Die rabiaten Methoden von »Mister Friedrichshain«

Der Investor Gijora Padovicz kauft in Berlin alte Gebäude auf, um sie zu sanieren und teuer zu vermieten. Dafür müssen langjährige Mieter weichen. Der rot-rot-grüne Senat schaut tatenlos zu.

Ein Gründerzeithaus in Berlin-Friedrichshain, am Fallrohr der Regenrinne hat jemand die Winkelstücke abgebaut, im Hof platzt der Putz ab, kalte Luft steht im Treppenhaus. Die Briefkästen im Aufgang sind abmontiert, nur einer hängt noch: Im Vorderhaus wohnt eine einzige Partei.

Anna Schneider(*), ausgebildete Erzieherin, lebt mit zwei Mitbewohnern auf 111 Quadratmetern. 840 Euro Miete zahlen sie, dazu Strom und eine recht hohe Gasrechnung. An der Haustür ist das Schloss kaputt, morgens kommt eine Weile braunes Wasser aus den Leitungen. Alles in allem aber, sagt Schneider, sei die Wohnung perfekt. Jeder habe ein Zimmer, in die Küche passe eine Sitzecke. Vor allem: Sie können sie sich leisten.

Daher kämpfen sie seit dreieinhalb Jahren darum, bleiben zu können. Ihr Gegner ist ein mächtiger Mann: Gijora Padovicz, auch »Mister Friedrichshain« genannt. Nach zurückhaltenden Schätzungen besitzt er in Berlin mehr als 3000 Wohnungen, als Eigentümer oder über seine Firmen. Er selbst äußert sich dazu nicht. Zuletzt schaffte es Padovicz im Oktober in die Schlagzeilen, als die Polizei sein Gebäude in der Liebigstraße 34 von Besetzern räumte.

Es war nur das spektakulärste Beispiel einer Auseinandersetzung, die in der Hauptstadt seit Jahren tobt und symptomatisch für Ballungsräume in Deutschland ist: Die Mieten steigen, Spekulanten nutzen die große Nachfrage aus, erschwinglicher Wohnraum wird selten – und die Politik versagt, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Der rot-rot-grüne Senat in Berlin versuchte es mit einer Mietpreisbremse, die aber handwerklich schlecht gemacht war und vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. Spekulanten wie Padovicz haben seitdem wieder weitgehend freie Hand.

In Friedrichshain-Kreuzberg, einst ein alternativ geprägter Bezirk, wohnen die allermeisten der rund 290.000 Einwohner zur Miete, weit mehr als im Bundesdurchschnitt. Auch hier sind die Mieten in den vergangenen Jahren explodiert. Wer heute eine Wohnung für unter 14 Euro pro Quadratmeter findet, hat Glück. Viele Mieterinnen und Mieter wehren sich gegen diese Entwicklung. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung sieht in dem Bezirk »eines der globalen Epizentren der Mieterbewegung«.

Auch Anna Schneider und ihre WG kämpfen, und zwar vor Gericht: Dreimal schon hat ihr Vermieter sie verklagt, zwei Prozesse hat die WG gewonnen. Klägerin ist die Siganadia Grundbesitz, die zum Firmengeflecht von Padovicz gehört. Sie plant umfangreiche Bauarbeiten im Haus, die Mieter sollen für eine Weile in bereitgestellte Ersatzwohnungen ziehen.

Anna Schneider sagt, sie habe nichts gegen eine Instandsetzung. »Auch eine energetische Sanierung wäre toll«. Sie wäre sogar bereit, etwas mehr für die Wohnung zu zahlen, nach der Sanierung würde ja die Gasrechnung sinken.

Das fast leere Haus steht in einem »sozialen Erhaltungsgebiet«. In solchen Gebieten will die Stadt verhindern, dass Mieten zu schnell steigen, Häuser luxussaniert und Mieter verdrängt werden. Instandhaltungen gehören auch hier zu den Pflichten von Vermietern, planen sie aber bauliche Veränderungen oder Modernisierungen, müssen diese von den Behörden genehmigt werden. Stehen in Berlin Wohnungen länger als drei Monate leer, gilt das als Zweckentfremdung. Regeln, die auf dem Papier gut klingen. Die Realität sieht anders aus.

Vier »Modernisierungsankündigungen« hat die Siganadia der WG bereits geschickt. Längst fällige Reparaturen wurden angekündigt, für die ohnehin der Vermieter aufkommen müsse, sagt Schneider. Über den vorgesehenen Einbau einer Badewanne lacht sie: »Wir haben schon Dusche und Wanne.« Die geplanten bodentiefen Fenster, so bestätigte es ihr das Bezirksamt schriftlich, verstießen gegen die Regeln des Milieuschutzes.

Die WG wehrte sich, auch weil die Ersatzwohnungen aus ihrer Sicht nicht für drei Mieter passten oder zu weit weg waren. Vor allem aber: Die voraussichtliche Miete sollte nach Vorstellung des Vermieters ursprünglich von 642 Euro kalt auf fast 1900 Euro steigen.

Die ersten beiden Klagen auf Duldung der Modernisierung wurden abgewiesen, weil die Siganadia für ihre Vorhaben nicht einmal Bauanträge gestellt hatte: nicht für den zweiten Balkon, den Einbau eines Fahrstuhls, den geplanten Dachausbau. Doch trotz der gerichtlichen Niederlagen geht die Strategie des Vermieters offenbar auf: Mit ihrem Widerstand steht die WG allein auf weiter Flur.

Schon nach der ersten Modernisierungsankündigung, erzählt Schneider, seien etliche Nachbarn ausgezogen. Sie hatten Angst vor dem Rechtsstreit, den Kosten für den Anwalt, vor Lärm und Dreck. Schneider dagegen ist im Mieterverein. Sie wehrte sich und ließ sich auch von seltsamen Ereignissen nicht einschüchtern.

Das leere Haus ist hellhörig, einmal schreckte Anna Schneider in der Nacht auf, an den Briefkästen machte jemand Lärm. Sie lief hinunter, ein Mann stand da und sagte, er wohne hier. Schneider hatte ihn schon häufiger in einem der leeren Ladenlokale gesehen. Er sei für »den Abriss« zuständig, habe er erzählt. Der Mann sprach mit deutlichem Akzent.

Nachdem die Liebigstraße 34 geräumt wurde, tauchten Videoschnipsel im Internet auf. In einer Szene bedrohten vier Männer mit Schaufeln und Holzlatten einige Frauen. Der Anführer fuchtelte mit einer Eisenstange, brüllte derbe russische Flüche. Anna Schneider erkannte ihn, es war der lärmende Mann an den Briefkästen. Das Landeskriminalamt ermittelt gegen ihn, Abteilung 4, »Organisierte Kriminalität«. Gijora Padovicz lässt über seinen Anwalt mitteilen, er habe nichts mit diesem Mann zu tun.

Es sind solche Geschichten, die den Mietern Angst machen. Hinzu kommt, dass Padoviczs Unternehmen bereits vor der Einführung des Berliner Mietendeckels die politischen Absichten offenbar konterkarieren wollten. In einem Standardmietvertrag war etwa ein Passus enthalten, wonach die Vertragsparteien darin »übereinstimmen«, dass das Gesetz zum Mietendeckel »verfassungswidrig« sei – lange bevor Karlsruhe darüber urteilen konnte. »Der Mieter erklärt ausdrücklich«, heißt es, »dass er auf etwaige Rechte aus einem die Wohnraummiethöhe regelnden Berliner Landesgesetz verzichtet«, bis das Gesetz höchstrichterlich entschieden sei. Wer den Vertrag nicht unterschrieb, bekam keine Wohnung.

Benedict Ugarte Chacón, Jahrgang 1978, hatte keine Angst. Er mietete 2006 eine unsanierte Wohnung für damals knapp 280 Euro. Er machte sich nichts daraus, dass die Haustür kaputt war oder der Briefkasten kein Schloss hatte. Als aber der Wasserhahn leckte und sein Boiler nicht mehr funktionierte, schickte er ein Einschreiben mit anwaltlicher Drohung – er hatte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Als ihm die Hausverwaltung schließlich eine Modernisierungsankündigung schickte, legte er Einspruch ein.

Das Fenster im Arbeitszimmer steht weit offen, Ugarte erzählt, wie es ist, wenn man sich gegen Padovicz wehrt. Während er sich vor Gericht mit dem Vermieter stritt, begann dieser bereits mit der Luxussanierung. Die Bauarbeiten machten das Haus quasi unbewohnbar. Müll wurde nicht mehr abgeholt, das Wasser zeitweilig abgedreht. Das Treppenhaus verdreckte, der Keller lief voll Wasser. Ugarte machte Fotos, auch von den Rissen in der Decke seiner Wohnung. Er beschwerte sich bei der Hausverwaltung, beim Bezirk, Antwort bekam er nicht.

Als der Schornstein abgedeckt wurde, drückte Qualm in die Wohnung, ruinierte Möbel und Teppiche. Ratten tummelten sich im Hof, Arbeiter warfen Wannen aus den Fenstern: Bald hielt es kaum noch jemand aus, fast alle Nachbarn zogen weg, wohl auch, weil sie einen Rechtsstreit mit dem Vermieter fürchteten. Padoviczs Anwalt teilt mit, diese Schilderungen seien insgesamt »vollständig unzutreffend«.

Ugarte wunderte sich über die »fette Klage«, die ihm zugestellt wurde. Gleich am ersten Verhandlungstag allerdings wurde sie teilweise wieder zurückgezogen. Sie sollte ihm, glaubt er, Angst machen, genauso wie die Strafanzeigen, die ihm die gegnerische Anwältin in der Vergleichsverhandlung angedroht habe. Die Anwältin beantwortete Fragen dazu nicht, Padoviczs Anwalt schreibt: »Mein Mandant hat zu keinem Zeitpunkt und keiner Person gegenüber das Gefühl der Angst erzeugt.«

Nach einem fast vier Jahre dauernden Rechtsstreit war denn auch Ugarte zermürbt und stimmte einem Vergleich zu. Er hätte die Arbeiten am Haus abwarten und auf Wiederinstandsetzung des ursprünglichen Grundrisses seiner Wohnung klagen müssen. »Darauf hatte ich keinen Bock«, sagt er. Heute werden in dem Haus einige der sanierten Wohnungen teuer möbliert vermietet.

Warum aber duldeten Politik und Behörden jahrzehntelang das Treiben des Immobilienmoguls? »Dass Padovicz so rabiat mit Mietern umgeht, wussten alle.« Werner Oehlert macht eine Pause. Auch in der Verwaltung des Bezirks, des Senats? »Absolut.« Oehlert hat einen guten Überblick, 37 Jahre lang war er Geschäftsführer der Asum GmbH, die für den Bezirk Mieter berät. Mittlerweile ist er Rentner.

Oehlert kennt eine Liste, die vor ein paar Jahren über seinen Tisch ging: Demnach haben Padoviczs Unternehmen für mindestens 110 Gebäude öffentliche Förderung bekommen. Padovicz, erklärt Oehlert, habe der Stadt zwei Probleme vom Hals geschafft. Seine Unternehmen hätten von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain neben passablen Häusern auch baufällige übernommen. »Dazu kamen dann noch ein paar richtige Problemhäuser.« Eine Umschreibung für linke Hausbesetzerprojekte, mit denen sich die Stadt nicht herumplagen wollte.

Die Bausubstanz in Ost-Berlin sollte zudem nach der Wende schnell und umfassend saniert und der Aufbau Ost damit auch politisch eine Erfolgsgeschichte werden, sagt Oehlert. »Der Bezirk hat Padovicz hofiert. Die waren froh, wenn er ihnen wieder die Förderung für 10, 20 Häuser abnahm.« Grundlage waren die »Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Modernisierung und Instandsetzung von Altbauten« aus dem Jahr 1994. Damals stellte die CDU mit Eberhard Diepgen den Regierenden Bürgermeister.

Nach dieser Regelung bekam Padovicz ein Drittel der Modernisierungskosten vom Land als Zuschuss bezahlt, ein Drittel war ein zinsgünstiges Darlehen der Investitionsbank Berlin. Im Gegenzug wurden die Mieten für bis zu 25 Jahre gedeckelt. Der Bezirk hatte zudem sechs Wochen das Recht vorzuschlagen, wer einziehen sollte. So wollte die Politik Geringverdienende und Arbeitslose im Kiez halten. »Niemand aber«, sagt Oehlert, »hat davon so profitiert wie Padovicz.«

Dessen Unternehmen hätten sich Schlupflöcher gesucht, um sich aus solchen Verpflichtungen zu winden, erzählt Oehlert. Bewerber seien wegen »mangelnder Bonität« abgelehnt worden, sie seien als »aufmüpfig« abgestempelt worden, nur weil sie nach stundenlangem Warten im Büro fragten, wie es nun voranginge. Nach sechs Wochen, so schildert es Oehlert, wurde mit anderen Mietern verhandelt, die solventer waren. Die politische Idee war dahin.

Gegen einige Unternehmen des Immobilienmoguls wurde in der Vergangenheit ergebnislos ermittelt, etwa wegen des Verdachts der Schwarzarbeit, Sachbeschädigung bei Mietern, Klagen von Handwerkern wegen unbezahlter Rechnungen. Padoviczs Anwalt schreibt, ihm seien weder Klagen noch Ermittlungen bekannt, fällige Ansprüche würden »immer und unverzüglich bezahlt«.

Weil sie geförderte Wohnungen zu überhöhten Preisen angeboten hatten, wurde gegen die Siganadia und Padovicz in der Vergangenheit allerdings eine Art Schadensersatz festgesetzt. Und das Berliner Verwaltungsgericht verurteilte Padovicz 2018 dazu, rund 520.000 Euro Fördergelder wegen Verstößen gegen den Fördervertrag zurückzuzahlen. Der Fall liegt derzeit beim Oberverwaltungsgericht.

Schützt die Politik die Mieterinnen und Mieter vor rabiaten Vermietern? Florian Schmidt, Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, sagt, sein Amt versuche, mit kostenloser Beratung Betroffene zu stärken. Leider wehrten sich nur wenige gegen unredliche Praktiken der Vermieter: »Aus meiner Sicht ist das ein Akt der Verdrängung. Nicht illegal, aber höchst illegitim und letztlich menschenverachtend«, sagt der Grünenpolitiker. Er bezeichnet Padoviczs Geschäftsgebaren als »Profitstreben, gepaart mit Skrupellosigkeit«.

Wenn Genehmigungsverfahren liefen, müsse der Leerstand oft hingenommen werden, sagt Schmidt. Padovicz beherrsche zudem das Mittel der Verzögerungspraxis. »Wer will«, sagt Schmidt, »kann die Verwaltung so an der Nase herumführen.«

Berlin-Lichtenberg, zwei Häuser, drei Aufgänge. Zur Straße hin leere Ladenlokale, blinde Fenster, Krakeleien. Die Häuser gehören der Stolte Grundstücksgesellschaft, Geschäftsführer ist neben Gijora Padovicz seit 2019 auch sein Sohn Jerry. Die Baustelle hinter dem verwilderten Grundstück ist Teil des Bebauungsplans XVII-4, Rummelsburger Bucht.

Die Häuser sollen abgerissen werden, allerdings sind sie noch bewohnt. Die Fassade täusche, erzählen die Bewohner, die Wohnungen seien hell, gut geschnitten. Zur Hausgemeinschaft gehören Familien, eine bald 90-Jährige, zwei bekommen vom Arbeitsamt eine Ausbildung finanziert. Alle zahlen um die zehn Euro pro Quadratmeter.

Eine Bewohnerin erzählt, dass sie beim Einzug vor acht Jahren Bad und Dusche auf eigene Kosten einbauen musste. Eine Psychologin zahlte kürzlich rund 500 Euro für die Reparatur der kaputten Heizung. Das Geld, so schätzt sie, werde sie nicht zurückbekommen. »Wenn wir bei der Hausverwaltung anrufen, legen die auf.« Padoviczs Anwalt schreibt, dass dies alles nicht zutreffe. Die Bewohner zeigen Briefe, in denen der Hausverwalter einen pöbelnden Ton anschlägt.

Sie haben eine Jahresabrechnung mitgebracht, Gartenpflege 1256,64 Euro, Reinigung der Häuser 7539,84 Euro, der Dachrinnen 1410,15 Euro. Die rechnungstellende Firma gehört zum Unternehmensgeflecht von Padovicz. Mit der Aufstellung kam die Forderung zur Nachzahlung.

Glaubt man den Bewohnern, wurde lange nichts gereinigt. Eine Erdgeschosswohnung sei verschimmelt, jemand habe das Fallrohr abgeschlagen. »Und aus den Dachrinnen wachsen schon Pflanzen«, lacht einer, der als Gärtner arbeitet. Seit drei Jahren beschweren sich die Mieter darüber. Padoviczs Anwalt schreibt: »Mein Mandant hält alle seine Immobilien stets instand.«

Kürzlich bekam der Gärtner Post von der Firma Stolte. Erklärt wurde, weshalb die Häuser abgerissen werden: »Die Kosten für eine Sanierung übersteigen die Kosten eines Neubaus.« Es war seine Kündigung.

Ende April 2019 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung den Bebauungsplan mit großer Mehrheit. Geplant sind schicke Neubauten und ein großes Aquarium für Besucher.

Der linke Bezirksbürgermeister sagt, der letzte rot-schwarze Senat habe mit dem Verkauf von Arrondierungsgrundstücken Fakten geschaffen. Nutznießer sind fünf Investoren, darunter die Padovicz-Gruppe.

Im Abgeordnetenhaus stimmten nur die drei Vertreter der Piraten gegen den Deal.

* Name geändert.

 

Von Lennart Laberenz
aus DER SPIEGEL 19/2021

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