Lustloser Kommentar zu #ZeroZeroCovid

Aus unserer (proletarischen) Perspektive war die bildungsbürgerliche Linke lange Zeit ein Hort der kritischen Vernunft. Und damit eine Verbündete. Diese Phase neigt sich vielleicht gerade ihrem Ende zu. Wenn akademische Milieus nicht mehr an unserer Seite stehen, mit ihrer Kritik nicht mehr die Organisierungsprozesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten unterstützen, verlieren sie ihren Nutzen für uns. Wenn diese Milieus unsere Gegner*innen (ideologisch) stärken, werden sie selbst zu solchen. Leider.

Es ist jetzt vorbei und es war doch schön
Wir blieben gern hier, doch wir müssen nun gehn
Alles hat ein Ende, weiß doch jeder von euch
Auf wiedersehn

Die Forderung, alles Systemrelevante runter zu fahren, wirkt ein wenig unverständlich. Vorsichtig ausgedrückt. Denn erstens geht es uns darum, alles für dieses System relevante zu überwinden. Eines Systems, welches diese Pandemie erst hervorgebracht hat, und noch weitere hervorbringen wird. Und wenn systemrelevant wohlwollend übersetzt mit gesellschaftlich relevant, stellt sich zweitens die Frage, wer über diese Relevanz denn entscheiden soll. Ein solcher Prozess erfordert die Vermittlung von Bedürfnissen zwischen Konsument*innen und Produzent*innen. Letztere wissen am besten Bescheid, was zur Produktion nötig ist und wie diese unter menschlichen Bedingungen zu organisieren wäre. Wer setzt die kaputte Heizung instand? Wer produziert medizinische Ersatzteile? Und vor allem unter welchen Bedingungen? Der substanzlose Kampf für einen paternalistischen Kriegskommunismus ist da wenig hilfreich!

Auch ein wenig verwunderlich erscheint uns die Gleichsetzung von Schutz und Isolation. Ein Humanismus sollte immer die Entwicklung von Schutzkonzepten gefährdeter Menschen im Blick behalten – bei Aufrechterhaltung einer möglichst hohen Lebensqualität für diese und alle Anderen. Auch innerhalb einer pandemischen Dynamik. Und wieder die Frage: Was ist Schutz und was bedeutet Lebensqualität? Und wer entscheidet darüber? Aktuell bedeutet Schutz vor allem, den Schutz des Gesundheitssystems. Eines Systems was alle Überflüssigen lediglich verwahrt, sprechende Werkzeuge repariert und die Aneignung von Arbeitskraft garantieren soll. Und Lebensqualität meint die Zirkulation letzterer. Eine Überwindung dessen sehen wir nur in einem Austauschprozess über unsere Bedürfnisse und Fähigkeiten. Und über die Möglichkeiten, auf einer solchen Grundlage dieses System zu revolutionieren. Eine Wiederholung der Zustimmung zu den Kriegskrediten von 1914 ist da wenig hilfreich!

Dies nur als kleine Einwände, wohin die Reise auch gehen könnte. Konkret müssen wir wohl von denjenigen, welche einen gesellschaftlichen Überblick für sich beanspruchen (linkes, akademisches Milieu), ein klein wenig mehr Solidarität einfordern. Sie ist leider nicht länger voraussetzungsfrei vorhanden. Und da Forderungen derzeit hoch im Kurs stehen: Wir fordern sichtbare Bemühungen, emanzipatorische Vermittlungs- und Austauschprozesse zu unterstützen. Wir fordern einen Abstieg aus dem Elfenbeinturm und die Teilnahme im Handgemenge. Wir fordern ein Ende des staatsstärkenden Populismus und die Hinwendung zu einer revolutionären Realpolitik. Und wir Fordern Forderungen, welche letztgenannte nicht verunmöglichen!

Denn was von geführten Kämpfen übrig bleibt ist nur scheinbar Erfolg oder Misserfolg. Eine viel tiefer gehende Wirkung haben mitunter die Methoden, haben die Bildungseffekte. Kämpfen wir in patriarchalen Mustern (Gefühlsverdrängung, Abspaltung der Bedürfnisse, Hierarchie), werden wir mit einer verstärkten Verinnerlichung dieser Strukturen aus den Konflikten herauskommen. Führen wir diese emanzipatorisch (Akzeptanz unserer Gefühle, Aushandlung unserer Bedürfnisse, solidarische Selbstermächtigung), werden eher diese Effekte nachhallen. Wenn es stimmt, dass jede Bewegung in ihrer Form die angestrebte Utopie vorwegnehmen muss, dann Gnade uns Gott in diesen Zeiten linker Politik. Die kommende und zwangsläufige Spaltung der Linken verläuft unter Umständen exakt an dieser patriachalen Linie. Ausgetragen zwischen linkem Populismus und revolutionärer Realpolitik.

So, das war‘s mit dem Wort zum Sonntag
(wegen depressiver Verstimmung erst zwei Tage später nach Feierabend verfasst)

Kritik des Aufrufs #ZeroCovid
https://www.akweb.de/bewegung/zerocovid-warum-die-forderung-nach-einem-harten-shutdown-falsch-ist/

Kritik an Unterstützung des Aufrufs #ZeroCovid
https://kontrapolis.info/1788/