(B) 14.12. Friedrichshainer Mischung machts möglich

Der Aufmarsch des „Aktionsbündnis Berlin“ am 14.12. in Friedrichshain war kein Erfolg für die Neonazis. Knapp 100 von ihnen standen einer Masse (mindestens 3000 sagt die Polizei) von Gegendemonstrant*innen gegenüber. Effektiv blockiert nach 800 Metern, verpissten sie sich in die U-Bahn. Wie immer war es die Friedrichshainer Mischung aus gut vernetzter Nachbar*innenschaft, kleineren und größeren offiziell angemeldeten Versammlungen und Militanz, die zum frühzeitigen Abbruch führte.

Die Neonazis

Der Vortreffpunkt der Neonazis von „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) war um 12 Uhr am Bahnhof Südkreuz. Gesichtet wurden vorher auch welche am Bahnhof Wuhlethal und am Nöldnerplatz. Am Alexanderplatz wartete die Orga mit der Anlage erfolglos auf ihren Lautsprecherwagen. Die Anlage schleppten sie übriegens den ganzen Tag ungenutzt mit sich rum. So tröpfelten alle nach und nach zwischen 12 und 13 Uhr mit unterschiedlichen S-Bahnen und auch Regios am Ostkreuz ein und gingen ungehindert zu ihrem Auftaktort. Dort erwarteten sie schon ihre Streamer (Weichreite, BeobachterLive, Stephan Böhlke und AnsarBerlin), die als erste im Bahnhof und am Sammelpunkt Sonntagsstraße Ecke Neue Bahnhofstraße waren. Es waren zur Höchstzeit etwas mehr als 100 Neonazis, wohl aus dem ganzen Bundesgebiet. Eine Übersicht, wer da war, wurde von Monitorberlin veröffentlicht (https://monitorberlin.blackblogs.org/2024/12/15/uebersicht-teilnehmende-des-neonaziaufmarsches-am-14-12-2024-in-berlin-friedrichshain/) Bilder vom Aufmarsch selbst sind auf Flickr (Timm Moench: https://www.flickr.com/photos/timmoench2019/albums/72177720322564742/, RechercheNetzwerk.Berlin https://www.flickr.com/photos/recherche-netzwerk-berlin/albums/72177720322601679/ und Armilla Brandt https://www.flickr.com/photos/196900628@N03/54208393068/in/album-72177720322622614)

Mit dieser Mobilisierungsstärke wurde allgemein nicht gerechnet, weil eigentlich nur der Aachener Ex-AfD Funktionär Ferhat Sentürk und der Versammlungsleiter Jannik D. Giese im Vorfeld so richtig für den Aufmarsch mobilisierten. Ja, auch in der Neonaziszene soll es noch sowas wie interne Mobilisierungen und Spontanität geben. Darunter hat aber die Organisation des Aufmarschs gelitten. Andere Gruppierungen wie 3.Weg und deren Jugendorganisation NRJ haben sich nicht angeschlossen, wahrscheinlich weil das Spektrum, was am 14.12. in Friedrichshain unterwegs war, so gar nicht ins Image der NS-Kader passt. Auch die Jugendorganisation der AfD ließ sich nicht mobilisieren, obwohl die Sache eigentlich von ihren Leuten aus NRW mit angezettelt wurde. Die AfD Berlin/Brandenburg hatte sich ebenfalls vorher distanziert, was auch zum Ausscheiden des Mitorganisators Maximilian Fritsche aus Barnim führte. Laut den Neonazis sind einige von ihnen nie am Startpunkt angelangt, weil sie sich angeblich in den Gegenprotesten verheddert haben.

Für vier von ihnen, die aus Halle in einer Gruppe von ca. 20 Leuten angereist waren, endete der Ausflug nach Berlin bereits in Lichterfelde, wo sie erst Wahlhelfende der SPD attackierten und sich dann gegen ihre Festnahme wehrten. Die Gewalt (Tritte gegen den Kopf bei einem SPDler, Schnittwunden und Handbruch bei den Polizisten) war so schwer, dass für drei 16 bis 19 Jährige Untersuchungshaft angeordnet wurde (https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/halle/angriff-spd-mitglieder-berlin-rechtsextremisten-100.html). Sie schafften es damit in die Tagesschau und sorgten für eine erneute Diskussion zum Schutz von Wahlkämpfenden im anstehenden Bundestagswahlkampf (z.B. im Spiegel https://www.spiegel.de/panorama/berlin-lichterfelde-angriff-auf-spd-mitglieder-das-haben-die-nicht-zum-ersten-mal-gemacht-a-8a76e7d4-35cc-48b0-9e07-7b71d3454d0a). Der Tagesspiegel fragte sich sogar „Ist die Springerstiefelgewalt der 90er Jahre zurück?“ (https://www.tagesspiegel.de/berlin/springerstiefel-ku-klux-klan-und-zecken-boxen-das-sind-die-hintergrunde-der-neonazi-schlager-von-lichterfelde-12886609.html) Und Grüne, Linke, SPD, CDU und FDP demonstrierten eine Woche später, am 21.12. „Gegen Neonazismus – Für Demokratie und Vielfalt“ am Ort der Tat (https://vorwaerts.de/parteileben/neonazi-angriff-berlin-warum-eine-spd-politikerin-weiter-flagge-zeigt).

Mit allen Anfangsschwierigkeiten beim Auftakt des Aufmarschs verlas Giese gegen 14 Uhr die Auflagen und der Aufmarsch setzte sich halb drei in Bewegung. Es folgte ein Stopp&Go gemäß den Anweisungen der Polizei, die kleine Blockaden räumte, Gitter hin und her schob, Autos umbugsierte. Die Anwohnenden bewarfen den Aufmarsch aus ihren Fenstern mit Klopapier und konfrontierten sie durch Sprechchöe. Nach einer halben Stunde endete der Aufmarsch nach 800 Metern geradeaus auf einer Wiese an der Ecke Frankfurter Allee/Gürtelstraße, eingekeilt nach Süden durch Polizeiautos und eine angemeldete Demo die der Nazidemo folgen sollte; nach Westen durch tausende die an den Gittern rüttelten; nach Norden durch eine große Blockade auf der Frankfurter Allee und nach Osten durch eine ziemlich dynamische Masse von mehreren hundert, die immer wieder gegen die Polizei anrannte und zurückgedrängt wurde. Der einzige Weg blieb in den U-Bahnhof Frankfuter Allee. Von dort gelangten sie geschlossen nach Lichtenberg. Eine kleine Gruppe ging in die Szenekneipe „Sturgis“ (Margaretenstr. 21). Eine andere kleine Gruppe fuhr Richtung Innenstadt und ging ins Alexa, eine andere stieg am Ostkreuz in die Bahn nach Buch. Der größte Teil wurde von der Polizei in die S-Bahn nach Springpfuhl gesteckt. Dort angekommen verstreuten sie sich, einige mit der Tram, andere wieder mit der S-Bahn zurück in die Innenstadt.

Für die Neonazis selbst war der Aufmarsch übrigens ein Erfolg und sie kündigten neue an. Auf ihrem Insta-Profil fragten sie ihre Anhänger*innenschaft wer am 18.12. eine Demo gegen Femizide stören will. Der nächste eigene Aufmarsch ist aber erstmal in Aachen. Am 18.1.2025 mobilisiert das „Aktionsbündnis Aachen“ zu einem Aufmarsch. Die Jugendantifa Aachen ist aber dran.

Die Gegenproteste

Wirklich mobilisiert wurde nur im Friedrichshain per Plakaten und in den Häusern entlang der Route. Es gab drei öffentliche Mobi-Veranstaltungen und unzählige Treffen auf denen sich die Nachbar*innenschaft und die Projekte für den Tag Gedanken gemacht haben. Auch auf Socialmedia war einiges los: Nach dem Aufmarsch von DJV in Marzahn im Oktober gab es eine Menge Likes für die Ankündigung nochmal gegen das Spektrum auf die Straße zu gehen. Das Bündnis „Widersetzen“ (https://widersetzen.com/) nutzte das Event, um nach dem Bundesparteitag der AfD in Essen im Sommer nicht aus der Übung zu geraten. Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg beschloss eine Resolution wo ein Verbot des Aufmarschs gefordert wurde (https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=11789). Zurückhaltend waren die großen Organisationen wie Gewerkschaften, die Landesverbände der Parteien und die vielfältige Trägerlandschaft, die vor ein paar Jahren sowas noch mitgenommen hätten um sich zumindest vor ihren Mitgliedern gerade zu machen. Vielleicht weil die aktuelle politische Lage es nicht her gibt sich auf ein Terrain zu begeben, auf dem der Aktionskonsens eher breit interpretiert wird. Jedenfalls machte sich das Ausbleiben dieser Unterstützung auf der Straße bemerkbar. Der Gegenprotest war eher dunkelbunt und dynamisch, aber nicht wirklich breit.

Im Vorfeld wurde viel über die angemeldeten Demos und Kundgebungen gesprochen. Stattgefunden hat die feministische Demo vom Club ://about blank aus, die durch den Zubringer von „Kreuzberg United“ mit 200 Leuten und einer Fahrraddemo aus dem Südkiez gestützt wurde. Die Demo zog einmal nach Osten um das Ostkreuz herum, um dann in der Marktstraße (Verlängerung der Boxhagenerstraße) an den Gittern unter der S-Bahn-Unterführung stehen zu bleiben. Da waren die Neonazis noch nicht losgelaufen. Also machten sich von da aus die rund 1.500 Leute los, um über die Umwege Wiesenweg oder Rote-Kapelle-Kiez (alles östlich der Bahngleise) noch näher an die Strecke zu kommen. Als der Nazi-Aufmarsch gegen 14:30 startete, entwickelte sich eine größere Dynamik. Es gingen Dinge kaputt und die Bullen wurden angegriffen, weil sie den Weg nicht freimachen wollten. Mehrfach sind Durchbrüche geglückt. Aber nur kurzzeitig.

Parallel lief eine große Protestkundgebung an der Sonntagstraße. Die hatte die Neonazis zwar im Blick, aber machten sich auch irgendwann los, um auf die Route zu kommen. Diese dann aus dem Boxhagener Kiez heraus. Hier kam es ab 14 Uhr in allen Seitenstraßen zu Versuchen, die Polizeiblockaden zu überwinden. Auch mit Feuerwerk und Steinen. Gebrannt hatte es vereinzelt auch. An der Scharnweberstraße zog sich die Polizei laut eigenen Angaben auch mal zurück.

Gegen 13 Uhr saßen etwa 30 Personen auf der Strecke, Boxhagener Ecke Gürtelstraße. Mehr schafften es dahin nicht, weil die Polzei alles großräumig abgesperrt hatten. Nur die Anwohnenden unterstützten hier tatkräftig. Diese Blockade wurde kurz nach Beginn der Aufmarschs ziemlich rabiat geräumt.

Eine weitere zentrale Versammlung war von den Omas gegen Rechts am RingCenter 2 an der Frankfurter Allee Ecke Möllendorfstraße. Auch hier gingen kurz nach 13 Uhr mehrere größere Gruppen/Finger aus unterschiedlichen Richtungen in den noch laufenden Verkehr, um eine Blockade zu beginnen. Die Polzei ging massiv vor, aber die rund 70 Leute blieben stabil. Es schlossen sich immer mehr an und so wurde das zu dieser großen Blockade, die dann den Erfolg gebracht hat.

Die Bullen

Laut Pressemitteilung der Polizei ist es ganz einfach: „Wegen besonders schwerem Landfriedensbruch, Landfriedensbruch, tätlichen Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, Belohnung und Billigung von Straftaten, gefährlicher Körperverletzung, gefährdendem Verbreiten personenbezogener Daten sowie Beleidigung wurden insgesamt 40 Strafermittlungsverfahren eingeleitet. In Summe kam es zu 29 Freiheitsbeschränkungen. 31 Einsatzkräfte wurden verletzt.“ Der Tagesspiegel hat es präzisiert: 20 Festnahmen links, 8 rechts und 2 nicht zuzuordnen.

Die Berliner Polizei hatte den entscheidenen Anteil an der Durchführung des Neonaziaufmarschs. Das fing im Vorfeld an: Das Aufblähen der Zahlen von 100 Angemeldeten auf 1000, sowie die Änderung der Route an den Rand von Friedrichshain war wichtig, um den Einsatz dann auch so mit 1000 Kräften, vielen Gittern und Gerät zu planen. Dazu gehörten auch die ständigen Einschüchterungen und Änderungen der angemeldeten Gegenproteste, so dass auch die sich in die Polizeistrategie einfügten. Sie ignorierten das Erstanmelderecht von Gegenkundgebungen, die schon vor dem Aufmarsch auf der geänderten Aufmarschroute angemeldet waren, wohl wissentlich, dass dagegen nicht mehr gerichtlich vorgegangen werden konnte. Schon zwei Tage vorher standen an vielen Kreuzungen Gitter – auch bis zum potentiellen Endpunkt U-Bhf. Lichtenberg. Die Polizei war ab morgens rund um das Ostkreuz präsent. Die Absperrungen bis zur Boxhagener Straße standen schon, als von den Neonazis noch gar nichts zu sehen war. Anwohnende wurden nur mit Ausweis durchgelassen. Auch die Parks drumrum waren unter Beobachtung oder wie der Fußballblatz an der Gürtelstraße sogar der Sammelplatz der Bullen. Sie lasen mutmaßlich die SocialMedia-Kanäle mit. Als #widersetzen den Treffpunkt Boxhagener Platz um 10 Uhr veröffentlichte, dauerte es nicht lange bis sie auch dort aufmarschierten. Später spähten sie auch die Cafés an dem Platz aus. Bei der Anreise der Neonazis waren sie an den Schleusungspunkten beratend tätig und boten sogar an, den Lautsprecherwagen zu eskortieren. Am Ostkreuz übernamen sie die Trennung der Lager und schlossen kurzerhand einen Eingang. Beim Aufmarsch ab 14:30 Uhr sorgten sie für die Geschwindigkeit, räumten die Route frei und gingen sehr gewalttätig gegen Blockaden vor. Die Absperrungen der Seitenstraßen erfolgte mit Hamburger Gittern, Polizeikräften und vor allem Autos, die so geparkt waren, dass ein Durchfließen praktisch nicht möglich war. Auch bei der Abreise gegen 16 Uhr schlossen sie mehrere U-Bahnhöfe und machten den Neonazis alles frei. Möglich war ihnen das auch, weil sie sich trotz der Proteste noch sehr gut bewegen konnten. Aufstellungsort der Fahrzeuge waren am Markgrafendamm, also auf der anderen Seite des Ostkreuz. Die Umgruppierung vom Ostkreuz nach Lichtenberg hat kaum wer mitbekommen.

Mit 1.000 Bullen wollte der CDU/SPD-Senat beweisen, dass auch Neonazis in Berlin willkommen sind. Auch wenn sie solche schweren Attacken wie die in Lankwitz gegen die SPD-Wahlhelfenden mit einkalkulieren, wurden sie dennoch daran erinnert mit welcher Ernsthaftigkeit den Neonazis jeder Coleur in Friedrichshain begegnet wird. Der Tag war nicht ruhig, es ist eine Menge kaputt gegangen, die Straße wurde sich genommen und unsere Solidarität als vielfältige Nachbar*innenschaft wird auch in Zukunft stärker sein als die Planspiele der Polizeiführung. Wir hoffen dass die Verletzten schnell wieder genesen und soviel Unterstützung erfahren wie sie brauchen.

Ratschläge an Festgenommene: Macht ein Gedächtnisprotokoll, geht nicht zu polizeilichen Vorladungen, richtet euch darauf ein, dass die Polizei weiter ermittelt und noch Beweise sammelt. Vernetzt euch mit anderen Betroffenen, besucht eine Sprechstunde der Roten Hilfe. Zusammen sind wir stark, auch wenn wir von Repression und polizeilicher Willkür nur als Einzelpersonen betroffen sind.

Interessante Berichte aus den Medien

RBB Beitrag: https://www.rbb-online.de/abendschau/videos/20241214_1930/Demonstration_gegen_Rechtsextremisten.html

Neues Deutschland: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187568.friedrichshain-rechtsradikale-demo-in-berlin-mit-freundlicher-unterstuetzung.html

Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/berlin/gegendemonstranten-blockieren-strasse-polizei-beendet-neonazi-aufmarsch-in-berlin-friedrichshain-12875221.html

Jungle World: https://jungle.world/artikel/2024/51/flop-friedrichshain

LiveTicker: https://www.berlin-live.de/berlin/aktuelles/demos-berlin-neonazis-friedrichshain-id331489.html

Berlin Gegen Nazis: https://berlin-gegen-nazis.de/erfolgreiche-proteste-gegen-neonazi-aufmarsch-in-friedrichshain/

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passiert am 14.12.2024