lage mir diesen Knast richtig anzusehen. Eigentlich abartig darüber jetzt positive Wörter zu verlieren, aber was ich sah, sah sehr gepflegt aus. WC ́s sauber, Treppenhaus und Räumlichkeiten ebenso. Nichts abgewracktes wie in Moabit! Die Anlage macht einen gepflegten Eindruck, werden ja durch die Insassen gepflegt. Dennoch ist es ein Knast und auch der muss weg.

In Moabit hatte man tagtäglich das Gefühl, man müsse sich bei den Schlusen entschuldigen dass man lebt und ein Kind gebar, welches nun dort einsitzt. Dort spürte man, dass die Schlusen keinen Bock hatten und nur genervt waren. Auch wir als Angehörige bekamen den geballten Frust von denen ab. Zum Glück ist Kay dort raus und kann nun wieder freier atmen. Mal sehen wie sich dann dort die
Stimmung gegen ihn verändert wenn seine Akte aus Moabit dort eintrifft.

Auf dem Rückweg grübelte ich dann nur, wie man das alles hätte verhindern können. Sein Prozess war der absolute Hammer, nur Unwahrheiten und Hirngespinste von den Richtern und dem Staatsanwalt. Wie schnell es doch geht, wenn die Justiz einen greift und dann verurteilt. Deutschland ist voll mit Justizirrtümern.

Nach wie vor bin ich der Meinung, dass die Knäste nicht mal im Ansatz die hoch gelobte Resozialisierung durchführen. Knäste desozialisieren und zerstören Leben. Die Resozialisierung müsste namentlich in Wiederherstellung umbenannt werden und der Inhalt auf den Alltag in Freiheit angepasst werden.

Ihr zerstört Leben und vernichtet Existenzen. Leute werden in den Selbstmord getrieben oder sogar von euch gefoltert und getötet. Die medizinische Versorgung ist eh das Letzte in den Knästen, für alles gibt es Iboprofen und damit ist es getan.
Ich hasse die Justiz, den Knast und das System!!!
Sich in andere Menschenrechtsverletzungen weltweit einmischen, ja das kann der Deutsche! Schaut lieber mal hinter diesen dicken Mauern und seht was in deutschen Knästen abgeht.

Mal sehen was der Knast Wulkow noch zu bieten hat und wie sich die Schlusen dort Kay gegenüber verhalten. Bis jetzt um Welten besser als der Knast Moabit.
Dennoch UNSCHULDIG inhaftiert.
Grüße an Alle von Kay.

2. Bericht:

Letztes Jahr im März wurde unserem Sohn die Freiheit genommen. Ab sofort entschieden andere Menschen für und über ihn. Einen normalen Alltag gab es für ihn und auch für uns nicht mehr. Ab sofort ein fremdbestimmtes Leben für den Sohn.

Die Welt, wie wir sie kannten, war zerstört.

Wir lebten aneinander vorbei und jeder von uns staunte nur, was ein Elternteil doch so aushalten kann und muss. Wir versuchten für unseren Sohn stark zu bleiben. Aus unserer Verzweiflung entwickelte sich zum Glück sehr schnell Wut und Hass. Vertrauen in die deutsche Justiz war und ist unendlich zerrüttet und wird in diesem Leben nicht mehr zu kitten sein. Wir wollen es auch nicht!

Er musste sich jeden Morgen bei uns melden, damit wir wussten er lebt noch. Makaber, aber in diesem Knast leider zur Routine geworden. Ich beendete den letzten Anruf immer mit den Worten: “ Pass auf dich auf!“

Die Insassen nennen die morgendliche Runde der Schlusen „Lebendkontrolle“, lass ich mal so unkommentiert stehen. Gedanken sind frei.

Wir suchten uns zeitnah zuverlässige Ansprechpartner und fanden sie in Criminals for Freedom. Dort bekamen wir sehr schnell freundliche, solidarische und aufmunternde Worte. Ab diesem Zeitpunkt war uns klar, wir gehen den steinigen Weg gemeinsam und fühlten uns angenommen und wohl. Wir sind die Generation die sich schon immer behaupten und für alles kämpfen musste. Die Chemie stimmte und wir legten los.

Zu wissen, dass unser Sohn nun 23 Stunden am Tag in einer verschlossenen Zelle überleben muss, war für uns kaum auszuhalten. Sehr schnell kam die hässliche Fratze der Justiz und seinen Handlangern zum Vorschein.

Viele reden zur jetzigen Zeit über die Einschränkungen der Grundrechte, dabei wissen die Wenigsten, dass es diese für die Inhaftierten im Knast kaum noch gibt. Diese Freiheiten leben die Mitarbeiter der JVA nach ihrem eigenen Ermessen aus. Sprich sie haben einen Freibrief um die Gefangenen zu sanktionieren, willkürliche repressive Maßnahmen an den Tag zulegen. Ermessensspielraum nennen sie es. Viele seiner Briefe wurden vernichtet und seine Vormelder, die er schrieb waren spurlos verschwunden. Teilweise sogar mit Ansagen der Schlusen. Wer der deutschen Sprache nicht mächtig war und ist, hat sowieso verloren. Es wird und wurde im Knast geschlagen, gefoltert und im schlimmsten Fall verlieren die Gefangenen ihr Leben.

Er fing an sich zu wehren und für uns war dies eine Verpflichtung ihn zu unterstützen. Gemeinsam kämpften und kämpfen wir Seite an Seite mit den unter-schiedlichsten Orgas und Vereinen. Er erhielt dadurch eine Stimme nach außen. Trotz Repressionen, Folter und Sanktionen blieb er stark. Hast sich nicht biegen und brechen lassen. Seine Art und Weise machte uns stark und nun gingen und gehen wir diesen Weg gemeinsam. Durch die gelebte, lautstarke Solidarität von den Leuten jenseits der Knastmauern schöpfte er neue Kraft und kämpfte weiter. Mit dem Knast Moabit ist er noch nicht durch, es sind noch einige Probleme, die er abarbeitet. [Anmerkung C4F: wir werden berichten]

Besuche fanden unserseits nicht statt, er sollte lieber mit seiner Freundin skypen. Die Coronainfektionsschutzverordnung wurden eh im Knast nicht eingehalten und wir hatten keine Lust uns zu infizieren. Pforte 7 ist vergleichbar mit dem Eingang zur Hölle. Dort bekamen wir jedes mal das Gefühl wir müssen uns entschuldigen für unser Kind. Der Wäschewechsel war dort immer spannend, man wusste nie wie die Launen der Typen dort waren und was sie sich wieder einfallen lassen würden. Ewig stehen lassen vor dem Ausgang im Hof war das kleinere Übel. Einfach nur abartig. Beschwerden per Mail wurden seitens der Leitung immer ignoriert.

Während seiner 14 Monate in diesem Knast musste er erleben, wie zwei Menschen ihr Leben verloren haben. (Dunkelziffer könnte höher sein) Wäre die deutsche Justiz und ihre Mitarbeiter ihrer Arbeit anständig nachgegangen, hätten Beide noch leben können. Dank seiner Ausbildungen war er in der Lage die Rettungskette beim Versuch Ferhat M. zu retten zu erkennen. Durch Gespräche mit Inhaftierten kam dann das Unvorstellbare ans Tageslicht. Der Solidarität der Gefangenen untereinander ist es zu verdanken, dass das grausame Erlebnis an die Öffentlichkeit gelangte. Die Repressalien danach ertrug er mit Stolz und Würde.

Er hat diesen tödlichen Knast mit erhobenem Haupt verlassen und wir sind stolz auf ihn.

Sein Kampf geht weiter und er weiß, er ist nicht alleine!
Dieses gibt ihm Kraft zum Durchhalten und dadurch stärkt er uns. Wir sind im Herzen mit ihm verbunden.

So haben wir unseren Bengel erzogen, er gibt uns aus dem Knast die Kraft weiter durchzuhalten. Er hat in diesen Knast Moabit seine Spuren hinterlassen und die anderen Gefangenen haben mitbekommen und erkannt, wie man sich wehren kann.
Die Waffen der Inhaftierten sind nun mal ein Stift und Papier.

Wir danken dir, deine Eltern.

Anmerkung C4F: Auch wir wollen uns an dieser Stelle bei den Eltern und natürlich bei Kay bedanken! Ohne euch wäre einiges nicht möglich gewesen, viele Informationen, Dreistigkeiten des Knastes und Taten, die sie verschweigen wollen, wie die Ermordung von Ferhat Mayouf, hätten den Knast niemals verlassen. Wir werden weiterhin Seite an Seite, gegen Knäste und den Staat, kämpfen!

passiert am 29.05.2021