Polizeieinsatz in Rigaer 94 verschoben – das kostet mehrere Hunderttausend Euro
In der Brandschutzaffäre um das teilbesetzte Haus in der Rigaer Straße 94 haben sich die Ereignisse am Dienstag überschlagen. Der für Donnerstag geplante Polizeieinsatz ist nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Polizeiführung verschoben worden. Die Kosten für die Verschiebung belaufen sich laut Polizei auf mehrere Hunderttausend Euro.
Grund ist das unbeirrte Vorgehen des Baustadtrats von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne). Am Vormittag hat eine Mitarbeiterin der Bauaufsicht des Bezirksamts das Gebäude mit einem Anwalt der Bewohner und in Absprache mit Linksextremisten begangen. Damit kam Schmidt dem Eigentümer zuvor, der am Donnerstag samt großem Polizeieinsatz den Brandschutz in dem Haus überprüfen wollte.
Mit seinem Vorgehen ignorierte Schmidt am Dienstag die Vorgaben der Innenverwaltung und der Justiz. Das Verwaltungsgericht hatte Schmidt am Freitag über einen Eilantrag des Eigentümers der Rigaer 94 informiert, über den am Dienstag entschieden wurde.
Der Eigentümer wollte Schmidt per Gerichtsbeschluss untersagen lassen, die Brandschutzprüfung selbst vorzunehmen. Doch Schmidt hat am Dienstagvormittag einfach Tatsachen geschaffen. Er hat damit einen Teil des Eilantrags für den Eigentümer zunichte gemacht – etwa ein Betretungsverbot.
Dennoch hatte der Eigentümer in einem entscheidenden Punkt Erfolg. Das Verwaltungsgericht entschied, dass das Bezirksamt die Bewohner des Hauses per Anordnung dazu verpflichten muss, „die Brandschutzbegehung des Gebäudekomplexes durch einen Brandschutzprüfer und einen Vertreter“ des Eigentümers und „das Betreten der Wohnungen zu ermöglichen“. Das hatte Schmidt bislang abgelehnt.
Da solch eine Anordnung nun erst noch erlassen werden müsste, sei der für Donnerstag und Freitag geplante Polizeieinsatz nicht machbar und müsse auf einen Termin „in den nächsten Wochen“ verschoben werden, entschied das Gericht. Für den Einsatz waren mehrere Einsatzhundertschaften aus anderen Bundesländern angefordert und für sie Hotelbetten gebucht worden. Für den Friedrichshainer Nordkiez hatte die Polizei bereits ein Park- und Demo-Verbot ab Mittwochnachmittag erlassen.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte Schmidt zuvor vor einem eigenmächtigen Vorgehen gewarnt. Am Dienstag herrschte in der Innenverwaltung Entsetzen: Schmidt verstoße gegen die im Grundgesetz verankerte Pflicht von Behörden, sich an Recht und Gesetz zu halten.
Am Dienstag beschäftigte sich auch der rot-rot-grüne Senat erneut mit der Rigaer 94. Mitten in die Sitzung platzte die Nachricht, dass das Bezirksamt ins Haus gegangen ist. Der Senat beschloss dennoch bei Enthaltung der Linken-Regierungsmitgliedern, dass Schmidt eine umfassende Brandschutzprüfung durch den Gutachter des Eigentümers zulassen und gegen die Bewohner eine Duldungsanordnung erlassen muss.
Die anwesenden Linke Senatoren, Sebastian Scheel und Elke Breitenbach, hätten deutlich gemacht, dass sie dem Beschluss nicht zustimmen könnten, hieß es. Sozialsenatorin Breitenbach hat laut Teilnehmern vor einem Gemetzel bei einem Polizeieinsatz gewarnt.
Erstmals nicht einstimmiger Beschluss im rot-rot-grünen Senat
Es soll nach Angaben aus Regierungskreisen die erste Entscheidung des rot-rot-grünen Senats in dieser Legislaturperiode gewesen sein, die nicht einstimmig gefallen ist. Weder in dieser noch in der vergangenen Legislaturperiode, unter Rot-Schwarz, soll das bislang vorgekommen sein.
Noch in der vergangenen Woche hatte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gefordert, das Bezirksamt müsse sich bewegen. Er fehlte am Dienstag. Breitenbach und Scheel sollen vor allem formale Gründe gegen den Beschluss angeführt haben. Grüne und SPD werten das aber als vorgeschoben – und das Verhalten der Linkspartei als „mindestens widersprüchlich“.
Zurück zur Brandschutzaffäre: Kommt das Bezirksamt der Aufforderung des Senats nicht nach, zieht der Senat das Verfahren an sich. „Die Bezirksaufsichtsmaßnahmen sind notwendig, um den Brandschutz in der Rigaer Straße vollumfassend zu gewährleisten“, teilte der Senat mit.
Die Begehung durch Schmidts Bauaufsicht reicht Innensenator Geisel nicht. Er halte das für „widersprüchlich und unzureichend“. Der Vertreter der Eigentümer müsse Gelegenheit haben, sich selbst ein Bild von den Brandschutzmängeln zu machen. Der Eigentümer sei willens, dem nachzukommen.
Nach dem Berliner Sicherheitsgesetz muss zur Abwehr von Gefahr für Leib und Leben zunächst der Eigentümer herangezogen werden. Erst wenn dieser die Anordnung nicht umsetzt, darf der Staat handeln. Auch das Verwaltungsgericht entschied, dass die Prüfung durch die Bauaufsicht am Dienstag nicht „die umfassende Brandschutzbegehung durch einen Prüfsachverständigen ersetzen kann“.
Das Bezirksamt erklärte hingegen, mit dem Einverständnis der Bewohner seien alle Wohnungen überprüft worden. Es sei ein Mängelprotokoll erstellt worden. Wie die Mängel beseitigt werden, müsse noch geklärt werden. Eine Nutzungsuntersagung sei nicht ausgesprochen worden. Es sei aber „eine Kontrollbegehung“ der Bauaufsicht geplant.
Daneben prüft das Bezirksamt, ob es seine im Dezember erteilte Anordnung an den Eigentümer, den Brandschutz zu prüfen und Mängel zu beheben, zurücknimmt. Welche Folgen das hätte, ist nicht absehbar. Der Eigentümer würde erneut klagen. Wenn der Senat die Sache an sich zieht, könnte Schmidt nichts mehr machen.
Seit 2016 gab es Hinweise auf massive Brandschutzmängel im Haus, Hotspot der gewaltbereiten linksextremistischen Szene. Schmidt hatte seine Bauaufsicht über Jahre daran gehindert, dem nachzugehen. Auf Druck der Innenverwaltung und wegen der klaren Hinweise musste Schmidt im Dezember nachgeben.
Daneben entschied am Dienstag das Landgericht wie zuvor das Kammergericht, dass die Anwälte des Eigentümers vertretungsberechtigt sind, was lange strittig war. Es wies die Beschwerde einer Bewohnerin zurück. Demnach darf der Eigentümer nun auch mit einem gegen die Bewohner zivilrechtlich erwirkten Gerichtstitel die Wohnungen für die Brandschutzprüfung betreten.