Berlins Innensenator Geisel: „Bei der Rigaer Straße geht es ganz klar um Gangster“
Berlins Innensenator Andreas Geisel beschuldigt den grünen Baustadtrat Schmidt, vor Linksextremisten einzuknicken. Bewohner der Rigaer Straße bezeichnet Geisel im WELT-[Video-]Interview als „Gangster“. Er dulde keine rechtsfreien Räume.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel kam es am Donnerstag bei einer Demo in Berlin zu Ausschreitungen. Seit Jahren tobt in der Stadt der Konflikt um Wohn- und Freiräume. In einer dreiteiligen Video-Serie dokumentierte WELT zuletzt den Kampf um die letzten besetzten Häuser. Immer wieder kommt es dabei zu Drohungen und Angriffen.
In diesem Konflikt geriet Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) mehrfach mit dem grün geführten Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg aneinander. Geisel wirft insbesondere Baustadtrat Florian Schmidt vor, gewaltbereite Linksextremisten in der Rigaer Straße zu schützen. Im Video-Interview mit WELT kündigt er an, konsequent gegen Gewalttäter durchzugreifen.
Das Transkript
Andreas Geisel: Bei der Rigaer Straße, muss man sagen, geht es ganz klar um Gangster. Diese Bewohner üben Gewalt aus. Es gibt gewalttätige Vorfälle, es gibt Drohungen. Das ist auch die Meinungsverschiedenheit, die ich mit Florian Schmidt habe. Mag sein, dass er solche Eskalationen vermeiden wollte, in dem er solchen Drohungen nachgibt. Ich halte das für den falschen Weg. Der Rechtsstaat muss zeigen, dass er seine Regeln durchsetzt.
WELT: Es gibt dieses Papier vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das wir in WELT AM SONNTAG vor gut einem Jahr zitiert hatten. Dort wird eine Entwicklung beschrieben wird, dass es zu gezielteren, persönlicheren Angriffen auf Einzelpersonen im Linksextremismus kommt. Sehen Sie diese Entwicklung auch in Berlin?
Geisel: Wir haben bei der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 gesehen, dass insgesamt extremistisch motivierte Straftaten angestiegen sind. Das sind hauptschlich Propagandadelikte, sowohl im Rechts- als auch im Linksextremismus. Und in beiden Bereichen gibt es auch Zunahme von Gewalt. Das hat etwas damit zu tun, dass es heftige Demonstrationen gegeben hat.
Aber solche Übergriffe, auch auf Personen, konkrete Bedrohungen, sind Situationen, die wir im Rechtsextremismus seit vielen, vielen Jahren kennen. Und ja, sowas lässt sich auch im Linksextremismus beobachten. Man kann beide Phänomenbereiche nicht unmittelbar miteinander vergleichen. Aber klar ist: Gewaltdrohungen oder Gewalt gegen Menschen soll immer einschüchtern, soll sie von demokratischem Handeln abbringen. Das ist absolut zu verurteilen. Die Polizei muss die Personen die Personen, die bedroht werden, schützen.
WELT: Die Wut, die sich da entladen gestern Abend, die hat man im Kontext Rigaer Straße 94 (ein von Linksradikalen teilbesetztes Haus, d. Red.) in den vergangenen Jahren immer wieder zu spüren bekommen hier in dieser Stadt. Konkret ging es jetzt zuletzt um die Brandschutzbegehung. Sie haben ein Machtwort gesprochen – warum?
Geisel: Zunächst einmal will ich sagen, dass die Wut, dass der politische Ärger über Mieterhöhungen und Spekulation in der Stadt durchaus nachvollziehbar sind. Zum Teil teile ich das auch, da muss was getan werden. Die Gewalt ist nicht nachvollziehbar. Und ich will nicht alle Demonstranten, die da gestern unterwegs waren, es waren 12.000, unter Gewalttätern subsummieren. Das muss man schon sorgfältig unterscheiden.
Bei der Rigaer Straße, muss man sagen, geht es ganz klar um Gangster. Nichts rechtfertigt, keine politische Haltung rechtfertigt diese Gewalttaten. Das sind Menschen, die ihre Nachbarn terrorisieren. Der Staat muss dagegen vorgehen, Haftbefehle vollstrecken, Polizeipräsenz zeigen. Regeln müssen durchgesetzt werden. Das tun wir an der Stelle
Davon unabhängig ist auch noch die Frage zu beantworten, wie mit dem Brandschutz umzugehen ist. Wir haben Urteile des Verwaltungsgerichts, die sehr deutlich sagen, dass die Kontrolle des Brandschutzes über Jahre vernachlässigt worden ist. Und darum braucht es dringend eine solche Begehung.
Hinzu kommt: Die Geschichte der Rigaer Straße 94 ist schwierig. Auch der Eigentümer ist an dieser Stelle nicht ganz unschuldig. Das ist eine Briefkastenfirma, die sich in Großbritannien verbirgt und jetzt über Jahre nicht nachweisen konnte, dass sie Anwälte nicht rechtmäßig mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt hat. Da gab es mehrere Urteile gegen diese Anwälte, gegen diesen Eigentümer. Das hat dann zur Verschärfung der Situation beigetragen. Das ist jetzt geklärt. Und selbstverständlich muss der Brandschutz kontrolliert werden. Da war das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nicht immer hilfreich. Wir haben uns jetzt auf eine gemeinsame Linie verständigt.
WELT: Sie haben gerade sehr diplomatisch ausgedrückt, dass das Bezirksamt nicht immer hilfreich war. Man könnte auch sagen, dass das Bezirksamt seit Jahren eher hilfreich im Ansinnen der Autonomen war. Ich versuche das zu verstehen dieses Handeln. Ich hätte gerne mit Herrn Schmidt geredet, er ist aber vor mir weggerannt, auch als ich vor seinem Büro aufgetaucht bin. Er redet nicht mit uns. Können Sie mir helfen zu verstehen: Warum handelt das Bezirksamt seit Jahren so, wie es handelt?
Geisel: Dafür habe ich nur begrenztes Verständnis. Die Begründung von Herrn Schmidt war, dass er größere Polizeieinsätze vermeiden wollte. Da muss man aber schlicht sagen (..): Da die Bewohner mit Gewalt drohen, ist ein entsprechender Polizeieinsatz erforderlich. Dass dann nur ein Teil des Hauses kontrolliert wurde und dies mit dem Anwalt der Bewohner abgesprochen und somit Gerichtsurteile ignoriert wurden, war nicht in Ordnung.
Herr Schmidt hat sich jetzt eines Besseren besonnen. Wir arbeiten jetzt zusammen. Wir haben eine gemeinsame Linie abgesteckt. Ich bedauere, dass dafür ein Senatsbeschluss notwendig war. Den hat es jetzt gegeben und auch entsprechende Urteile. Aber das bringt das Bezirksamt jetzt auf den Pfad der Tugend zurück.
WELT: Ich bin auf ein Zitat von Ihnen gestoßen. Sie haben gesagt, Schmidt habe mit seinen „Winkelzügen“ gewaltbereiten Linksextremisten im Grunde die Hand gereicht, sie unterstützt. Wie haben Sie das gemeint?
Geisel: Ich finde, dass der Staat vor Gewaltdrohungen nicht zurückschrecken darf. Diese Bewohner üben Gewalt aus. Es gibt immer wieder gewalttätige Vorfälle, es gibt Drohungen. Und ich finde, diesen Drohungen darf man nicht nachgeben. Jetzt kann man, wie Herr Schmidt es sagt, dies tun, um Polizeieinsätze und Eskalation zu vermeiden.
Ich finde aber, dass wir solche rechtsfreien Räume aufgrund von Gewaltdrohungen nicht hinnehmen dürfen. Klar: Berlin braucht Freiräume, das ist unbestritten. Aber das sind eben keine rechtsfreien Räume. Dass die Regeln des Staates, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unserer Demokratie durchgesetzt werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Das gilt überall in Berlin, auch in Friedrichshain-Kreuzberg.
WELT: Herr Schmidt selbst spricht in einem Schriftsatz von dem „erfolgreichen Prinzip der Deeskalation“, das er seit Jahren fahren würde. Wie erfolgreich ist das denn?
Geisel: Es gibt zumindest weniger gewalttätige Auseinandersetzungen. Aber zu sagen, dass die Polizei sich zurückzieht, um nicht Recht und Ordnung durchzusetzen, um einen rechtsfreien Raum zuzulassen, das ist nicht mein Verständnis von Rechtsstaat. Ich finde, Gesetze gelten überall, wir haben uns alle daran zu halten, unabhängig von politischer Gesinnung. Bei Brandschutz hört sowieso der Ermessenspielraum auf. Da geht es um Abwendung von Gefahr für Leib und Leben.
Diese Frage ist aber unabhängig davon zu betrachten, wie es mit dem Haus insgesamt weitergeht. Ich werde oft gefragt: Warum räumt ihr nicht einfach? Schlicht, weil es ungekündigte Mietverträge sind und die Wohnungen durch Artikel 13 des Grundgesetzes geschützt sind (..)
Mein Vorgänger von der CDU hat ja versucht, dort vorzugehen und stand da ein halbes Jahr mit 500 Polizisten in der Straße. Er hat nichts erreicht und dann zwei Gerichtsurteile kassiert, dass das nicht nicht rechtmäßig gewesen ist. Ich finde, so darf Rechtsstaat auch nicht vorgehen. Wir gehen rechtssicher vor. Das dauert lange, ja, mir ehrlich gesagt auch zu lange, aber das gehört zu unserem Rechtsstaat dazu.
WELT: Ende April soll es das Urteil zur möglichen Räumung der „Kadterschmiede“ (Treffpunkt in der Rigaer Straße 94, d. Red.) geben. Im Juni wird es dann diese Begehung im Kontext Brandschutz geben. Womit rechnen Sie?
Geisel: Ich rechne mit einer Begehung zur Durchsetzung des Brandschutzes. Wie das Urteil in Sachen Räumung der Kadterschmiede ausgeht, weiß ich gegenwärtig noch nicht. Bisher gab es mehrere Urteile des Landgerichts, die gegen den Eigentümer bzw. den Anwalt des Eigentümers ausgegangen sind. Wie das jetzt sein wird, ist Sache der Justiz. Und welche Konsequenzen daraus folgen, muss dann mit dem Eigentümer besprochen werden (..). Selbst wenn festgelegt wird, dass ein Teil des Hauses geräumt werden müsste, um diese widerrechtliche Besetzung der Kadterschmiede – zu beenden, ist keine Gesamtlösung für das Haus gefunden.
WELT: Es gab die Ankündigung auf einem Blog: Sollten unsere Gegner (..) eine Räumung auf Raten beginnen, dann sollen sie sich an unseren Trümmern verschlucken.“ Die kündigen auch an, dass sie Berlin ins „Chaos“ stürzen wollen. Diese Räumung auf Raten bezieht sich ja auf die Kadterschmiede. Was antworten Sie solchen Leuten?
Geisel: Der Rechtsstaat wird seine Regeln durchsetzen. Wir lassen uns von Gewaltdrohungen nicht erschrecken. Das ist auch die Meinungsverschiedenheit, die ich mit Florian Schmidt habe. Mag sein, dass er solche Eskalationen vermeiden wollte, in dem er solchen Drohungen nachgibt. Ich halte das für den falschen Weg. Der Rechtsstaat muss zeigen, dass er seine Regeln durchsetzt. Wir lassen uns nicht erpressen oder erschrecken.
Von Ibrahim Naber, David Körzdörfer
passiert am 17.04.2021