Rückschau auf zwei Jahre Aufarbeitungsprozess. Bericht eines Teils aus dem ehemaligen Umfeld Johannes Domhövers.
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Content Note
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In diesem Text schreiben wir über unseren Aufarbeitungsprozess als Teil des Umfelds von Johannes Domhöver (im Folgenden J.D.), das sich täterschützend verhalten hat. Dementsprechend geht es u.a. über unseren Beitrag zu seinem gewaltvollen Verhalten. Es werden Themen wie manipulatives Verhalten, psychische Gewalt, physische Gewalt, sexualisierte Gewalt und weitere Arten der Grenzüberschreitung gegenüber Betroffenen besprochen.
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Disclaimer
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Wir verwenden in diesem Text oft abstrakte Begriffe um die Gewalttaten von Johannes zu besprechen. Damit wollen wir die Taten von J.D. auf keinen Fall relativieren. Es soll hier noch mal ganz klar gesagt sein: J.D. war sexuell gewalttätig. Er hat manipuliert, bedroht, vergewaltigt und viele andere Formen von Gewalt angewendet. Daran besteht für uns kein Zweifel.
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Einleitung
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Wir sind ein Teil J.D.s ehemaligen Umfeldes. Seit 2022 treffen wir uns, um gemeinsam unseren Anteil an seiner, vor allem gegenüber FLINTA*, ausgeübten Gewalt zu reflektieren. Anstoß zu dieser Arbeit haben wir an den öffentlichen Outcalls von J.D. durch die Unterstützungsgruppen verschiedener Betroffener genommen. Ihr findet die Outcalls unter: https://de.indymedia.org/node/156448 und https://de.indymedia.org/node/156794. Kurz nach Beginn unserer Arbeit haben wir, auch durch FLINTA* angeregt, unsere Treffen in regelmäßigen Abständen mit einer Supervisorin durchgeführt.
Mehr Grundsätzliches zu uns findet Ihr in unserem ersten und bisher einzigen öffentlichen Text unter dem Link: https://de.indymedia.org/node/224145.
Ende März 2023 bekamen wir eine Mail, in der eine Person uns nach dem Stand unserer Reflektion fragte. Diese nahmen wir als ersten Anlass unsere bisherigen Diskussionen zu verschriftlichen. Die letzten Monate im Antifa-Ost-Verfahren und das Prozessende führten allerdings dazu, dass wir kaum noch arbeitsfähig waren. Wir legten eine bewusste Pause unserer Arbeit ein. Bis heute wurde diese allerdings nicht wieder aufgenommen. Wir sind seitdem nur zweimal wieder organisiert zusammengekommen. Einmal für einen zweitägigen Workshop mit intensiver Diskussion und einmal im Rahmen eines internen Austauschs mit verschiedenen Gruppen, die in ihrer Arbeit einen Bezug zu Johannes Domhöver und dem Verfahren in Dresden hatten. Die wenigen Treffen danach fanden i.d.R. in kleinerer Zusammensetzung statt und dienten der Erarbeitung und Diskussion dieses Textes.
Im Folgenden findet ihr einige unserer Ausführungen und Stichpunkte zu verschiedenen diskutierten Fragen. Wir haben diese unter uns aufgeteilt, getrennt erarbeitet und dann gemeinsam überarbeitet. Deshalb sind sie im Stil recht unterschiedlich und ergeben keinen gemeinsamen Fließtext. Stellenweise wiederholen sich Punkte. Das liegt daran, dass die Fragen nicht immer voneinander getrennt beantwortet werden können.
Bei Rückfragen oder Anmerkungen könnt ihr uns weiterhin über die Mailadresse umfeld@systemli.org schreiben.
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1. Fragen und Diskussionsstände
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Durch verschiedene Impulse durch Genoss*innen und Freund*innen haben wir im Laufe der Zeit verschiedene Fragen gesammelt. Einige sind schon in unserem ersten öffentlichen Text unter: https://de.indymedia.org/node/224145 zu finden, andere haben wir uns im weiteren Prozess selbst gestellt.
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Frage 1.1 Was würdet ihr im Nachhinein als Red Flags an Johannes damaligem Verhalten heute identifizieren können?
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Die Folgende Aufzählung der Red-Flags haben wir aus unseren Diskussionen abgeleitet.
• Ausloten der Grenzen in jeder persönlichen Beziehung = J.D. das Chamäleon: Anpassung als Täterstrategie
• Normalität von übergiffigem Verhalten und sexistischen Positionen
• Die Abwesenheit feministischer Positionen
• Abwertung feministischer Aktivistinnen*
• Abfeiern aktivistischer/ soldatischer Männlichkeit
• Unsichtbarmachung und Abwertung seiner Partnerinnen
• Permanente Selbstviktimisierung
• Das Ignorieren von FLINTA* bei sozialen Zusammenkünften
• Gewaltrelativierung/ Nicht-Anerkennen von gewaltvollem Verhalten
• Die Nicht-Übernahme und Abweisung von Verantwortung bei Kritik an ihm, Vorwürfen ggü. ihm und sozialen wie auch politischen Konflikten.
• Verschwiegenheit/Verschwörung und Loyalität als Grundlage für Freundschaften
• Nicht respektieren der Kapazitäten und Grenzen seiner Freunde: seine Bedürfnisse immer ohne Rückfrage über die der anderen Stellen und deren Aufmerksamkeit/ Hilfe/ … einfordern.
• Abwertung und Beleidigungen gegenüber FLINTA* die ihn kritisieren.
• Ausweichen ggü. Kritik durch starke negative Reaktionen, kein Eingehen auf die Kritik
• Bedrohliches und aggressives Auftreten, teilweise ggü. willkürlich ausgewählten Personen
• FLINTA* äußern Unwohlsein durch J.D.’s Präsenz
• Isolieren von Freundschaften
• Umfeld Redflag: Gegenseitig kein oder wenig Interesse bzw. Anspruch trotz freundschaftlichen Verhältnis die jeweils eigenen patriachalen Verhaltensweisen zu thematisieren, sich darüber auszutauschen bzw. sie kritisch zu besprechen.
• Umfeld Redflag: Transformation des sozialen Umfelds zum reinen Männerklüngel
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Frage 1.2 Wie wurde J.D. durch uns geschützt und in seiner Abwehr von Vorwürfen bestärkt?
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In unseren Gesprächen wurde immer wieder deutlich, wie ähnlich unsere individuellen Beziehungen zu J.D. gestaltet waren. Fast ausnahmslos trafen wir uns vor allem einzeln mit ihm. Dabei ging es hauptsächlich um das Besprechen persönlicher Themen sowie Szenetalk. Treffen mit mehreren Personen waren eher auf Spaß ausgelegt und wurden in kaum einem Fall zum gemeinsamen ernsthaften Austausch genutzt. Auch lag der Fokus in den Beziehungen zu J.D. überwiegend auf Care-Arbeit für ihn. Wir hatten alle den Eindruck, J.D. rutscht von einer Krise in die nächste. Seine emotionalen und psychischen Belastungen standen im Mittelpunkt unserer Beziehungen. Unser Anliegen war es ihn zu stabilisieren und ihm einen Rahmen für wohlwollendes Feedback zu geben. Seine Erzählungen wurden selten hinterfragt und noch seltener überprüft. Was wir an Kritik mitbekamen und was auch direkt an uns gerichtet wurde, haben wir in der Regel durch Pathologisierungen entschuldigt und entpolitisiert.
Die Konsequenz daraus war, dass J.D. sich auf ein fragmentiertes, im gemeinsamen Austausch oberflächliches, soziales Netzwerk in der Hinsicht verlassen konnte, dass er davon ausgehen konnte, dass unter vier Augen Besprochenes nicht weiter thematisiert würde und Kritik an ihm im persönlichen Treffen zu zweit angesprochen wurde. Kritik von Dritten, in den allermeisten Fällen durch FLINTA*, wurde durch uns derart abgeschwächt und “gefiltert”, dass es kaum zu Auseinandersetzungen mit ihm darüber kam. Die von uns an ihm geübte Kritik beschränkte sich maßgeblich auf unsere eigenen Perspektiven auf sein Verhalten und bezog dementsprechend nur einen Bruchteil möglicher Punkte ein. Dieser Modus wurde in einigen Fällen erst hinterfragt und abgelegt, nachdem das Ausmaß der durch ihn ausgeübten Gewalt bekannt wurde. Teilweise sogar erst zu dem Zeitpunkt des Outings.
Doch nochmal einen Schritt zurück. Durch die zuvor beschriebenen Verhältnisse wurde J.D. Raum gegeben. Raum für seine Erzählungen. Aber auch physischer Raum. Ersterer wurde gefüllt mit der Konstruktion diverser Opferrollen. J.D. stellte sich immer wieder als leidtragend dar. In seinen Erzählungen war er die Person, die emotional verletzt wurde und die zu unrecht kritisiert wurde. Auch stellte er die ihn kritisierenden Personen häufig als zweifelhaft dar und deligitimierte ihr Handeln und ihre Kritik. Dem teilweise auftretenden Argwohn unsererseits begegnete er gerne auch mal mit “Beweisen”. Er nutzte z.B. Chat-Auszüge und Sprachnachrichten, die seine Darstellung stützen sollten. Wenn die Kritik an ihm nicht nachließ, ging seine Abwehr noch höher. Manchmal versuchte er auch von vornherein abzulenken, indem er den Problemfokus auf das Handeln anderer legte.
Zusammenhänge und Einzelpersonen, die versuchten J.D. kritisch zu begleiten, lieferten ihm immer wieder – in guter Absicht – Reflexionsergebnisse. Diese nutzte er, um sie gegenüber anderen als Ergebnis eines eigenen, intrinsisch motivierten Prozesses mit sich selbst vorzugeben. Und er hatte damit sehr lange Erfolg. In Einzelfällen waren Personen irritiert, wenn er deren Punkte zu einem anderen Zeitpunkt als eigene neue Erkenntnis zu präsentieren versuchte. Doch sein Verhalten wurde erst kurz vor seinem Umzug nach Warschau, viel zu spät, in einem kollektiven Prozess als manipulativ erkannt.
Der physische Raum wurde ihm ebenfalls durch uns gegeben. Bis zu seinem Umzug nach Warschau waren einige von uns gemeinsam mit ihm bei verschiedenen öffentlichen Szeneveranstaltungen, auf Geburtstagsparties, in Sporträumen etc. Nach außen muss dadurch der Eindruck entstanden sein, dass wir bis zuletzt ungebrochen zu ihm standen. Durch ihn betroffene Personen und solche, die sich aufgrund schlechter Erfahrungen mit ihm bereits distanziert hatten, wurden so immer wieder mit seiner Präsenz konfrontiert – die vor allem durch sein männliches Umfeld nicht kritisch hinterfragt wurde.
Was die Frage nach der Abwehr von konkreten Gewalt-Vorwürfen angeht, fällt die Antwort nicht so leicht. Bis zu dem öffentlichen Outing durch die Unterstützungsgruppe einer Betroffenen (https://de.indymedia.org/node/156448) wussten die allermeisten von uns “nur” von einem nicht öffentlich bekanntem Vorwurf. Schon dieser hätte zumindest zu einer abstrakten szeneinternen Warnung unsererseits führen müssen.
Seine Reaktion auf die Vorwürfe war stets stark defensiv und relativierend. Unsere Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Manche konnten sich schlicht nicht vorstellen, dass J.D. zu derlei Gewalt imstande sei. Andere hielten es zwar für möglich, sahen aber aus verschiedenen Gründen keine Handlungsperspektive. Fatal in diesem Zusammenhang ist auch das Schweigen mindestens zweier Personen, die um einen schwerwiegenden Vorwurf sexualisierter Gewalt wussten, aber der Darstellung J.D.s vertrauten.
Das Ergebnis all dessen: Trotz wiederkehrender Kritik an J.D. zeigten wir uns unfähig und nicht gewillt einen kollektiven Prozess anzuregen. Wir vernetzten uns weiterhin kaum untereinander, Wissen wurde in Folge dessen kaum geteilt und noch seltener “nach außen” weitergegeben. Dies änderte sich erst, als massiv manipulatives Verhalten von J.D. nachgewiesen werden konnte. Da das Verhalten einen eindeutigen Vertrauensbruch bedeutete, brachen einige Personen ihren Kontakt zu J.D. komplett ab. Er selbst versuchte abermals den Problemfokus zu verschieben: Er sah nicht etwa sein Handeln in diverser Hinsicht als grenzüberschreitend an, er sprach vielmehr von einem massiven Vertrauensverlust gegenüber seinen eigenen Freunden. Die Aufdeckung seines manipulativen Verhaltens deutete er seinerseits zu einem Vertrauensbruch bzw. Verrat ihm gegenüber um.
J.D. initiierte in der Folge selbst den Versuch, eine Auseinandersetzung kollektiv zu organisieren. Dieser scheiterte schnell daran, dass J.D.s Motivation eindeutig darin lag, seine Handlungsspielräume aufrechtzuerhalten und ihn von jedem Verdacht zu befreien. Ein weiterer Grund war, dass seine Lügenkonstrukte in sich zusammenfielen und ein Prozess unter Einbezug von J.D. für unmöglich gehalten wurde. Aber das lag wie schon gesagt zeitlich sehr nah an seinem Umzug nach Warschau.
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Frage 1.3. Warum habe ich Anzeichen für Frauenfeindlichkeit in seinem alltäglichen Verhalten nicht identifizieren können, verharmlost oder ignoriert?
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Als wir diese Frage beantworten wollten, haben wir zuerst einmal gesammelt was uns überhaupt aufgefallen war, was uns von Dritten mitgeteilt wurde und wie wir damit umgegangen sind.
In unserer gemeinsamen Auseinandersetzung wurde deutlich, dass J.D. über die Jahre hinweg sein Verhalten sehr konkret an die jeweilige Freundschaft oder Personengruppe angepasst hat, mit der er es zu tun hatte. So haben Personen, die schon länger in einem engeren Verhältnis zu ihm standen, von sexistischen und auch anderweitig grenzüberschreitenden Verhaltensweisen berichtet. Personen, die erst seit kurzem mit ihm befreundet waren, kannten so etwas überhaupt nicht von ihm. Im Folgenden versuchen wir weitgehend geteilte Erfahrungen zusammenzufassen, aber auch darüber hinausgehendes Erlebtes darzustellen.
Ein paar von uns haben nichts mitbekommen oder haben sein Verhalten nicht als problematisch wahrgenommen. Sie konnten sich aber daran erinnern mit J.D. kurze Diskussionen über Feminismus geführt zu haben. Deren Ergebnis war, dass J.D. Positionen bezog, die nicht ihre eigenen waren und ein ungutes Gefühl hinterließen. Andere, vor allem diejenigen, die ihn schon länger bis sehr lange kannten, waren dabei, als J.D. FLINTA* catcallte, allgemein gegenüber (fremden) Personen übergriffiges Verhalten zeigte und sich abfällig über Feminist*innen äußerte. Bei letzterem zeichnete er ein Bild von den “Machern” vs. den “Feminist*innen”. Die Macher waren für ihn deutlich durch eine aktivistische und soldatische Männlichkeit gekennzeichnet, wohingegen Feminist*innen nur theoretisieren würden. Vereinzelt gab es Widerspruch, in vielen Fällen wurden einzelne Verhaltensweisen als normal angesehen oder mit „so ist er halt“ abgetan.
Bezüglich seiner Paarbeziehungen konnten die meisten davon berichten, dass J.D. fast nie den Namen seiner Partnerinnen benutzte – vor allem wenn sich mehrere Personen trafen. Er griff vor allem auf Pronomen zurück. Gespräche waren oft an die Besprechung von Konflikten in der Beziehung gekoppelt. Durch seine ständige Selbstviktimisierung und die damit einhergehende Darstellung seiner Partnerinnen als diejenigen Personen, die sich verletzend verhalten würden, entstand ein negatives Bild von ihnen. Dass dieses sich in unserer Wahrnehmung kaum ändern konnte und kein eigenes Verhältnis zu ihnen entstehen konnte, erreichte er auch dadurch, dass J.D. vor allem bis ca. 2018 Treffen zwischen uns und seinen Partnerinnen vermied. Bei geplanten Treffen zu dritt oder mehr Personen wurden seine Partnerinnen durch ihn entschuldigt. Traf man sie zusammen in der Öffentlichkeit, waren die Gespräche sehr knapp und fanden vor allem zwischen uns und ihm statt.
Auch bekamen wir nur sehr selten Telefonate zwischen ihnen mit. Er suchte während Gesprächen mit seinen Partnerinnen meist die akustische und räumliche Distanz zu weiteren Personen. In Verbindung mit seinem sonstigen Verhalten hätte dies als ein Hinweis gelesen werden können.
Explizite Gewaltphantasien oder -androhungen seinerseits bekamen nur die wenigsten mit. Dazu gehörten Todesdrohungen ggü. Personen aus dem sozialen Umfeld von Ex-Partner*innen. Nach Kritik versuchte er dies als abwegigen Witz darzustellen – machen würde er so etwas ja auf keinen Fall. Auch erzählte er nach der Kritik keinerlei ähnliche Dinge mehr. Zwei Personen erzählte er von seinem massiv sexuell übergriffigem Verhalten. Dies geschah vor dem Bekanntwerden eines Falls aus den Antifa-Ost-Akten. J.D. tat diesen jedoch als reinen Vorwurf ab.
Und wie reagierten wir auf all das? In der Regel kritisierten wir wenig bis gar nicht – in manchen Fällen bestärkten wir ihn. Teilweise war sexistisches Verhalten in unseren Umfeldern normal. Reagiert wurde vor allem dann, wenn wir das Gefühl hatten, dass der Rahmen des Sagbaren allzu sehr ausgereizt wurde. Spürbare Konsequenzen gab es für J.D. jedoch nur selten. Und wenn es doch mal soweit gekommen war, passte er sich nachdrücklicher Kritik insoweit an, als dass er es vermied, die erfahrene Grenze erneut zu überschreiten. Auch gab es in den seltensten Fällen grundsätzliche Diskussionen über politische Vorstellungen und Positionen. In der Regel gab es eine Art Vertrauensvorschuss und die Annahme, man sei schon irgendwie grob einer Meinung. Teilweise hatten potenzielle Konfliktfelder für uns auch eine so geringe Priorität, dass wir die Auseinandersetzung gar nicht erst suchten. Oder wir teilten seine Ansichten und bestärkten uns gegenseitig in Abwertung und Abwehr “der anderen”.
Versuche, die Partnerinnen in das soziale Miteinander einzubeziehen, wurden nach mehrmaligen Anläufen aufgegeben oder seinen Erzählungen Glauben geschenkt. Selbst bei Irritationen wurde kein Umgang mit diesem Misstrauen gesucht.
Diejenigen von uns, die sein Datingverhalten mitbekommen haben und um sein Verhalten gegenüber FLINTA* wussten, bestärkten ihn dennoch in dem Wunsch nach neuen Paarbeziehungen. Anstatt FLINTA* zu schützen, nahmen wir an, dass J.D. sich durch eine Paarbeziehung weniger problematisch verhalten würde und insgesamt stabilisiert würde.
Das Wissen um explizite Gewaltphantasien oder -androhungen behielten wir für uns oder besprachen es maximal mit uns nahestehenden Personen, die jedoch außerhalb J.D.s sozialem Umfeld standen.
Kritik an seinem Verhalten wurde aber auch von Dritten an uns herangetragen. In den allermeisten Fällen von FLINTA*. Er schaut FLINTA* nicht an. Redet kaum mit ihnen. Geht nicht von selbst auf sie zu. Sie haben das Gefühl von ihm nicht ernst genommen zu werden. Er verhält sich unangenehm und unsensibel. Er hat im sportlichen Kontext keinerlei Empathie für das Gegenüber. Auch wurden wir durch verschiedene Personen dazu aufgefordert, ihn nicht an Ort xy mitzunehmen und manche FLINTA* wollten ihm generell in keinem Setting mehr begegnen. Unsere Reaktionen darauf lagen in einem Spektrum von Ignoranz, nicht ernst nehmen, relativieren, entschuldigen und entpolitisieren. Wo FLINTA* aus dem eigenen Nahumfeld J.D. nicht mehr treffen wollten, wurde dies zwar umgesetzt, etwas an unserer Beziehung zu ihm geändert haben wir aber nicht. Das Umfeld um ihn herum wandelte sich so von männlich dominiert zu fast ausschließlich männlich. Die Kritik an ihm haben wir also ausschließlich auf ihn bezogen und nicht in unserer Beziehung zu ihm reflektiert.
Auch kollektiv formulierte Kritik an ihm gab es. Über persönliche Kontakte wurde einzelnen von uns erzählt, dass es in anderen Städten zu Auseinandersetzungen um J.D. kam. So beendeten verschiedene Personen und Gruppen die gemeinsame politische Arbeit und auch persönliche Beziehungen. Gründe wurden transparent gemacht. Dabei ging es um die schon beschriebene Kritik von FLINTA* an seinem generellen Umgang mit ihnen, dem Ausweichen gegenüber inhaltlichen Auseinandersetzungen und der sich darin widerspiegelnden Kritikunfähigkeit. Er lehnte die eigene Verantwortungsübernahme in Bezug auf sich ab und übernahm auch keine Verantwortung in Auseinandersetzungen um Kritik an Personen aus seinem eigenen Nahumfeld.
All das wurde maximal in Gesprächen unter vier Augen thematisiert oder mit Personen besprochen, die nicht Teil seines Umfeldes waren. So haben wir geholfen, die Kritik an ihm an Städtegrenzen verpuffen zu lassen und innerhalb unserer jeweiligen Szene eine Auseinandersetzung verhindert.
Einen kleinen Teil der Frage, warum wir uns derart täterschützend verhalten haben, beantwortet die Tatsache, dass Wissen um explizite Gewalt sehr begrenzt vorhanden war, nicht szenewirksam geteilt wurde und teilweise nicht explizit geteilt werden konnte. Daran knüpft der wesentlich gewichtigere Anteil nicht übernommener Verantwortung im Allgemeinen an. Sofern Kritik durch uns aufgenommen und geübt wurde, spielte sie nur im direkten Austausch mit J.D. eine Rolle und entfaltete keinerlei sinnvolle Wirkung – im Gegenteil, die Auswirkung war ein negatives Signal nach außen. Dieser Punkt liegt tief in unserem eigenen sexistischen Verhalten begründet. Die Ignoranz gegenüber der Kritik Dritter, zum größten Teil FLINTA* Personen, ging Hand in Hand mit eigenem sexistischen Verhalten, bis hin zu eigenen Grenzüberschreitungen und Gewaltausübungen. Über die Zeit entstand ein fast ausschließlich männlicher (loser) Personenzusammenhang, in dem feministische Positionen nicht eingefordert, nicht diskutiert und in manchen Fällen aktiv abgelehnt wurden.
Die bisherigen Ausführungen zu der Frage beziehen sich auf die Zeit vor dem ersten szeneöffentlichen Bekanntwerden eines Tatvorwurfs – in den Akten zum Antifa-Ost-Verfahren und den öffentlichen Outings von J.D. als Täter. Mit dem Bekanntwerden setzten nach und nach, von Person zu Person unterschiedlich schnell, Veränderungen ein. In den meisten Fällen blieb das freundschaftliche Verhältnis zu J.D. jedoch bis zu dem öffentlichen Outing bestehen.
Ignorieren konnte den durch die Antifa-Ost-Akten bekannt gewordenen Vorwurf niemand von uns – auch weil dieser sich auf nicht nachvollziehbaren Wegen verbreitete. Der Umgang mit dem Vorwurf und J.D. unterschied sich teilweise sehr stark voneinander. Für die einen bedeutete es einen Einschnitt im Vertrauensverhältnis, andere verließen sich auf J.D.s Darstellungen und manche nahmen ihn lediglich zur Kenntnis.
Für diejenigen, die ihr Vertauensverhältnis durch den aus Akten bekanntgewordenen Fall verletzt sahen, war die Konsequenz vor allem, sich nicht mehr freundschaftlich-spaßig mit J.D. zu treffen. Aufgrund von Pathologisierung, Mitleid und auch einem Verantwortungsgefühl gegenüber der Szene und möglichen Betroffenen setzten sie sich weiterhin mit J.D. auseinander, besprachen Kritiken an ihm und diskutierten mit ihm über den nun notwendigen Umgang mit den Vorwürfen. Für andere war eine deratige Gewaltanwendung durch J.D. kaum vorstellbar und sie wollten seinen Ausführungen glauben. Hier stand in der Folgezeit vor allem die Stabilisierung von J.D. im Vordergrund.
Was uns allen in diesen drei unterscheidlichen Reaktionstypen dennoch gemein war, war die fehlende Rückkopplung an die Betroffene und/oder Kontakt in ihr Umfeld. Kontakt zu der Betroffenen, einer möglicherweise existierenden Supportgruppe oder einfach ihrem persönlichen Umfeld haben wir nicht hergestellt. Wir konnten uns also (selbstverschuldet) auch über den Vorwurf hinaus kein von J.D.s Darstellungen unabhängiges Bild von der Beziehung zwischen den beiden machen. In einem Fall gab J.D. vor, einem Freund die Kontaktdaten der Betroffenen gegeben zu haben. Er sah keinen Anlass diese zu prüfen. Wesentlich später stellte sich heraus, dass diese falsch waren.
Was also blieb war bei einigen von uns das Gefühl “Er kann es tatsächlich gemacht haben.” und bei anderen “Solange es dazu nichts anderes gibt, vertraue ich auf J.D.s Darstellungen.” Der Beziehungsmodus zu J.D. änderte sich bei einigen von uns zu “nur noch Carearbeit, Stabilisierung und Besprechen von Kritik”, bei anderen blieb das feundschaftliche Verhältnis bestehen. Typ eins hat in der Realität so aber nur selten funktioniert. Die gemeinsame Geschichte, bestehende Witzkulturen und die nicht strikte Trennung von Supportverhältnis zu Freundschaft führten immer wieder dazu, dass sich auch über andere Dinge ausgetauscht und zusammen gelacht wurde.
Noch einmal verschärft hat sich die Veränderung im persönlichen Verhältnis im Zuge einer Aufdeckung massiv manipulativen Verhaltens in der Auseinandersetzung um Vorwürfe gegen ihn. Ab diesem Moment wurde J.D. zu großen Teilen von uns als manipulativ und gefährlich für sein Umfeld und Dritte wahrgenommen. Erst zu diesem Zeitpunkt begannen sich manche von uns gemeinsam zu vernetzen. Wie schon im Abschnitt zu der vorherigen Frage (Wie habe ich J.D. geschützt und in seiner Abwehr bestärkt?) beschrieben, geschah dies allerdings auf Impuls von J.D. selbst. Zuvor gab es maximal kurze Gespräche zwischen einigen von uns – einem Austausch, der Aufarbeitung oder ähnlichem gerecht würde, kam dies jedoch keineswegs gleich.
Erst nach dem wir den Darstellungen der Betroffenen und den Vorwürfen glauben geschenkt haben und diese ernst genommen haben, begann ein Umdenken. Ohne diesen Prozess hätte sich sehr wahrscheinlich nichts in unserem Verhältnis zu J.D., zu anderen Männern*, FLINTA* und uns selbst geändert. Dabei spielte mit Sicherheit nicht nur Empathie eine Rolle im Umdenken, sondern auch der Druck, der durch diese Situation auf uns entstanden ist.
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Frage 1.4 & 1.5 Warum war uns Kritik durch FLINTA* an seinem Verhalten egal? Lag dies an internalisierter Misogynie/Sexismus, in dem Fall Einschätzungen von FLINTA* weniger ernst zu nehmen?
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Fast alle Teilnehmer des Prozesses haben in irgendeiner Form Warnungen seitens FLINTA* vor oder erlebtes Unwohlsein durch J.D. aus unterschiedlichen Gründen nicht ernst genommen. Kritik an J.D., welche primär durch FLINTA* ausgeübt wurde, nahmen wir als störend wahr und relativierten diese mit meist ähnlich lautenden, pathologisierenden Erklärungsmustern, anstatt J.D. mit der Kritik zu konfrontieren. Dass FLINTA* hierbei mitunter zugeschrieben wurde, gerne und ganz allgemein viel zu kritisieren, kann als Symptom einer internalisiert sexistischen Abwehrhaltung gelesen werden. Kritik am sexistischen Verhalten J.D.s und damit auch die Auseinandersetzung mit eigenem Sexismus wurden abgelehnt und politische Kritik auf persönliche Kritik reduziert („der ist halt so“).
Konkreten Gewaltvorwürfen wurde zum Teil mit einer Erwartungshaltung begegnet, welche eindeutige, handfeste Vorwürfe und klare Betroffenheit erwartete. Gab es diese nicht, wurden die Vorwürfe als diffus betrachtet, was es J.D. wiederum leicht machte, uns mit bequemen Erklärungen abzuspeisen.
Weitere Gründe, weshalb Kritik an J.D. wirkungslos an uns abprallte, sind zudem generelles Misstrauen gegenüber Einschätzungen, welche nicht persönlich vorgenommen wurden, sowie Angst vor dem Eingeständnis, sich jahrelang in unserem Freund getäuscht zu haben und schlussendlich auch den eigenen Sexismus sowie Täterschutzvorwurf anzunehmen.
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Frage 1.6 Warum habe ich, trotz meiner emotionalen Nähe zu dem Täter, gedacht, ich könnte mir ein objektives Urteil zu den Fällen bilden?
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Oft wurde gar nicht versucht sich ein objektives Urteil zu den Vorwürfen zu bilden. Es wurde eine vermeintlich „unparteiische“ Position eingenommen. Dies geschah zum Teil durch eine Überforderung als auch durch mangelnde Sensibilität für die Thematik. Narrative von „Missverständnissen“ oder „Tollpatschigkeit“ blieben so unwidersprochen stehen. Dadurch hat die vermeintliche „unparteiliche“ Position zwangsweise zu einer Positionierung auf der Seite des Täters geführt. Auch die zum Teil starke Nähe zu J.D. hat dazu geführt, dass eine Konfrontation mit J.D. vermieden wurde. Und eine Positionierung auf Seiten der betroffenen Personen hätte J.D. als einen Angriff auf seine Person als auch auf die bestehende Freundschaft verstanden.
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Frage 1.7 Warum habe ich, obwohl mir seine Taten bekannt waren, viel Nähe zum Täter zugelassen?
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Bei einigen hat die emotionale Nähe schon vor dem Bekanntwerden der Täterschaft des J.D. bestanden und war zum Teil über Jahren gewachsen. Dies führte dazu, dass er einen gewissen Vertrauensvorschuss genoss. Dazu kam, das J.D. meist selbst die Vorwürfe offengelegt hat. Dies tat er jedoch immer erst, wenn er wusste, das sich das Wissen über seine Täterschaft jenseits seines Kontrollbereichs verbreitet. Dennoch hat seine „Offenlegung“ der Vorwürfe dazu geführt, das ihm Vertrauen geschenkt wurde. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass J.D. bei diesen „Offenlegungen“ nie die Wahrheit erzählt hat.
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Frage 1.8 Warum habe ich nicht gesehen, dass er eine Gefahr ist?
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Die Frage, warum wir keine Gefahr gesehen haben, ist wie weitere nicht für alle gleich zu beantworten. Dass er für sich und andere eine Gefahr darstellt, war für manche schon sehr früh erkennbar. Entweder weil er ihnen selbst gegenüber bedrohlich und aggressiv aufgetreten ist, oder dies durch andere (meist FLINTA*) geschildert und wahrgenommen wurde. Dabei haben wir festgestellt, dass die Gefahr durch J.D. seitens Typen eher durch körperliche Gewalt oder durch Sorgen im eigenen Umfeld (FLINTA* als mögliche Betroffene sexualisierter Gewalt) geprägt war. Seitens FLINTA* herrschte eher generelles Unbehagen. Durch die aufkommenden Informationen über sein sexuell gewaltvolles Verhalten stiegen bei ihnen auch Gefühle realer Bedrohung. Einige von uns haben in ihm gar keine Gefahr gesehen und ihm so weiterhin Zugang zu linken und öffentlichen Räumen ermöglicht. Erst im Austausch mit Freund*innen nach dem Outing wurde ihnen bewusst, dass sich FLINTA* in seiner Gegenwart unwohl und bedroht fühlten.
An diesem Punkt lässt sich sehr exemplarisch eine große Diskrepanz zwischen Wissen über misogynes Verhalten und verantwortungsvollem Handeln feststellen. In unserer Diskussion haben wir festgestellt, dass diese in der fehlenden Empathie und Sensibilität begründet liegt. Nur weil sich die Personen nicht von J.D. bedroht gefühlt haben, wurde die Annahme, von ihm gehe keine Gefahr aus, fälschlicherweise auch auf das Umfeld übertragen. Dass das total kurz gedacht ist, zeigt sich auch an seiner Zusammenarbeit mit den Behörden. Denn spätestens mit dieser wurde klar, dass er auch eine reale Gefahr für uns und andere, die sich bis dahin für unverwundbar hielten, ist.
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Frage 1.9 Warum habe ich seine Ausführungen und Erklärungen nicht hinterfragt und überprüft?
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Primär wahrscheinlich aus dem Grund, wie Männer häufig Freundschaften führen. Vieles wird durch eigenes Verhalten und Erfahrungen mit ihm entschuldigt – oder aus Angst vor der Konfrontation und dem damit einhergehenden drohenden Verlust der Freundschaft. Außerdem wird zwischenmenschlichen Beziehungen häufig mit einem geringen Erwartungshorizont begegnet. Konkret sah das so aus, dass wir ihm Dinge lieber geglaubt haben, um nicht den unbequemen Konflikt zu suchen. Selbst wenn wir Sachen hinterfragt und nicht geglaubt haben, war es manchen von uns schlichtweg egal, da ihnen J.D. ein Stück weit egal war.
Besonders bei seinen Beteuerungen, eine Therapie aufzusuchen, fiel das auf. Einige von uns hatten von ihm gefordert, er müsse sich in professionelle Behandlung begeben. In diesem Rahmen solle er sein übergriffiges und manipulatives Verhalten besprechen. Obwohl wir uns unsicher waren, ob er da auch wirklich hin geht, haben wir seine wahrscheinlich erfundenen Therapiestunden dankend angenommen und ihn nicht weiter konfrontiert. Auch aus Mitleid. Außerdem haben wir uns immer wieder damit zufrieden gegeben, dass sich vermeintlich engere Kontakte kümmern und Verantwortung übernehmen.
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Frage 1.10 Was sind meine eigenen kritischen Verhaltensweisen? Wann habe ich mich selber toxisch oder grenzüberschreitend verhalten?
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Bei der Beantwortung der Fragen fokussierten sich die Ausführungen überwiegend zu kritischen oder gar grenzüberschreitenden Verhaltensweisen in romantischen Beziehungen. Dabei wurden auch, sofern möglich, konkrete Vorwürfe bzw. explizite grenzüberschreitende Situationen geschildert. Darüber hinaus sind Einzelne auf die eigene Sozialisation eingegangen, welche oft von sexistischen Umgangsformen in der eigenen Peergroup geprägt waren. Thematisiert wurden auch vergangene und aktuelle Kritiken an den eigenen Verhaltensweisen außerhalb von romantischen Beziehungen. Alle gingen außerdem auf den aktuellen Stand und Art und Weise ihrer Auseinandersetzungen ein.
Generelle Gemeinsamkeit lässt sich darin finden, dass alle von zumindest toxischen bzw. dominanten, wenn nicht grenzüberschreitenden Verhaltensweisen in ihren romantischen Beziehungen berichten. Öfters geschildert werden so zum Beispiel dominante Verhaltensweisen in Konfliktsituationen. Beschrieben werden Mechanismen über bewusste Vorenthaltung von Wertschätzung, Bemühungen zur Generierung von scheinbar sachlicher, argumentativer Überlegenheit, impulsiver und aggressiver Umgang in Streitsituationen, Manipulationen und konkrete, situative auch körperliche Gewalt.
Gemeinsamkeiten ließen sich auch in der Sozialisation finden. Einige berichten über das Aufwachsen in einem überwiegend männlich und dominanten Umfeld. Kontexte waren meist verschiedene Arten von politischen Zusammenhängen sowie Fussball- bzw. Ultra-Zusammenhänge. Beschrieben wurde mitunter ein Aufwachsen bei der die Reproduktion von Sexismen im überwiegend männlichen Umfeld normal waren. Die Umfelder wurden oft als konkurrierend und gewaltaffin beschrieben, in der bestandene und formulierte Kritik an sexistischen Verhaltensweisen auf wenig Resonanz gestoßen ist. Auseinandersetzungen dazu fanden wenn überhaupt nur mit Frauen aus dem Umfeld statt.
Desweiteren beschrieben alle Anwesenden ihren Stand und Art und Weise ihrer Auseinandersetzungen zu eigenem grenzüberschreitendem Verhaltensweisen bzw. zu bestehenden Kritiken. Einige Personen befinden sich seit einiger Zeit in kritischen Männlichkeitsgruppen. Außerdem berichten alle von individuellen Auseinandersetzungen und Gesprächen zu dem Thema in ihrem eigenem persönlichen Umfeldern. Manche Personen beschäftigen sich außerdem in anderen, nicht explizit zu Männlichkeit arbeitenden Zusammenhängen, anhaltend und kritisch mit dem Thema. In bestimmten Fällen haben Personen Statements in unterschiedlichen Rahmen zum Stand ihrer Auseinandersetzung verfasst.
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Frage 1.12 War das Isolieren von Freundschaften womöglich Teil einer bewussten Manipulationsstrategie?
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Aufgrund dessen, dass J.D. viele voneinander getrennte Einzelfreundschaften führte und sich viele Leute in seinem Umfeld gar nicht kannten – was zu einem großen Teil auch auf unsere Gruppe zutrifft – haben wir auch die Frage diskutiert, ob das Isolieren von Freundschaften untereinander womöglich schon Teil einer bewussten Manipulationsstrategie seitens J.D. war. Die Meinungen und Einschätzungen hierzu gehen weit auseinander. Dafür spricht, dass er insbesondere in der Zeit als die Vorwürfe in seinem Umfeld publik wurden, Menschen getrennt voneinander getroffen und diese gegeneinander ausgespielt hat. Ebenso suchte er soziale Zuflucht bei Menschen mit weniger Wissen. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass er sehr wohl Freundeskreise zusammengeführt hat und gewissermaßen als sozialer Motor innerhalb von Freundeskreisen bzw. Networker zwischen verschiedenen sozialen Umfeldern unterwegs war. Einen ungefähren Bruch in J.D.s Verhalten können wir in dem Zeitraum zwischen seinem Umzug nach Berlin 2017/18 und dem Bekanntwerden der Vorwürfe 2021 festmachen.
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Fragen 1.13 & 1.14 Inwieweit identifiziere ich mich generell mit meinem ehemaligen Freund J.D.? Was waren die positiven Seiten im gemeinsamen Verhältnis?
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Diese Fragen machen wir deshalb transparent, weil wir davon ausgehen, dass in der positiven Identifikation mit J.D. und der geführten Freundschaft ein Hindernis für Kritik und Konsequenzen lag. Die positiven Seiten im gemeinsamen Verhältnis zu J.D. liegen vor allem auf der Freundschaftsebene selbst. J.D. hat den jeweiligen Freundschaften zu uns immer eine hohe Priorität eingeräumt, sich oft und regelmäßig gemeldet, Pläne geschmiedet und z.T. Leute und Freundeskreise zusammengebracht. Darüber hinaus war das Verhältnis von einer Leichtigkeit geprägt, in der man viel Spaß miteinander gehabt und viel gelacht hat. Diese vor allem positiv besetzten Erinnerungen und Gefühle wirkten als Hindernis für Kritik an ihm und bestimmen und erschweren bis heute die Differenzierung zwischen dem ehemaligen Freund und dem Täter J.D..
Eine Erkenntnis, die viele der Prozessteilnehmer machten, ist die Einsicht, dass die Freundschaft zumeist oberflächlich geführt wurde und sich darauf beschränkte, eine gute Zeit miteinander zu haben. Teilweise reichte ein „Der-kennt-den-und-den“ schon aus, um Zeit mit ihm zu verbringen ohne die Person zu hinterfragen oder sich jemals mit J.D. ernsthaft zu irgendeinem Thema auseinanderzusetzen. Bei frühen Weggefährten von J.D., welche einen gemeinsamen Prozess der Politisierung durchliefen, liegt das Problem weniger in einer Oberflächlichkeit der Beziehung, sondern vielmehr in einer Art von Immunisierung gegen Kritik aufgrund der gemeinsamen Zeit und den zusammenschweißenden Erlebnissen.
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2. Wie lief die Arbeit in unserer Gruppe?
Über die Diskussionsergebnisse unserer Gruppe hinaus wollen wir auch unsere gemeinsame Arbeit öffentlich bewerten. Hierfür haben wir verschiedene Bereiche betrachtet.
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2.1 Struktur
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Als Gruppe von mehrheitlich kaum miteinander bekannten Personen war es eine besondere Herausforderung, eine Struktur in die Treffen zu bekommen. Emo-Runde? Wer moderiert? Wer protokolliert? Wie protokollieren wir? Was wird besprochen? Offene Punkte zum letzten Treffen? Wurden übernommene Aufgaben erledigt? Termin für das nächste Treffen? Wie steht es um die Bezahlung der Supervisorin? Und so weiter. Die Struktur, die wir uns gemeinsam erarbeitet haben, wird bis heute nicht immer eingehalten.
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2.2 Neue Personen in der Gruppe
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Zwar wurden neue Personen gerne aufgenommen und ihre Perspektiven wertgeschätzt, ein geplantes Vorgehen zur Integration gab es jedoch nicht. Das führte in manchen Fällen dazu, dass Wissensunterschieden in Bezug auf den Stand der Arbeit der Gruppe und ihrer Genese, den Austausch über J.D., seine Lügen und sein manipulatives Verhalten sowie den Austausch mit weiteren Zusammenhängen nicht strukturiert begegnet wurde. Neu angekommene Personen hatten in der Folge Probleme sich gut einzuarbeiten.
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2.3 Entscheidungsfindungen und Diskussionsprozesse
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Wir haben meist versucht alle Fragen gemeinsam zu besprechen und Entscheidungen nur dann zu treffen, wenn alle Personen in der Gruppe sich zu der Frage geäußert haben und es einen gemeinsamen Nenner gibt. Durch schwankende Teilnahmen zogen sich Entscheidungsprozesse oft über längere Zeiträume. Das war vor allem ab 2023 sehr schwierig. Das Prozessende im Antifa-Ost-Verfahren, die bewusste Pause und auch darüber hinaus schwankende Teilnehmendenzahlen haben uns in der Hinsicht sehr träge gemacht.
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2.4 Austritte von Personen
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Im Laufe des Prozesses haben sich Personen aus der Gruppe zurückgezogen. Auch diese Ausstritte von Personen aus der Gruppe – so legitim die Gründe auch waren – haben oft Phasen der „Neuaufstellung“ mit sich gebracht und Arbeitsprozesse verlangsamt. Welche Rolle hat die Person in der Gruppe gespielt? Welche Impulse wurden von ihr gegeben und wie diskutiert die Gruppe diese weiter?
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2.5 Verantwortungsübernahme
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Rückblickend zeichnet sich ein wechselhaftes Bild ab. In manchen Phasen haben wir recht eng zusammengearbeitet und standen viel im Austausch. In anderen Phasen mussten wir uns untereinander an die übernommene Verantwortung innerhalb der Gruppe hinweisen. Wo dies nicht ausreichte, haben wir ein „Buddy-System“ eingeführt – auch hier gab es teilweise Probleme bei der Umsetzung.
Am deutlichsten zeigte sich folgendes:
Die Teilnahme an den Treffen und die aktive Mitarbeit bei diesen war die Form der häufigsten Verantwortungsübernahme. Wie schon bei den anderen Punkten beschrieben, war vieles darüber hinaus oft schwierig. Besonders deutlich wurde dies beim gemeinsamen Verfassen von Texten – bzw. alles, was über den Kontext der konkreten Treffen hinausging.
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2.6 Online/Offline
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Leider konnten wir nicht immer an einem Ort sein. Um gemeinsame Treffen zu ermöglichen, haben wir zwischen reiner Präsenz, hybrid und digitalen Treffen gewechselt.
Hybride Treffen haben zwar gewährleistet, dass alle „an einem Tisch saßen“, eine gute Diskussion war meist nicht möglich. Oft wurde dann hybrid gestartet um organisatorisches zu klären, inhaltliche Diskussionen wurden dann getrennt geführt und im Protokoll zusammengeführt.
Präsenztreffen wurden auch unabhängig von der Frage des Aufenthaltsortes von manchen eher abgelehnt. Wir sind ein Zusammenhang aus Personen, die vorher nur in manchen Fällen untereinander freundschaftliche Beziehungen führten. In einigen Fällen kannten wir uns nicht einmal vom Sehen. Eine Befürchtung war, dass Präsenztreffen eher dazu führen könnten, dass wir als ein Teil von J.D.s ehemaligem Umfeld ein engerer Personenzusammenhang werden und sich ohnehin problematische Verhaltensweisen so verfestigen. Für Diskussionsprozesse wurde Präsenz dennoch als bestes Setting empfunden.
Onlinetreffen stellen bis heute aber die häufigste Form unserer Treffen dar, denn so konnte der höchste Teilnahmegrad erreicht werden.
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3. Resümee
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Trotz dieser Kritiken an unserer eigenen Arbeit ist festzuhalten, dass wir fast zwei Jahre zu J.D. und unserem Täterschutz gearbeitet haben. Der gemeinsame Austausch wurde von allen als wichtig und wertvoll wahrgenommen. Wir haben neben den hier behandelten Themen auch über eigene Verletzungen, Gefühle, Gewalterfahrungen und auch Ausübung gesprochen. Alle merkten dazu an, dass dies in ihrer sonstigen Politarbeit, aber auch innerhalb von Freundschaften selten bis kaum passiere. Wir haben uns also einen Raum geschaffen, in dem dies möglich und auch explizit eingeplant war.
Inhaltlich gab eine Nachfrage an uns im Zuge eines Austauschtreffens zu Beginn des Jahres 2024 – ein wichtiger Impuls, der eine gute Bewertungsgrundlage unserer Arbeit auf inhaltlicher sowie menschlicher Ebene liefert. Es handelte sich um die Frage, was sich denn bei uns konkret geändert habe. Die von uns Anwesenden waren erst einmal überfordert, Antworten wurden eher individuell gegeben. Rückblickend ist das aus unserer Sicht eigentlich kaum verwunderlich, auch wenn die Erwartungshaltung hinter der Frage sehr verständlich ist. Denn die Frage umfasst mehrere Ebenen. Wir verstehen sie zum einen als eine Frage an die Personen in der Gruppe und zum anderen als eine Frage an die Gruppe an sich.
Wir würden alle von uns behaupten, dass sich in unserem Verhalten etwas geändert hat, dass wir sensibler für Sexismus in unseren Beziehungen zu Männern* sind und dass wir die Perspektiven von FLINTA* versuchen mitzudenken sowie aktiver in den Austausch und die gemeinsame Auseinandersetzung mit FLINTA* gehen. Ob und in welchem Maße hier tatsächlich Veränderungen erreicht wurden, können unsere Gefährt*innen und Genoss*innen vermutlich besser beantworten als wir.
Bezogen auf die Frage an die Gruppe als solche kann das Fazit in unserem Fall nur noch vager ausfallen. Wir sind zwar zum Teil seit mehr als drei Jahren in gemeinsamen Prozessen rund um die Aufarbeitung und Selbstreflexion zum Fall J.D. organisiert, darüber hinaus sind wir aber kaum stärker sozial und organisatorisch miteinander verbunden. Wir teilen untereinander so gut wie keine politische Organisierung, sind nicht in den selben Sportvereinen aktiv, sind keine Nachbarn und verbringen auch sonst nur in Einzelfällen Zeit miteinander. Die gegenseitige Möglichkeit zur Verantwortungsübernahme und die Grundlage zur Bewertung der Frage bezieht sich fast ausschließlich auf den Rahmen unserer Treffen selbst. Wir sind also vor allem dazu in der Lage gegenüber Dritten mitzuteilen, wie wir uns in den gemeinsamen Diskussionen verhalten haben und welche Positionen wir darin bezogen haben. Inwiefern sich aber das Verhalten der einzelnen Personen über den Rahmen des Treffens hinaus verändert hat, ist uns quasi nicht möglich nachzuvollziehen. Dafür ist die Rückkopplung des Gruppengeschehens an das jeweilige sonstige persönliche und politisch organisierte Umfeld ausschlaggebend. Eine Vernetzung auf der Ebene zwischen unserer Gruppe und den jeweiligen Kontexten hat es nicht gegeben. Inwieweit Besprochenes auch dort diskutiert wurde, wie es dargestellt wurde und was daraus gefolgt ist können wir füreinander nicht beurteilen.
Unsere Gruppe in ihrer heutigen Konstellation und Zielsetzung ist vor allem eine Art Selbsthilfegruppe, Reflektions- und Aufarbeitungsraum mit externer Supervision, ohne dabei fest nach außen hin vernetzt zu sein.