Bei den Banken fix: Linke Demonstration gegen staatliche Coronapolitik am Sonnabend in Berlin
Am Sonnabend fand in Berlin eine Demonstration antikapitalistischer Gruppen statt, die sich gegen die staatliche Coronapolitik, Ausgangssperren und soziale Isolation richtete. Kritisiert wurde unter anderem, dass der Staat Hilfspakete für Konzerne schnüre und gleichzeitig starke Einschränkungen und Kontrollen im Privatbereich mit polizeilicher Gewalt durchsetze.
Am frühen Nachmittag hatten die Gruppen »Death in Custody« (deutsch: Tod im Gewahrsam) und »Criminals for Freedom« zu einer Gedenkkundgebung vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit für den verstorbenen Gefangenen Ferhat Mayouf aufgerufen, an der sich rund 200 Menschen beteiligten. Mayouf war am 23. Juli 2020 in einer Zelle der JVA verbrannt. Die Initiativen werfen Polizei und Justiz vor, für seinen Tod verantwortlich zu sein. Gefangene bekundeten aus den Fenstern der JVA durch Rufen und Winken ihre Solidarität mit den Demonstranten.
Vom Kundgebungsort aus startete am späteren Nachmittag die Demonstration unter dem Motto »Lockdown Capitalism – Solidarität und Selbstorganisation als Antwort auf die Coronakrise«. Sie zog von der JVA Moabit bis zum Nettelbeckplatz im Wedding. Unmittelbar nach Beginn der Demonstration wuchs diese auf über 1.000 Menschen an. Die Teilnehmer riefen Parolen wie »Hinter der Krise steht das Kapital – Kampf gegen Corona solidarisch und sozial« oder »Bei den Banken sind sie fix – für die Pflege tun sie nix«. In Redebeiträgen distanzierten sich die Teilnehmer von der »Querdenken«-Bewegung. Die Polizei begleitete die Demonstration mit einem großen Aufgebot und teils mit einem engen Spalier. Zwischenzeitlich musste der Zug stoppen, weil Beamte trotz der Größe der Demonstration nicht beide Fahrstreifen freigeben wollten. So sorgte die Polizei dafür, dass die Teilnehmer, die überwiegend einen Mund-Nasen-Schutz angelegt hatten und sich Mühe gaben, die Abstände einzuhalten, an einigen Stellen zusammengedrängt wurden.
Die Protestierenden zogen über die Putlitzbrücke, vorbei am Robert-Koch-Institut und an der Charité. Hier sprach eine Beschäftigte in der Krankenpflege über die Arbeitsbedingungen in den letzten Monaten. Entgegen der medialen Darstellung lege sie keinen Wert darauf, als »Heldin« bezeichnet zu werden – wichtig seien ihr eine bessere Bezahlung, faire Arbeitsbedingungen und ein besserer Schutz vor Infektionen.
Lange hatte insbesondere die radikale Linke um eine eigenständige Position in der Coronakrise gerungen. Obwohl es bundesweit immer wieder kleinere Demonstrationen in Solidarität mit Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegesektor gab und manche Initiative eine stärkere Belastung von Reichen und Großverdienenden zur Bewältigung der Krise forderte, schaffte es linke Kritik an der Regierungspolitik unter dem Strich kaum in die Öffentlichkeit.
Dies änderte sich erst im Januar mit der Initiative »Zero Covid«, mit der ein »solidarischer europäischer Shutdown« gefordert wird. Während der Appell von einigen linken Organisationen und Zusammenschlüssen begrüßt wurde, kursieren mittlerweile auch einige kritische linke Stellungnahmen zu »Zero Covid«. So sei der angestrebte Lockdown nur durch extreme staatliche Kontrolle und polizeiliche Eingriffe zu vollziehen; Leidtragende seien insbesondere arme Menschen, Obdachlose und Geflüchtete. Bürgerliche und akademische Linke würden sich damit beim Staat anbiedern, lautet ein anderer Vorwurf. Auf der Demonstration am Sonnabend war »Zero Covid« allerdings kein Thema.
Ob es zu weiteren Aktionen im Rahmen von »Lockdown Capitalism« kommen wird, ist offen. Im Gespräch mit jW sagte eine Teilnehmerin: »Wir können jetzt nicht still sitzen bleiben. Wir können nicht darauf hoffen, dass uns der Staat und ein System, das so viele Probleme verursacht, eine Lösung bieten.« Es gehe um mehr, als nur um eine Krisenbewältigung. Das Ziel sei die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse.
Von Felix Schlosser
https://www.jungewelt.de/artikel/395006.linke-debatte-%C3%BCber-coronapolitik-bei-den-banken-fix.html
passiert am 23.01.2021