»Ich brauch einen Vorwand, ich wollte den Wald räumen« – WDR löschte heiklen Beitrag über Laschet

Armin Laschet wettert gegen Aktivisten im Hambacher Forst. Ein Hörfunkbeitrag darüber steht zweieinhalb Stunden in der ARD-Mediathek, dann verschwindet er. Warum?

Auf dem Video ist nicht viel zu sehen außer gut polierten Schuhen und Autoreifen. Aber es ist etwas Interessantes zu hören, die unverkennbare Stimme des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet. Aktivisten haben ihn im Jahr 2019 nach einer CDU-Veranstaltung in Düren abgefangen. Es geht um den Hambacher Forst, den Laschets Regierung 2018 räumen ließ. Der Energiekonzern RWE wollte den Wald roden lassen, um Braunkohle abzubauen.

Ob er nachts noch ruhig schafen könne mit der Entscheidung, fragt eine Frau in dem Video. Laschet wiegelt erst ab und redet sich dann in Rage. »Ja, ich brauch auch einen Vorwand, sonst kann man doch nicht tätig werden. Ich wollte den Wald räumen, ich wollte den Wald räumen.«

Die Landesregierung hatte als offiziellen Grund für den Polizeieinsatz Verstöße gegen Brandschutzvorschriften angeführt. Im Spätsommer 2019 jedoch untermauerten veröffentlichte interne Gutachten den Verdacht, dass dieses Argument nur vorgeschoben war. Laschet hatte dazu geschwiegen – bis zu jenem verheerenden Satz in dem Video.

Der heimlich aufgenommene Film wurde WDR-Redakteur Jürgen Döschner zugespielt, einem für seine investigativen Recherchen über Industrie- und Energiepolitik bekannten und mit Preisen ausgezeichneten Journalisten. Er sah offenbar politischen Sprengstoff in der Aufnahme und verfasste einen Beitrag fürs Radio: »Hambacher Forst: Räumung brauchte Vorwand«. Am 18. September 2019 um 17 Uhr wurde er in der ARD-Audiothek veröffentlicht.

Doch zweieinhalb Stunden später nahm der WDR den Beitrag wieder von der Seite – die Veröffentlichung im Radio und auf Tagesschau.de wurde gestoppt. Aufmerksame Hörer beschwerten sich.

Der Sender reagierte mit einer Stellungnahme: Es sei aus »rechtlichen Gründen« nicht möglich, den »Gesamtkontext der Situation zu zeigen, in der die Aussage aufgenommen wurde«. Eine angemessene Einordnung des Zitats sei damit schwierig. Auf Anfrage erklärt der WDR, dass die Fachredaktion den Beitrag gestoppt habe, weil die Verwendung der »illegalen Aufnahme nach rechtlicher Prüfung nicht infrage« gekommen sei. Außerdem hätte die »einzelne Aussage des Ministerpräsidenten« als unzulässige Verkürzung gelten können. Ein WDR-Justiziar hatte Döschner hingegen vor Fertigstellung des Artikels »ein gewisses Informationsinteresse« bescheinigt, die Äußerung Laschets zu publizieren. Laut einer Mail, die dem SPIEGEL vorliegt, finden sich »nicht so gewichtige Gesichtspunkte«, als dass ein Zitieren des Ministerpräsidenten »grundsätzlich unzulässig wäre«.

Mit dem Vorfall befassten sich die Redakteurvertretung und der Schlichtungsausschuss des WDR. Der kommt in einem internen Bericht zu dem Schluss: Es handele sich um einen »Programmkonflikt« über einen Beitrag, der »journalistisch einwandfrei war«. Das bedeutet: Der Ausschuss hält die Absetzung des Beitrags weder journalistisch noch juristisch für gerechtfertigt. Döschner wollte sich zu dem hausinternen Konflikt nicht äußern.

Eine Rolle bei der Entscheidung, den Beitrag zu stoppen, spielte offenbar WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn. In einer »Chronologie«, die im Sender zu dem Vorfall zirkulierte, wird die Mail eines Kölner Tagesschau.de-Redakteurs zitiert, in der es heißt: »Nach Rücksprache mit unserem Informationsdirektor Jörg Schönenborn … bitten wir Euch, das Textangebot des Kollegen Döschner für Donnerstag 19.9., Sperrfrist 6.00 Uhr ›Räumung Hambacher Forst‹ linear und online nicht zu veröffentlichen.«

War die Entscheidung also rein redaktioneller Natur – oder war der Eingriff politisch motiviert?

»Früher wäre dieser Beitrag beworben worden – heute wird er gestoppt«, sagt eine WDR-Redakteurin. »Die Leitung will es sich nicht mit der Landesregierung verscherzen – schließlich entscheiden die hinterher über die Gebühren für die Öffentlich-Rechtlichen mit.«

Laschet kommt im WDR auffallend oft gut weg. Der Landesvater darf im »Tatort« auftreten. Interviews mit ihm geraten manchmal so unkritisch, dass sich der Journalist Friedrich Küppersbusch – früher selbst beim WDR – über »sechs scharfe Fragen an Armin Laschet« in der WDR-Talkshow »Kölner Treff« lustig gemacht hat. Beispielsweise über diese: »Sind Sie deshalb der beste Kanzlerkandidat möglicherweise, weil Sie mehr abwägen als andere?«

Die Düsseldorfer Landesregierung jedenfalls hat im neuen WDR-Gesetz Gutes für die Anstalt bewirkt. Statt, wie einst beschlossen, die Werbung im Hörfunk auf 60 Minuten zu reduzieren, darf der Sender weiterhin 75 Minuten lang werben – und das in zwei Programmen statt in einem. »Landesrundfunkanstalt und Landesregierung haben sich gut eingerichtet und arrangiert«, sagt Volker Lilienthal, Journalistikprofessor der Universität Hamburg. In dieser harmonischen Beziehung würden Journalisten wie Döschner offenbar als »Störenfriede« wahrgenommen.

Hat die NRW-Landesregierung selbst versucht, die Berichte zu stoppen? Die Staatskanzlei erklärt auf SPIEGEL-Anfrage, es lägen »keine Informationen« zu Gesprächen zwischen Landesregierung und WDR-Intendanz am Tag vor der geplanten Veröffentlichung von Jürgen Döschner vor. Der Austausch mit den Journalisten gehöre zum Alltag.

Jürgen Döschner wurde mittlerweile zum Spartenkanal Cosmo versetzt. Früher sendete der WDR täglich ein bis zwei Beiträge von ihm, seit dem unerwünschten Videovorfall ist seine Stimme nur noch selten zu hören, Dienstreisen zu Recherchen wurden abgelehnt.

Der Schlichtungsausschuss forderte den Sender auf, für ihn eine »angemessene redaktionelle Anbindung« zu finden; Döschner sei mit seinen »anerkannten Kompetenzen im Bereich Energie und Umwelt« auch »im Newsroom ein wertvoller Ansprechpartner und Autor«. WDR-Intendant Tom Buhrow wollte dazu keine Stellung beziehen.

Wie Schönenborn auf den Journalismus aus seinem Haus blickt, zeigt eine interne »Programmpost«. Darin fordert er seine Mitarbeiter auf, künftig eine »Multiperspektivität« einzunehmen. Viele geäußerte Meinungen lägen nicht unbedingt in der Mitte der Gesellschaft, heißt es in seiner Mail. Als Beispiel wählt er das Kohlekraftwerk in Datteln, ein bis in die Bundesregierung hinein umstrittenes Riesenprojekt. »Wo ist der Kommentar, dass besser ein modernes Kohlekraftwerk wenig CO₂ ausstößt als viele ältere Kraftwerke viel?«, fragt Schönenborn. Welcher Kommentar erkenne an, dass die Bundesregierung ihren Klimazielen »viel näher gekommen ist als erwartet«? Sein »Durst nach neuen, anderen Argumenten« sei groß.


Von Susanne Götze und Annika Joeres, Der Spiegel, 5.2.21

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passiert am 05.02.2021