Nach Liebig-Räumung: Weniger Straftaten im Nordkiez

Nach der Räumung der Liebigstraße ist es im Friedrichshainer Nordkiez ruhiger geworden. Das zeigen interne Unterlagen der Polizei.

Berlin. Die Hauptstadt-Polizei stelle sich für die nächste Zeit auf Straftaten der linksextremen Szene ein, hieß es Anfang Oktober. Das war kurz nach der Räumung des besetzten Hauses „Liebig 34“ in Friedrichshain. Doch zumindest im Friedrichshainer Nordkiez ist das Gegenteil eingetreten. Das geht aus internen Polizeiunterlagen hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegen. Demnach hat sich die Lage seit Anfang Oktober deutlich entspannt.

Von Anfang Oktober bis Ende Dezember verzeichnete die Polizei im Nordkiez einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, zwei Beleidigungen, eine Nötigung und eine versuchte gefährliche Körperverletzung. Herausstechen ein versuchter Totschlag und eine schwere Brandstiftung. Dahinter verbirgt sich eine Auseinandersetzung zwischen einem tschetschenischen Sicherheitsdienst und Linksextremen. Auslöser war damals eine Frau, die vor der Liebigstraße eine Kerze abstellen wollte, was die Sicherheitsmitarbeiter versuchten zu verhindern. In der Folge kam es zu einer Auseinandersetzung und einer Brandstiftung.

Rigaer Straße: 544 Strafanzeigen und 112 Sachbeschädigungen

Verglichen mit den vielen Vorfällen in den Monaten und Jahren zuvor ist es damit in den vergangenen drei Monaten deutlich ruhiger geworden. Zum Vergleich: Der CDU Politiker Burkard Dregger hatte im vergangenen Jahr abgefragt, wie viele Straftaten im Umkreis von 500 Metern um die Rigaer Straße 11 bis 21 und 10 bis 98 seit 2016 begangen wurden. Das schließt die Liebigstraße ein, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Rigaer Straße 94 befindet. Diese Zusammenstellung der Innenverwaltung gilt als aktuellste und detaillierteste der vergangenen Jahre.

So wurden seit 2016 etwa 544 Strafanzeigen erfasst, bei denen Polizisten und Amtsträger als Geschädigte geführt werden. 83 Polizisten wurden bei Einsätzen verletzt. Laut Innenverwaltung wurden seit 2016 insgesamt 330 private Fahrzeuge und 48 Polizeiautos beschädigt. Seit 2019 werde auch erfasst, wie viele Gebäude in der Rigaer Straße durch Vandalismus beschädigt wurden. In den Jahren 2019 und 2020 wurden demnach 112 Sachbeschädigungen und Brandstiftungen erfasst.

Im Vergleich dazu sei es ruhiger geworden. Die befürchtete Eskalation sei nicht eingetreten. Allerdings sei unklar, wie aussagekräftig das ist. Denn der coronabedingte Lockdown habe natürlich auch Auswirkungen auf die linksextreme Szene. Und der Protest hat sich aus dem Nordkiez in andere Stadtteile und sogar Städte verlagert. So geht aus Polizeiunterlagen hervor, dass in den vergangenen Monaten gezielt Häuser angegriffen wurden, die der Unternehmensgruppe Padovicz gehören, die auch Eigentümer der Liebigstraße 34 ist.

Betroffen sind auch andere Immobilienverwalter. So wie am 26. November in Frankfurt/Main. Dort wurde ein Wagen der Vonovia Immobilienverwaltungsfirma beschädigt und der Schriftzug „Wohnraum für alle“ auf das Fahrzeug gesprüht. In einem Bekennerschreiben, das im Internet veröffentlicht wurde, nahmen die Täter Bezug auf die Räumung der Liebigstraße. Oder am 8. November in Hamburg. Dort wurde ein Hotel an der Sternschanze angegriffen. Die Täter warfen Steine und Farbeier. An einer Fassade stand: „Liebig 34 lebt“.

Rigaer Straße wird zum Thema der Wahl

Für Spannungen wird das Thema auch vor der kommenden Wahl zum Abgeordnetenhaus in diesem Jahr sorgen. Denn die SPD dürfte versuchen, sich innenpolitisch von den Grünen und Linken, die mehrfach öffentlich Sympathien für die Hausbesetzer in der Liebigstraße und Rigaer Straße bekundet haben, abzugrenzen.

Wie offensiv das geschehen wird, sei von zwei Faktoren abhängig, heißt es aus Sicherheitskreisen. Der wichtigste Punkt betreffe den Brandschutz und in zweiter Instanz die Eigentumsverhältnisse. Denn wie berichtet, könnte die Politik der schützenden Hand des grünen Baustadtrats Florian Schmidt bald ein Ende haben. Denn die Innenverwaltung forderte das Bezirksamt Anfang Januar auf, die Brandschutzmängel in dem Haus selbst zu beseitigen. Der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach gar von „unmittelbaren Gefahren für das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner“. Der Bezirk müsse für eine „zügige“ Aufklärung und eine „umgehende Beseitigung“ festgestellter Mängel sorgen.

Linksautonome Bewohner bauten das Gebäude über Jahre hinweg festungsartig aus, um der Polizei den Zugang zu erschweren. Aus dem Haus heraus und in der Umgebung kommt es immer wieder zu Angriffen auf die Polizei und zu anderer Gewalt. Die Täter flüchteten sich mehrfach in das Haus, und die Sicherheitskräfte konnten ihnen nicht folgen.

Es könnte also sein, dass der Bezirk bald einen Gutachter in das Haus schicken wird. Der wird aber nicht ohne Polizeischutz arbeiten können, was wiederum zur Folge hätte, dass ausgerechnet das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Sicherheitsbehörden um Hilfe fragen muss. Werden in diesem Jahr dann auch noch die Eigentumsverhältnisse juristisch sicher geklärt, rechnen Beobachter mit einer Zunahme der Dynamik vor Ort.

Unbekannte sprühen „L34 lebt“

Denn durch die augenscheinliche Entspannung der Lage vor Ort fühlen sich jene bestätigt, die ein hartes Vorgehen gegen extremistische Rückzugsorte fordern. Die Rigaer Straße gilt als der symbolträchtigste Ort der linken und linksextremen Szene in Berlin mit Symbolcharakter für die Szene in ganz Europa und als einer ihrer letzten Rückzugsorte.

Allerdings, auch das wissen Ermittler, ist die Ruhe vor Ort brüchig. Eine der letzten erfassten Straftaten der Polizei im Zusammenhang mit dem Nordkiez stammt vom 8. Januar dieses Jahres. An der Revaler Straße spühten Unbekannte an ein Mehrfamilienhaus: „L34 lebt“ und daneben ein Anarchiezeichen.

 

von Alexander Dinger
https://www.morgenpost.de/berlin/article231350438/Nach-Liebig-Raeumung-Weniger-Straftaten-im-Nordkiez.html

passiert am 18.01.2021