Illegaler Räumungsversuch in der Habersaathstraße

Berliner Polizei ermittelt gegen Sicherheitsmitarbeiter

Die Situation im umkämpften Haus in Berlin-Mitte wird immer bedrohlicher: Der Eigentümer versucht, einen Teil des Komplexes räumen zu lassen. Die Polizei schreitet ein.

Der Konflikt um den Hauskomplex in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte spitzt sich zu. Der Hauseigentümer versucht offenbar mit immer drastischeren Mitteln, die verbliebenen Bewohner:innen zum Auszug zu bewegen.
Nachdem am frühen Montagmorgen der Gebäudeteil mit der Hausnummer 48 von der Polizei und mit gerichtlichen Räumungstiteln geräumt wurde, wobei jedoch nur eine Partei angetroffen wurde, spielt sich Freitagfrüh ein ähnliches Szenario in der Nummer 44 ab – diesmal allerdings illegal: Ein Räumungsversuch, durchgeführt von einem privaten Sicherheitsdienst, ohne gerichtliche Befugnis. Doch eine Räumung darf nur mit gerichtlichen Titeln und von der Polizei durchgeführt werden.

Wie die Berliner Polizei am Freitagnachmittag mitteilte, hatten Hausbewohner:innen gegen 6.30 Uhr die Einsatzkräfte alarmiert: Mitarbeiter eines vom Hauseigentümer beauftragten Sicherheitsdienstes hätten an die Türen geklopft und die Nachbarn aufgefordert, das Haus zu verlassen. In einzelnen Fällen sollen die Security-Mitarbeiter auch gegen Wohnungstüren getreten und diese beschädigt haben, hieß es von der Polizei. Das Handeln der Sicherheitsleute habe auf die Bewohner:innen bedrohlich gewirkt.

Verdacht auf Sachbeschädigung und Nötigung

Die Beamten beendeten das Vorgehen und brachten die Securitys aus dem Haus. „Anschließend erörterten und verdeutlichten sie diesen die geltende Rechtslage“, hieß es von der Behörde. Gegen die Sicherheitsleute seien Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung und Sachbeschädigung eingeleitet worden. Die Nachbarn hätten in den Wohnungen bleiben können, verletzt worden sei niemand.

Bei einem Besuch vor Ort am Freitagvormittag zeigt sich: Die Männer des privaten Wachdienstes haben offenbar mehrere Türen eingetreten. Mitunter liegen Teile von Türrahmen und von Schlössern zersplittert auf dem Boden. In einer Wohnung hat das Räumkommando offenbar die Toilette aus der Wand geschlagen. Viele der Bewohner:innen sind trotzdem noch im Haus. Sie hätten sich geweigert, ihre Wohnungen zu verlassen, sagen sie.

Mehrere Hausbewohner:innen schildern dem Tagesspiegel, wie sie am Morgen gegen sechs Uhr vom Hämmern gegen ihre Türen und durch Geschrei im Treppenhaus wach geworden seien. „Polizei, aufmachen“, sei geschrien worden.
„Ich bin aufgewacht und in dem Moment standen Menschen in meinem Wohnzimmer“, erzählt Fabian Jung. Die Männer hätten ihn aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Außerdem hätten sie ihm eine Vollmacht vom Eigentümer gezeigt. „Einer hat mit einer Taschenlampe nach mir geschlagen und mich nur knapp nicht am Kopf getroffen“, sagt Jung. Er habe sich geweigert, die Wohnung zu verlassen und gesagt, er warte auf die Polizei. Ein Mitarbeiter vom Räumkommando habe daraufhin behauptet: „Ich bin die Polizei.“

Fabian Jung ist einer der Aktivisten, die 2021 und 2022 die Besetzung der etlichen damals schon leeren Wohnungen in der Habersaathstraße organisiert haben. Seitdem wohnt er hier, ohne Mietvertrag. Seit den Besetzungen leben im Hauskomplex auch viele ehemals obdachlose Menschen, aufgrund einer Vereinbarung des Bezirks mit dem Eigentümer.
Wohnungen leer stehen zu lassen, ist wegen des Zweckentfremdungsgesetzes nur in Ausnahmefällen und mit Genehmigung des Bezirksamts erlaubt. Hätte der Eigentümer sich nicht bereiterklärt, die ehemals Obdachlosen im Haus wohnen zu lassen, hätte er die Wohnungen wieder regulär vermieten müssen, was er offenbar nicht wollte. Bei der polizeilichen Räumung am Montag ging es um Wohnungen, die von ehemals Obdachlosen ohne Mietverträge bewohnt wurden. Diese Aktion war von Gerichten abgesegnet.

Auch Mieterin mit regulärem Vertrag betroffen

Im Gegensatz zu der Aktion von Freitag: Anscheinend hat das private Räumkommando auch versucht, eine reguläre Mieterin aus ihrer Wohnung zu bekommen. Sie schildert ihren Nachbarn am frühen Morgen in einer Nachricht, wie das Räumkommando an ihre Wohnungstür hämmert und behauptet, sie hätte gar keinen Mietvertrag. Parallel soll die Mieterin zunächst erfolglos versucht haben, den Notruf zu erreichen. Irgendwann kommt die Polizei doch, die Mieterin kann in der Wohnung bleiben.

Was soll das Ganze? Offenbar geschah der morgendliche Einsatz des privaten Trupps im Auftrag der Hauseigentümerin, der Arcadia Estates. Das Unternehmen versucht seit Jahren, den Hauskomplex leer zu bekommen, um das Haus abreißen zu können.
Der Geschäftsführer der Arcadia Estates antwortete auf eine kurzfristige Anfrage des Tagesspiegels zunächst nicht. Allerdings bestätigte ein Mitarbeiter der Firma K&K Munitionsbergung aus Teltow-Fläming am Telefon, dass Mitarbeiter des Unternehmens am Freitagmorgen im Auftrag des Hauseigentümers eine Räumungsaktion in der Habersaathstraße durchgeführt hätten.
Für weitere Details verwies er an den Geschäftsführer von K&K, der am Freitag nicht mit dem Tagesspiegel sprechen wollte. Die gleiche Firma hatte bereits im August 2023 im Auftrag der Arcadia Estates das Haus in der Habersaathstraße demoliert.

Abrissgenehmigung versus gültige Mietverträge

Das Bezirksamt hat dem Hauseigentümer Abriss und Neubau auf dem Grundstück genehmigt. Dem Abriss entgegen stehen jedoch fünf unbefristete Mietverhältnisse, verteilt über unterschiedliche Aufgänge des Hauskomplexes. Gerichte haben mehrfach entschieden, dass der Eigentümer diese nicht lediglich deshalb kündigen kann, um eine bessere wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks zu erzielen. Solange diese Mietverhältnisse bestehen, kann der Abriss also nicht beginnen.
Ende des Jahres läuft die Abrissgenehmigung aus. Das heißt: Wenn der Eigentümer die vorliegende Genehmigung nutzen will, muss es ihm gelingen, die Haushalte mit langfristigen Mietverträgen vor Ende des Jahres zum Auszug zu bewegen.
Das dürfte auch der Hintergrund sein, vor dem der Eigentümer den Fernwärmevertrag mit der Berliner Energie und Wärme (BEW) zum 1. November beendet hatte. Der Bezirk hatte dem Eigentümer Zwangsmaßnahmen angedroht, sofern dieser nicht bis zum 22. Oktober darlegt, wie die Wärmeversorgung ab November sichergestellt sein soll. Das hat der Eigentümer offenbar nicht dargelegt, teilt das Bezirksamt am Freitag mit: „Die nächsten Schritte werden vor diesem Hintergrund geprüft und vorbereitet.“

Seit der polizeilichen Räumung am Montagmorgen patrouilliert rund um die Uhr ein Wachdienst vor dem geräumten Haus mit der Nummer 48. In diesem lebt noch ein Mieter mit regulärem Mietverhältnis. Er sei in Sorge, dass ein Bewegungsprofil von ihm durch das Wachpersonal erstellt werde, sagt der Mann. Am Freitagvormittag bewachen den Hauseingang fünf Männer gleichzeitig.
Im Treppenaufgang des Hausteils, der am Montag geräumt wurde, ist inzwischen außerdem eine Tür zugemauert worden. In der dahinter liegenden Wohnung hatte jemand ohne regulären Mietvertrag gewohnt. Der Person war in einem gerichtlichen Vergleich das Recht zugesprochen worden, solange in dem Haus wohnen zu dürfen, wie es reguläre Mietverhältnisse in dem Haus gibt.

Jetzt droht der Bezirk dem Eigentümer mit Entmachtung

Ab November kalte Wohnungen Eigentümer des umkämpften Hauses in der Berliner Habersaathstraße beendet Wärmevertrag
Offenbar hofft der Eigentümer, dass die Mieter mit den regulären Verträgen angesichts des Programms, das er diese Woche in der Habersaathstraße auffährt, langsam mürbe werden. Am Donnerstag hat der Anwalt des Eigentümers sich bei den Anwälten der Mieter mit langfristigen Verträgen gemeldet und angefragt, ob „angesichts der inzwischen vor Ort eingetretenen Lage“ eine „Einigung“ möglich sei. Der Eigentümer hatte den Mietparteien mit langfristigem Vertrag bereits vor einigen Wochen einen Vergleich vorgeschlagen, damit sie ausziehen. Diese hatten bisher aber abgelehnt.
Der Besuch des illegalen Räumungskommandos am Freitag dürfte als weiteres Instrument zu verstehen sein, um das Vergleichsangebot zu untermalen.