Über das Gedenken an unsere gefallenen Gefährt*innen

Anlässlich eines weiteren internationalen Aufrufs zu Aktionstagen für Kyriakos Xymitiris, hier etwas über die Gedenkkultur im anarchistischen Milieu.

Wir waren zufrieden am 1. Mai 2009 in Kreuzberg. Kurz nach dem Start der Demonstration wurde begonnen die Polizeikräfte an den Seiten mit Steinen einzudecken. Auf der ganzen Route. Bis zum Schluss am Kotti. Ein Desaster für die Polizeiführung, die Hunderte verletzte Bullen meldete. Was wir nicht wussten und was sich erst in den Tagen danach als bitterer Beigeschmack in die Erinnerung dieses Datums einbrannte:

In der Nacht auf den 1. Mai explodierte in einer stillgelegten Fabrik in Cognin (Chambéry/Frankreich) eine Bombe beim Zusammenbau in den Händen von Zoé Aveilla. Die 23-jährige wurde dabei getötet, ihr Begleiter Michaël schwer verletzt. In Berlin kamen wenig Informationen über die Ereignisse an. Es hieß, die Gefährt*innen in Frankreich seien traumatisiert und wollen nicht, dass mehr auf internationaler Ebene passiert.

Das war in einer Phase der vom französischen Staat betriebenen Hetze gegen „anarcho-autonome“ und „ultra-linke Terroristen“. Die Tarnac Affäre war Auslöser dafür. Dazu gab es auch in Berlin Soliaktionen. Im Rückblick kann gesagt werden, dass die autonome Szene in Berlin für die Betroffenen in Cognin nicht viel unternommen hat. Aus heutiger Sicht unverständlich, fühlt es sich nach Versagen an; Zoé Aveilla war 2007 an der Besetzung des dänischen Konsulats in Lyon beteiligt, im Kontext der Räumung des Ungdomshuset. Ein Ereignis von Bedeutung für die Autonomen in Berlin. Sie und Michaël waren in der Squatting Bewegung aktiv, die besetzten Häuser von Cognin wurden nach der Explosion durchsucht und vier Menschen wurden unterschiedlich lang in U-haft geschickt. Falls die Frage von emotionalem oder praktischem Support in Berlin geführt worden sein sollte, muss es sehr verdeckt gewesen sein. Der spätere Prozess ging vergleichsweise glimpflich zu Ende, für die Details siehe https://lesinculpes.over-blog.com/

Unklar war lange Zeit, ob es überhaupt in Ordnung ist, Zoé in Texten oder Transparenten beim Namen zu nennen. So ist sie leider in vielen Kreisen in Vergessenheit geraten. In jenen Jahren haben einige Gefährt*innen im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse ihr Leben verloren; und je nachdem wo es passierte, wurden sie Teil der Erinnerungskultur. Diese Erinnerungskultur, oft zelebriert an bestimmten Daten, wurde häufig hinterfragt. Klar ist, wir brauchen keine Held*innen oder Märtyrer. Und wir dürfen die Geschichtsschreibung nicht dem Feind überlassen. Freund*innen von Zoé haben vier Jahre nach ihrem Tod folgendes geschrieben:

„Zoé n’est pas une martyr de « la cause ». Elle n’est pas morte pour une idéologie, pour le peuple, ou pour « la révolution ». Zoé est morte d’être libre, ou de vouloir l’être. Elle est morte d’être amoureuse, amie, bricoleuse, féministe, voyageuse, dynamique, intelligente, radicale, généreuse… Zoé est morte d’être qui elle était.“https://juralib.noblogs.org/2013/05/01/il-y-a-quatre-ans-mourait-zoe/

Die Gefallenen dienen ebenso oft als Projektionsfläche bestimmter Strömungen. Dagegen sollten wir uns wehren, wie es vor einiger Zeit im Zusammenhang mit dem Tod von Kevin Garrido in Chile nötig war. Dankenswerter Weise gab das 325 Magazin damals ein Statement ab, in dem auch Zoé erwähnt wird, nachzulesen hier https://www.thetedkarchive.com/library/regarding-the-death-of-kevin-garrido-clarifications-and-positioning

Das Gedenken an unsere gefallenen Gefährt*innen beinhaltet auch den Versuch, sich mit ihrer Persönlichkeit auseinanderzusetzen, zu versuchen ihre Motivation weiter zu tragen – wenn wir damit übereinstimmen. Ohne sie dabei auf die Aktion zu reduzieren, in der sie getötet wurden. Als Beispiel für eine Gedenkkultur, die den Mensch hinter der Bombe sichtbar macht, können die Aufrufe aus Chile zu einem Schwarzen Mai (https://darknights.noblogs.org/post/tag/black-may/) gesehen werden.

Es geht darum zu verhindern, dass der Tod unserer Gefährt*innen nur Verzweiflung hinterlässt. Auch in ferner Zukunft soll für neue Generationen von Widerständigen von den Gefallenen mehr erkennbar sein, als die Fotos in den Archiven.

Keine drei Wochen benötigte die Verschwörung der Feuerzellen (ΣΠΦ) um im Mai 2009 an Zoé Aveilla zu erinnern. In einer Erklärung zu Bombenangriffen auf im Bau befindliche Polizeiwachen in Athen und Thessaloniki wird auf sie und ihren Begleiter Bezug genommen, https://athens.indymedia.org/post/1035228/

Eine Zusammenfassung der Ereignisse von Cognin gibt es bei

https://infokiosques.net/spip.php?page=lire&id_article=709

ΚΥΡΙΑΚΟΣ ΞΥΜΗΤΗΡΗΣ ΑΘΑΝΑΤΟΣ

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passiert am 30.04.2009