Andreas Geisel zur Rigaer 94: „Florian Schmidt hat Gewaltdrohungen nachgegeben“
Innensenator Andreas Geisel über das Hin und Her zur Rigaer Straße 94. Der Alleingang des Baustadtrates habe die Steuerzahler 500.000 Euro gekostet.
Berlin – Die seit Jahren schwelende Brandschutz-Affäre um die Linksautonomen-Hochburg „Rigaer 94“ hat am Mittwoch eine neue Wendung erfahren: Am Vormittag ging beim Anwalt des Hauseigentümers ein geänderter Bescheid des Bauaufsichtsamtes Friedrichshain-Kreuzberg ein. Der Eigentümer wird nun verpflichtet, durch einen staatlich anerkannten Prüfingenieur für Brandschutz „eine umfassende brandschutzrechtliche Begutachtung des Gebäudekomplexes Rigaer Straße 94“ durchzuführen. „Wir hoffen, dass wir noch im März eine Begehung hinbekommen“, sagte Eigentümeranwalt Markus Bernau der Berliner Zeitung.
Eine für Ende dieser Woche angekündigte Begehung musste verschoben werden – und damit auch ein erwarteter großer Polizeieinsatz in dem Kiez. Der Grund dafür war ein Alleingang von Florian Schmidt, bündnisgrüner Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Er ließ am Dienstag in dem verbarrikadierten Haus eine Brandschutzbegehung durch eine Mitarbeiterin des Bauamtes durchführen. Angeblich seien alle Wohnungen mit dem Einverständnis der Bewohner besichtigt worden, hieß es danach.
Damit kam Schmidt einer für Dienstagnachmittag erwarteten Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zuvor. Das sollte klären, ob der Eigentümer einen Brandschutzsachverständiger in die Wohnungen schicken darf. Der Termin war für Donnerstag und Freitag vorgesehen. Schmidt habe so einen großen Polizeieinsatz vermeiden wollen, wie er erklärte.
Geisel: „Die Aktion von Herrn Schmidt hat rund 500.000 Euro gekostet.“
„Florian Schmidt hat versucht, die normalen rechtsstaatlichen Abläufe zu konterkarieren“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch der Berliner Zeitung. „Die Aktion von Herrn Schmidt hat rund 500.000 Euro gekostet.“ So hatte die Berliner Polizei zahlreiche Unterstützungseinheiten aus anderen Bundesländern angefordert, die den Einsatz in der Rigaer Straße absichern sollten. Nun mussten die Kosten für die Unterbringung, unter anderem in Hotels storniert werden.
„Herr Schmidt hat Gewaltdrohungen nachgegeben. So etwas darf der Rechtsstaat aber nie tun. Im Ergebnis hat der Baustadtrat nicht deeskaliert, sondern eine unnötige Zuspitzung betrieben, weil er eine gesetzlich vorgeschriebene Brandschutzschau noch politisch aufgeladen hat.“
Selbstverständlich werde das bezirksaufsichtliche Verfahren weitergeführt, und man lasse sich das Ergebnis der Begehung vom Dienstag übermitteln, so Geisel. „Der Bezirk steht weiter in der Pflicht. Er muss sicherstellen, dass auch der Eigentümer die Möglichkeit erhält, mit einem Brandschutzgutachter das Haus und die Wohnungen zu begutachten. Senat und Verwaltungsgericht haben dem Bezirk das gestern sehr eindeutig klargemacht.“ Beim Thema Brandschutz gebe es „null Ermessensspielraum“, so Geisel.
Das Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass das Bezirksamt die Bewohner des Hauses per Anordnung dazu verpflichten muss, „die Brandschutzbegehung des Gebäudekomplexes durch einen Brandschutzprüfer und einen Vertreter“ des Eigentümers und „das Betreten der Wohnungen zu ermöglichen“. Das hatte Schmidt bislang abgelehnt.
Eine solche Anordnung müsse die Behörde allerdings erst noch erlassen, so das Gericht. Wegen der mit der Vollstreckung dieser Anordnung verbundenen zeitlichen Verzögerung sei der für den kommenden Donnerstag und Freitag geplante Polizeieinsatz nicht zu realisieren und müsse kurzfristig verschoben werden.
Giffey: „Er hat Grundlagen von Sicherheit und Ordnung infrage gestellt“
Feuer bekommt Stadtrat Schmidt nun auch von anderen SPD-Größen: Franziska Giffey, die im Herbst für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidieren will, wirft ihm „Rechtsbeugung“ vor. Der Stadtrat habe Grundlagen von Sicherheit und Ordnung infrage gestellt, sagte sie der Berliner Zeitung. Und SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte dieser Zeitung: „Ich bin froh, dass die Grünen ihrem Stadtrat signalisieren, dass er eine rote Linie überschritten hat.“ Damit bezog er sich auf Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Dieser hatte am Dienstag im Senat dafür gestimmt, den von seinen Parteifreunden verwalteten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg anzuweisen, eine entsprechende Anordnung zu erlassen, dass die Bewohner eine Begehung hinnehmen müssen. Die Begehung soll sich angeblich nicht auf alle Wohnungen erstrecken, weshalb Behrendt, der in der vergangenen Woche noch dagegen war, diesmal zustimmte.
Eine entsprechende
ließ dann auch Stadtrat Schmidt veröffentlichen: Der Bezirk, der nicht vor hat, Beschwerde gegen den Verwaltungsgerichtsbeschluss einzulegen, begrüßt nun die im Senatsbeschluss erfolgte Nennung „von zu begehenden, bestimmten Wohnungen“ auf Grundlage der Liste der vermuteten Mängel. Das Bezirksamt habe diese Klarstellung mit der um 10.30 Uhr an den Eigentümer ergangenen Präzisierung in seine bisherige Anordnung übernommen. Weiter heißt es in der Mitteilung: „Damit folgt der Senat der Rechtsauffassung des Bezirksamtes, dass eine pauschale Anordnung zur Begehung ‚aller Wohnungen in der Rigaer Straße 94‘ rechtlich zu unbestimmt ist, um Bestand zu haben.“
Ein trickreich formulierter Bescheid
Eigentümeranwalt Markus Bernau liest den offenbar trickreich irreführend formulierten Bescheid jedoch anders: „Das Bezirksamt musste in Anbetracht der klaren Entscheidung des Verwaltungsgerichtes und auch das Senatsbeschlusses einlenken“, sagt er. „Insoweit spricht es von einer umfassenden brandschutzrechtlichen Begutachtung des Gebäudekomplexes einschließlich der in der Anordnungen bezeichneten Wohnungen.“
Tatsächlich verfügte das Verwaltungsgericht am Dienstag, das Bezirksamt müsse die Bewohner und Nutzer des Gebäudekomplexes Rigaer Straße 94 im Wege einer sofort vollziehbaren Allgemeinverfügung verpflichten, die Brandschutzbegehung des gesamten Gebäudekomplexes durch einen Brandschutzprüfer zu dulden. Von einigen oder ausgewählten Wohnungen ist in dem Beschluss keine Rede.
Im Herbst 2019 und im Sommer 2020 hatte es in dem Haus Polizeieinsätze gegeben. Die Beamten, aber auch der Hausverwalter und der Anwalt nutzten dies, um im vergangenen November in einem Protokoll in 21 von 30 Wohnungen Brandschutzgefahren aufzulisten. Das waren zum Beispiel unsachgemäß verlegte Elektroanschlüsse, Elektrokabel, die wie Wäscheleinen von der Decke hängen. Durchbrochene Brandschutzwände, brennbare Materialien im Dachgeschoss.
Diese Auflistung nahm Schmidt zum Anlass, im Dezember dem Eigentümer eine Auflage zu erteilen, dort eine Begehung aller Wohnungen mit einem Brandschutzgutachter vorzunehmen. Er drohte bei einer Weigerung 500.000 Euro Ordnungsgeld an. Diese Auflage präzisierte er später, wonach der Eigentümer das Haus plötzlich nicht mehr betreten sollte. Zudem sollte nur noch eine Wohnung im Vorderhaus besichtigt werden. Mit seiner eigenen Begehung wollte er nun Tatsachen schaffen, bevor das Verwaltungsgericht entscheiden konnte.
passiert am 10.03.2021