„The number you are trying to call is temporarily disconnected“ – oder das Ende von 68

Ein Rundumschlag

Jens Wissel

Mittlerweile ist es kaum noch möglich, Diskussionen zu führen ohne sich in kürzester Zeit in einem Freund-Feind Schema wiederzufinden. Das Thema ist dabei fast egal. Alles wird beherrscht von Eindeutigkeit und ‚klarer Kante‘. Analyse, Kontext und Differenzierung spielen, wenn überhaupt, eine untergeordnete oder nur taktische Rolle. Jede auch noch so zarte Kritik wird als Angriff aufgefasst. Das könnte etwas zu tun haben mit dem Ende von 68 und dem Sieg der Gegenaufklärung.

Bisher hat mindestens jede Generation nach 68 das Ende der 68iger proklamiert. Genau genommen musste man gar keine Generation abwarten bis zur ersten Verabschiedung. Schon in den 1970ern, mit der Entstehung der K-Gruppen war zumindest in Deutschland klar, dass 68 vorbei ist. Danach folgten die diversen sozialen Bewegungen, der Terrorismus, die Autonomen, Punk und No-Future, etc.

Wahrscheinlich war das aus der jeweiligen Perspektive sogar richtig, aber es wurde weder die Dimension der Umbrüche, die mit der globalen Rebellion von 1968 einhergingen, noch die Bedeutung ihres Endes verstanden. Oder anders gesagt: Bis auf No Future war jedes Ende von 68 als eine Fortführung unter anderen Vorzeichen gedacht. Wie das Ende aussieht, lässt sich offensichtlich nicht vorstellen, wenn man sich noch im Prozess des Niedergangs befindet. Deshalb auch die tausendmal gehörte These, es könne nicht schlimmer kommen. Jeder Tiefpunkt wird, gegen jede Erfahrung, als Wendepunkt gesehen, weil ein noch tieferer Tiefpunkt nicht vorstellbar ist, zumindest bis nächste Woche. Hierzu hat Rudi Völler 2003 eigentlich schon alles gesagt: „Ja, einfach die Sache mit dem Tiefpunkt und nochmal ’n Tiefpunkt und noch mal ’nen niedrigeren Tiefpunkt. Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören, muss ich ganz ehrlich sagen.“ Und es ist wohl so: man konnte es 2003 schon wissen, dass die Tiefpunkte immer tiefer werden. Aber anders als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die sich dann irgendwann wieder gefangen hat und 2014 Weltmeister wurde, ist von der Linken – wer auch immer das ist – ähnliches nicht zu erwarten. Ok, Weltmeister will man vielleicht auch gar nicht werden, aber es wäre ja schon etwas, wenn sie nicht gänzlich verschwinden würde. Womit wir wieder beim tiefsten Tiefpunkt sind, also das völlige Verschwinden der „Neuen Linken“. Vielleicht muss man sich mit diesem tiefsten Tiefpunkt tatsächlich auseinandersetzen, alles andere grenzt an Realitätsverweigerung. Eine materialistische Linke, die die Realität nicht sehen kann oder will, ist eine idealistische Linke und davon gibt es genug. Dazu später.

Versuchen wir also mal, diesen tiefsten Tiefpunkt in den Blick zu nehmen. Damit komme ich zu meiner ersten These: Alle bisherigen Tiefpunkte waren nur Etappen auf den Weg zum tiefsten Tiefpunkt.

Um das verstehen zu können, muss kurz die Bedeutung von 68 umrissen werden.

Was 68 verändert hat

68 hat zur Demokratisierung Deutschlands und zur Auseinandersetzung mit der nicht immer so schönen Vergangenheit beigetragen. Es hat zur Diversifizierung von Lebensweisen geführt und mit der feministischen Bewegung die Durchsetzung gleicher Rechte für Frauen eingeleitet. Männer dürfen seitdem lange Haare haben und Frauen dürfen Hosen tragen und Fußball spielen. Nicht nur die Ausbeutung und die ausgebeuteten sind seither divers, sondern auch die Ausbeuter:innen. Es ist also nicht so, dass Adornos Utopie von einer Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden und ohne Stärke zu provozieren schwach sein darf, verwirklicht worden wäre. Aber es hat sich etwas verändert: Mittlerweile sind unterschiedlich Lebensweisen, unterschiedliche Sexualitäten, Religionen usw. zumindest von Teilen der Bevölkerung akzeptiert und entsprechende Veränderungen der Rechtslage wurden erkämpft. Mittlerweile ist zumindest teilweise realisiert worden, dass Deutschsein keine biologische Angelegenheit ist, sondern eine rechtliche, auch wenn es natürlich noch Leute gibt die das nicht verstanden haben. Die Deutschen haben mit 68 auch gelernt, dass Kritik nichts grundsätzlich Schlechtes ist und Demokratie von der Kontroverse lebt. Und selbst Adornos Projekt nonkonformistische Intellektuelle auszubilden (siehe Demirović 1999), hatte einen gewissen Erfolg. Also halten wir fest: Deutschland ist mit 68 in einen demokratischen Prozess eingetreten in dem seine Bevölkerung toleranter, nonkonformer und kritischer gegenüber Herrschaft wurde.

Ohne 68 zu verklären, kann gesagt werden, dass die Revolte von 68 zur (zwischenzeitlichen) Zivilisierung Deutschlands maßgeblich beigetragen hat. Zwar ist es natürlich Unsinn, was man mit Beginn des Krieges in der Ukraine wieder überall hören konnte, nämlich dass Deutschland pazifistisch und weltfremd gewesen sei. Es ist schwer zu verstehen, wie man auf diese Idee kommen kann und wie weltfremd (oder schlimmeres) man sein muss, um das zu behaupten. Deutschland war selbstverständlich nie Pazifistisch, aber es gab und gibt in Teilen der Bevölkerung noch einen gesellschaftlichen Konsens, dass die bisherige deutsche Tradition, Konflikte gewaltsam zu lösen, vielleicht nicht die beste aller Möglichkeiten ist. Und nach zwei verlorenen Weltkriegen war das Militärische nicht mehr so angesehen. Vor der Abschaffung der Wehrpflicht konnte man den Wehrdienst verweigern. Es ist natürlich absurd anzunehmen, dass das Militärische für Kriege verantwortlich wäre, aber lassen wir es mal so stehen. Wer hätte vor hundert Jahren schon gedacht, dass ausgerechnet eine deutsche Regierung meint, Angst davor haben zu müssen, dass die Deutschen kriegsmüde werden und das, obwohl sie noch nicht mal selbst kämpfen müssen. Bis dahin waren das eher die Probleme anderer Nationen. Halten wir also fest: Mit 68 haben unmittelbar gewaltförmige Konfliktlösungen auch in Teilen des deutschen Bürgertums ihre bis dahin vorhandene unmittelbare Plausibilität[1] verloren.

Kurz: Der traditionelle deutsche (preußische) Militarismus wurde abgeschwächt, das Land wurde demokratisiert und die Bevölkerung hat gelernt bürgerliche Freiheiten zu akzeptieren. Das ist nicht wenig, zumindest wenn wir bedenken, wo wir gestartet sind.

Tiefster Tiefpunkt nach 68

Und nun wieder zum tiefsten Tiefpunkt: Der Militarismus ist zurück, Demokratie noch da, zumindest formal, aber die Betonung muss hier auf noch liegen, und für die bürgerlichen Rechte gilt das gleiche. Wenn also in allen drei Bereichen, in denen mit 68 Fortschritte eingeleitet wurden, die alten Geister, wenn auch in anderer Verkleidung zurück sind, dann kann dieses Mal mit Fug und Recht gesagt werden, dass wir kurz vor dem tiefsten Tiefpunkt (Demokratie noch da) angekommen sind.

Wenn wir uns die Frage stellen, warum es so gekommen ist, dann könnte man hier eine Geschichte erzählen, die mit den Maoist:innen im KBW beginnen würde und dann bei den Postmaoist:innen im „Zentrum Liberale Moderne“ (https://libmod.de/ ) oder in der Regierung von Baden-Württemberg enden würde[2]. Das hätte zwar eine gewisse Eleganz, weil ich ja oben geschrieben habe, dass das erste Ende, bzw. der erste Tiefpunkt nach 68 durch die K-Gruppen eingeleitet wurde und irgendwie wäre es schön, beim tiefsten Tiefpunkt dann wieder alte Bekannte zu treffen. Aber das wäre zu einfach. Es würde die NATOmaoist:innen auch überschätzen.

Wir werden es inhaltlich versuchen, oder hegemonietheoretisch, wie auch immer, jedenfalls nicht personalistisch, fast hätte ich geschrieben persomaoistisch …

Also: Wie konnte es soweit kommen?

Fangen wir an bei der Frage wo die Kritik, oder genauer die Gesellschaftskritik, geblieben ist, weil man Kritik als das Fundament, gewissenermaßen die Voraussetzung, von allem anderen verstehen kann. Ohne Kritik keine Demokratie und hier spreche ich erst gar nicht von Sozialismus, ohne Kritik kein Antimilitarismus, kein Nonkonformismus, keine Analyse, kein Kontext und kein Verstehen. Was bleibt ohne Kritik? Religion, Mythos, Gut und Böse. Aus der Perspektive der Aufklärung bleibt ohne Kritik nichts mehr. Kritik ist die Grundlage von allem was aus der Unmündigkeit herausführen könnte. Und, wer hätte es gedacht, ohne Kritik keine kritische Theorie (noch nicht mal kritische Kritik) und auch sonst nichts auf das zu hoffen wäre, oder anders und zeitgemäß ausgedrückt, mit einem Schuss Pragmatismus: Ohne Kritik kann man damit beginnen auf einen Bunker sparen.

Was ist also aus der Kritik geworden? Zur Beantwortung dieser Frage liefern Markus Metz und Georg Seeßlen wichtige Hinweise. Auf drei Ebenen erodieren die Voraussetzungen von Kritik: Auf der politik-ökonomisch-medialen, der psycho-sozialen und einer semantisch-medialen (Metz/Seeßlen 2022, 13).

Auf der politik-ökonomischen Ebene geht es um die Produktionsbedingungen der Öffentlichkeit. Um die Zeitungen, das Radio, Diskussionsveranstaltungen, die Verlage und Publikationen. Ihre Stellung wird ökonomisch immer prekärer, was sie innerlich aushöhlt und verändert. Fehlende Ressourcen, Abhängigkeit von Clicks oder Verkaufszahlen verstärken die kulturindustriellen Effekte und untergraben ihre Autonomie. Auf der zweiten Ebene entziehen sich die Objekte der Kritik zunehmend „indem sie sich statt ihrer einen ‚Markt der Meinungen‘ als Referenz und Echoraum suchen. Da dies als eine direkte Folge das Berufsbild des Kritikers und der Kritikerin erodieren lässt, steht bis in die einzelnen Biographien hinein die Unabhängigkeit der Kritik drastisch auf dem Spiel. Das wiederum bewirkt eine Veränderung des Selbstbildes und der Beziehungen untereinander“ (12). Auf der semantisch-medialen Ebene zeigt sich, dass die Sprache der Kritik nicht mehr in die Zeit passt. „Damit sind nicht nur die Texte gemeint, sondern ihre gesamte kulturelle Repräsentation, also nicht nur, was und wie gesprochen (geschrieben) wird, sondern auch in welchen Formen der Riten und unter welchen mythischen Erscheinungsweisen. Was geschah bei der Transformation eines Großkritikers, einer Großkritikerin in eine:n Super-Influencer:in? Gewiss nicht nur die Verwandlung von Print- und Realraum-Performance zu digitaler Netzpräsenz, gewiss nicht nur die von Kultur in ‚Kreativwirtschaft‘. Und warum geben statt kritischen Köpfen nun ‚meinungsstarke‘ Medienerscheinungen den Ton an? Gewiss nicht nur, weil Personalisierung und Verspektakelung im „Infotainment“ weiter fortschreiten.“ (12-13)

Nicht nur, heißt eben dann, doch auch. Die Neuen Medien verstärken die genannten Prozesse. Zum einen, weil sie noch mehr als die Alten zur Monopolisierung neigen. Joseph Vogl vergleicht sie mit der holländischen Vereenigden Oostindischen Compagnie oder der britischen East India Company, die auf die „Ausschaltung von Konkurrenz und eine Monopolisierung des Fernhandelns ausgerichtet waren und dabei private Geschäftstätigkeiten mit hoheitlichen Kompetenzen, Kapitalinteressen mit der Ausübung von Souveränitätsrechten verknüpften“ (Vogl 2021, 103). Der „private Merkantilismus“ der Plattformindustrie zielt mit seinen Investitionen auf Monopolisierung, Beschränkung von Wettbewerb „und die Beherrschung sozialer Infrastruktur“ (103). Zum andern, weil „die algorithmische Zeichenstruktur in der Interpretation und Objekt zusammenfallen, Bedeutungsrelationen in Bezeichnungsrelationen aufgehen und Interpretation zugleich Determinationen sind“ (135) dazu geführt haben, dass die „crossmediale Verblödung“ (Metz/Seeßlen 2022, 7) im „kapitalistischen Surrealismus“ von Korrelationen und Scheinevidenzen beherrscht wird. „Das bedeutet einerseits, dass man im „Zeitalter von Petabytes“ und Clouddiensten auf jegliche Intervention von Erklärungen, Kausalitätsfragen, Rechtfertigungen und reflektierenden Subjekten verzichtet. (Vogle 2021, 136) Oder mit dem ehemaligen Focus-Herausgeber Markwort, in der Sprache der alten Medien, gesprochen: „Fakten, Fakten, Fakten und immer an die Leser denken“.

Theorie verschwunden

So entsteht eine neue Art Wissenschaft und Wissenschaftsgläubigkeit, die ohne Theorie auskommt (vgl. ebd.). In der „Bio“ von jedem 10. Twitter, X, oder was auch immer Account stand, oder steht, nach der Pandemie: „Team Wissenschaft“, dessen Ergebnisse dann munter proklamiert werden. K-Gruppen Stalinisten/Maoisten, wenn es sie noch geben würde, würden blass werden. Naja, die im „Zentrum liberale Moderne“ haben das noch drauf. Hier werden Wahrheitsspiele gespielt von Leuten, die bis vor kurzem noch die Wahrheit proklamierten, dass es keine gibt. Wie auch immer, wissenschaftliche Wissenschaftskritik und ungesichertes Wissen scheint passé und Wissenschaft gibt es nur noch im Singular. Mit dem „Ende der Theorie“ wird ein „Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit epistemischen Fragwürdigkeiten überhaupt erhofft und ein ewiger Frieden im Streit der Fakultäten in Aussicht gestellt“ (Vogl 2021, 137).

Kritik und Theorie wären notwendig um Vereinfachungen entgegentreten zu können und durch Differenzierung, in Beziehung setzen und durch Kontextualisierung dichotome Positionierungen zu untergraben. Kritik könnte die Heuchelei der allgegenwärtigen Moralisierungen offenlegen und danach fragen was sie für eine Funktion haben. Es ist aber gerade diese Möglichkeit, die die Kritik verunmöglicht in Zeiten der Identitätspolitik. Kritik setzt eine Distanzierung voraus, gewissermaßen eine Entidentifizierung. „Kritik ist das Medium, das die Dialektik von Identifikation und Differenz kultiviert, also von einer bloßen Konkurrenz (das Wertvolle und der Müll) oder vom bloßen Konflikt (wir und die anderen) zu einem Dialog führt.“ (Metz/Seeßlen 2022, 13) Diese Entidentifizierung, die selbst in der solidarischen Kritik, notwendig ist, wird heute als Verrat aufgefasst. Wer sich nicht vollständig identifiziert, gehört zu den Anderen. In der totalen Identifizierung gibt es keine Geschichte, keine Ursachen, keine anderen möglichen Entwicklungen, keine wirklichen Veränderungen. Das Gute und das Böse sind grund-, kontext- und geschichtslos und völlig frei von Ambivalenzen.

Insofern ist es nur konsequent Differenzierung und Kontextualisierung als Relativierung aufzufassen. In dem hier genannten Sinne stimmt das. Kontextualisierung und Differenzierung beharren genau hierauf. Kritik und Theorie beharren darauf, dass das Böse (also die Hitlers von Gestern und Heute) immanent ist und nicht kontextlos, geschichtslos, äußerlich. Kritik und Kontextualisierung beharren darauf, dass das Gute (also die Liberalen von gestern und heute) mit dem Bösen was zu tun haben. Man könnte auch sagen, Kritik ist notwendig dialektisch. Und genau diese Dialektik der Kritik macht sie im Zeitalter der Identifizierung, man könnte auch sagen im Zeitalter des Narzissmus, unmöglich.

Man ahnt es: Gut ist das nicht.

Denn weil Kritik und Theorie die Grundlage von allem sind, reißen sie auch alles mit in den Abgrund. Sie sind gewissermaßen das Bankensystem der Aufklärung, also im emanzipatorischen Sinne systemrelevant. Wobei die Analogie mit dem Bankensystem irreführend ist, denn dann könnte man auf Rettung hoffen. Eher sind sie das Gesundheitssystem der Aufklärung, was die Sache tatsächlich hoffnungslos werden lässt. Hier könnte jetzt natürlich stehen, „hier brach der Gedanke ab, oder, in diesem Moment klingelte die heilige Inquisition an der Tür und der Autor gestand binnen weniger Minuten „vom Teufel besessen zu sein …“. OK, die Inquisition wäre nur ein Kunstgriff gewesen, um klar zu machen, dass die Lage aussichtslos ist, aber ich rufe Angela Davis in den Zeugenstand, um weiter schreiben zu können. „Du musst so handeln als ob es möglich wäre, die Welt radikal zu ändern“, oder sagen wir, ich übersetze ihre Aussage in die heutige Zeit: „Du musst so schreiben als würde es noch irgendeinen Sinn ergeben zu schreiben und als gäbe es noch jemanden die/der nach der dritten Zeile weiterliest“.

Wie auch immer, ich schreibe weiter und komme zu der Frage, was es heißt, wenn die Grundlage von allem untergeht. Wenn die Kritik nicht selbst eine Praxis wäre, wäre ich jetzt fast bei einer Überbau-Basis Theorie angekommen. Es ist aber nicht so, weil die Kritik auch die Voraussetzung dafür ist, nach den materiellen Grundlagen ihrer selbst zu fragen, also wie oben angedeutet, nach den Produktionsverhältnissen.

Der Niedergang der Kritik

Wie also äußert sich der Niedergang der Kritik? Im Sieg der Gegenaufklärung und in der Rückkehr des Bösen. Genau genommen in der Rückkehr der Vorstellung des Bösen. Das wäre egal, wenn es einfach nur zur allgemeinen Verblödung führen würde und nicht zu einer Remilitarisierung Deutschlands und einer Verrohung des Bürgertums und quasi nebenbei zur zivilgesellschaftlichen Totalisierung. Letzteres äußert sich unter anderem darin, dass inhaltliche Auseinandersetzungen nicht mehr geführt werden. Hauptanliegen in Diskussionen ist es, die andere Seite moralisch zu diskreditieren. Inhalte sind hierfür nicht nötig, wichtig ist es nur das reale oder imaginäre Publikum gegen die jeweilige andere Position aufzuwiegeln. Es geht hier nicht nur um Moralisierung, sondern auch um Instrumentalisierung und den Vorrang der Taktik, der jede Diskussion zu Farce werden lässt (vgl. Adorno 1969, 180).

Verdächtig macht sich schon, wer zögert (selbst wenn es der Kanzler ist), oder nicht unmittelbar weiß was zu tun ist, oder anders formuliert, wer nicht unmittelbar weiß gegen wen wie zurückgeschlagen werden muss, oder gar die Frage stellt, ob das wirklich weiterhilft. „Nirgendwo ist der Obskurantismus jüngster Theoriefeindlichkeit so flagrant“, wie in der unmittelbaren „Frage nach dem Was tun, die auf jeglichen kritischen Gedanken antwortet, ehe er nur recht ausgesprochen, geschweige denn mitvollzogen ist. […] Sie erinnert an den Gestus des den Pass Abverlangens“ (189). Die Maxime lautet, besser das Falsche tun, als gar nichts. Dabei war es selten so offensichtlich, dass es darum geht den Teufelskreis zu durchbrechen und dem Reflex zu widerstehen.

Diese Mechanik scheint, spätestens seit COVID in nahezu allen Diskussionen zu greifen. Tove Soiland hat zurecht darauf hingewiesen, dass die Illiberalität hier im Wesentlichen nicht von der politischen Rechten ausging, sondern von Teilen der Linken. Auch hier ging es um Handlungsfähigkeit und Stellung beziehen, bis hin zu so denkwürdigen Konzepten wie „Zero Covid“[3], in denen weit über die staatlichen Maßnahmen hinausgegangen werden sollte und der Klassencharakter der Maßnahmen erst in Reaktion auf die Kritik zur Kenntnis genommen wurde (vgl. Soiland 2023, 106). Obwohl zu diesem Zeitpunkt niemand wissen konnte, was zu tun ist, außer vielleicht, dass es besser gewesen wäre, wenn das Gesundheitssystem nicht vorher schon zugrunde gerichtet worden wäre, wurde Kritik an den Maßnahmen pauschal diskreditiert.

Wissenschaft als Religion und die Verrohung der Mitte

Aber auch in den folgenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, hat der Moralismus in der Linken illiberale Tendenzen befördert. Unmittelbarer Zugriff auf Fakten und damit auf die Wahrheit, moralische Diskreditierung derjenigen, die widersprechen, Wissenschaft im Singular vertreten durch ausgewählte Expert:innen. Der neue Positivismus in Bezug auf Wissenschaft schlägt in Mythos um, Wissenschaft wird so zum Religionsersatz (vgl. Soiland 2023, 134). Den gläubigen Wissenschaftler:innen stehen gesellschaftlich die gläubigen Gläubigen, also die Wissenschaftsskeptiker:innen gegenüber und da sich Glauben nicht diskutieren lässt, ist es nur konsequent, dass man nicht diskutiert, sondern vornehmlich schreit.

Die Zivilgesellschaft ist nicht verschwunden, sie hat vielmehr selbst autoritäre Züge angenommen. Gefeiert werden Figuren wie die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags Strack-Zimmermann: Emotionalisierend, meinungsstark, nichtsahnend, wobei, vielleicht ahnt sie auch etwas, ist aber unerheblich. Man könnte nun einwenden, Strack-Zimmermann ist gar nicht Zivilgesellschaft, sondern Staatsapparat im engeren Sinne, was es nicht besser machen würde. Aber sie ist auch Zivilgesellschaft, denn immerhin ist sie ja auch in so angesehenen NGO`s engagiert wie etwa Rheinmetall, um nur eine zu nennen.

Es gäbe viele Beispiele für die zunehmende Verrohung des Bürgertums. Der Bundeswehrprofessor Carlo Masalla wäre ein anderes. Er forderte 2022 in einem Tweet eine auf Terror ausgerichtete Kriegsführung zur Befreiung der Krim (der Tweet wurde mittlerweile gelöscht kursiert aber noch bei X als Foto). CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter würde am liebsten die geflohenen wehrfähigen Ukrainer ausliefern (siehe diverse Talkshows), weil das „Menschenmaterial“ (nicht seine Wortwahl) knapp wird und nebenbei würde er gerne den Krieg (mit Taurus) nach Russland tragen und dort Ministerien beschießen (Naumann in: FR 12.02.2024). Streumunition ist für dieses Bürgertum nur dann ein Problem, wenn ‚der Russe‘ sie einsetzt etc. etc. Solche Leute gab es schon immer, entscheidend ist, dass sie sich kaum noch rechtfertigen müssen und sich nicht am Rand der Debatten bewegen, sondern im Zentrum.

„Was sich in Deutschlands politischer Mitte, die auch Ausdruck einer neuen Republik in Zeiten heraufziehender Krisen ist, seitdem breitmacht, ist eine neue Begeisterung für die Lösung politischer Probleme durch Polizei, Militär und Machtvollkommenheit. Ein neuer Autoritarismus der Mitte, der bis nach links ausstrahlt“ (Neumann 2023). Es ist offensichtlich, dass sich die deutsche Gesellschaft darauf verständigt hat das ‚Flüchtlingsproblem‘ und die gesellschaftlichen Verwerfungen, die aus der Vielfachkrise (Demirović et al 2011) folgen, repressiv zu lösen. „Ideologisch und faktisch wird eine sicherheitsstaatliche ‚Wohlstandsfestung‘ konstituiert, die ihre Grenzen schließt und mit technisch immer ausgefeilteren Maßnahmen überwacht, sich auf militärische Interventionen zwecks Befriedung einer zunehmend konflikthaft werdenden Peripherie einrichtet und die auf die Folgen gesellschaftlicher Spaltungen und Polarisierungen nur noch mit den Mitteln repressiver Überwachung und ‚Kriminalitätsbekämpfung‘ reagieren zu können glaubt“ (Hirsch 1995, 160)[4]. Die ‚imperiale Lebensweise‘ (Brand/Wissen) wird mit der Waffe in der Hand verteidigt. Das ist gemeint, wenn von der Verteidigung unserer Werte, oder der regelbasierten internationalen Ordnung, gesprochen wird. Im Rest der Welt wird es auch so verstanden.

Die Tatsache, dass die schon angesprochene aufkommende Kriegsmüdigkeit der deutschen Bevölkerung zu einer Befürchtung der Bundesregierung werden konnte, zeigt zweierlei, zum einen, wie weit die Regierung abgedriftet ist, zum anderen aber auch, dass die Kriegsbegeisterung trotz medialer Dauerbeschallung, in der Bevölkerung wenig verbreitet ist, wir also, wenn man es ganz genau nimmt, noch nicht auf den tiefsten Tiefpunkt aufgeschlagen sind.

Autoritärer Etatismus und zivilgesellschaftlicher Totalitarismus

In den 100 Milliarden Sonderschulden und der Schuldenbremse und natürlich auch in der Politik der EZB verdichten und materialisiert sich der neue Autoritarismus. Es liegt auf der Hand, dass die Schuldenbremse ein Instrument des Klassenkampfes ist, das durch die Aufnahme ins Grundgesetz der demokratischen Kontrolle entzogen wurde. Das Ergebnis ist, dass eine bestimmte auf Austerität ausgerichtete (monetaristische) Wirtschaftspolitik dadurch vor Wahlergebnissen immunisiert wurde.

Auch im Klassenkampf ist die angesprochene Verrohung der ‚Mitte‘ zu beobachten. Hetze gegen Bürgergeldempfänger:innen und Flüchtlinge wird aus der Regierung heraus betrieben ohne dass sie sich dafür rechtfertigen müsste. Lohnende Investitionen lassen sich im Bereich von Überwachungs- und Kontrolltechnologien einfach finden. Dass man für Militär, Grenzregime und Steuersenkungen munter weitere Schattenhaushalte einrichten kann, versteht sich von selbst. In diesem Bereich bleibt der Staat Interventionsstaat. Die Schuldengrenze richtet sich gegen Sozial- und Klimapolitik und natürlich gegen die Verknüpfung von beiden, was die Klimapolitik auf Jahre diskreditieren könnte. Dass mittlerweile selbst Ökonom:innen – bis hin zu den sogenannten ‚Wirtschaftsweisen‘ – erkannt haben, dass sie ökonomisch irrational ist und das Land ruiniert, stört die Klassenkämpfer:innen nicht. Letztlich geht es um eine liberal-konservative Identitätspolitik. Die Folgen sind nicht nur ökonomisch desaströs (gesamtgesellschaftlich, natürlich nicht für die, die sie wollen). In einer Konstellation in der es (nicht nur parteipolitisch) keine ernstzunehmende linke Alternative gibt, wird die extreme Rechte gestärkt. Es gibt hier eine klare Korrelation. Insofern sind die Wahlergebnisse der AfD kein Zufall, da hilft auch keine Empörung (hierzu Duque Gabriel, Klein, Pessoa 2023).

Nicos Poulantzas hat diese Form der autoritären Etatisierung schon Ende der 1970er Jahre erkannt (Poulantzas 2002). Einige Zeit später hat Colin Crouch den Begriff der Postdemokratie geprägt (2004; dt. 2008) und damit eine Konstellation gemeint, in der es Demokratie, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft noch gibt, sie aber innerlich völlig ausgehöhlt sind. Sie sind gewissermaßen fassadenhaft geworden. Wahlen werden zwar noch abgehalten, sind aber zu PR-Spektakeln verkommen, in denen die Wähler:innen bestenfalls Statist:innen sind, wobei viele mittlerweile den Job gekündigt haben. Dieses Potjemkinsche Moment hat sich seitdem auf alle staatlichen und halbstaatlichen Institutionen und die technische wie soziale Infrastruktur übertragen (für sachdienliche Hinweise auf Bereiche bei denen das nicht zutrifft, ist die Redaktion dankbar). Nach Jahrzenten der Sparpolitik ist der Punkt erreicht, an dem auch die Fassade zu bröckeln beginnt.

Rassist:innen und Antisemit:innen

Auch die aufkeimenden Auseinandersetzungen um den neuen Antisemitismus sind von einer erschreckenden Entdifferenzierung geprägt. Der Versuch der deutschen Gesellschaft, die eigene Geschichte zu relativieren und den Antisemitismus zu externalisieren ist, wie in all den Kriegen seit den 1990ern, in denen Deutschland stets gegen die eigene Geschichte kämpfte, offensichtlich. Vielleicht lässt sich die deutsche Geschichte so gleich mit abschieben. Im Zusammenhang mit Antisemitismus und vor allem mit dem Nahostkonflikt zeigt sich ein weiteres Problem, dass sich mit der Dominanz der Identitätspolitik verschärft hat. Die jeweiligen Kollektive, mit denen man sich identifiziert, sind als homogene Kollektive gedacht. So ist der Begriff des Postkolonialismus, der zumindest auch als eine Reaktion auf vereinfachende antimperialistische Positionen gedacht war, mittlerweile, zumindest in der Verallgemeinerung – wieder da angekommen, wo man eigentlich wegwollte: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Was dazu führt, dass sich eine, wo gehobelt wird fallen auch Spähne-Mentalität breit gemacht hat, die verhindert, Hamas als das zu benennen was sie ist: Eine Terrorgruppe, die einen mörderischen religiösen Fundamentalismus als Befreiungskampf vermarkten will. Auf der anderen Seite wird kaum zur Kenntnis genommen, dass die israelische Regierung in weiten Teilen rechtsextrem ist und unter dem begründeten Verdacht steht, Menschen- und Völkerrechtsverbrechen zu begehen. Die Situation ist deshalb so verfahren, weil auf beiden Seiten Kräfte das Sagen haben, die kein Interesse an Frieden haben.

Entscheidend dafür, dass keine ernstzunehmende Auseinandersetzung hierzu geführt werden kann, ist die Ausweitung sowohl des Rassismus-[5] wie des Antisemitismusbegriffs in den letzten Jahren (siehe Brumlik 2021). Letztlich lässt sich die Welt so einteilen: in Rassisten auf der einen Seite und Antisemiten auf der anderen. Und so verläuft die Diskussion, unterhalb des Rassismus/Antisemitismus Vorwurfs geht eigentlich nichts mehr. Auch hier dominiert das taktische Moment, es wird nicht um Inhalte gerungen, vielmehr wird das gegenüberstehende Kollektiv im Wettbewerb der Opfergemeinschaften zu übertrumpfen, bzw., zu diskreditieren versucht. „Der Grund, aus dem die gegenseitigen Debatten zwischen den Zionistinnen und ihren postkolonialen Kritikerinnen und Kritikern so heftig sind, liegt weniger in ihrer Unterschiedlichkeit als darin, dass sie sich in ihrem Bekenntnis zur Identität so erschreckend ähneln“ (Boehm 2022, 153).[6] Die völlige Dekontextualisierung und Moralisisierung ermöglichen es letztlich, dass Antisemitismus und Antirassismus (bei Gelegenheit[7]) problemlos in den westlichen Militarismus unter rechter Hegemonie eingegliedert werden können (Neumann 2023).

Tribalismus und Wahrheit

All diese Tendenzen findet man auch in der gesellschaftlichen Linken. Zwar gibt es viele Gruppen, die an unterschiedlichen Punkten Widerstand leisten. Klimabewegung, Bewegungen gegen die Entrechtung der Menschen an den Grenzen, Mieter:innenbewegung, unterschiedliche Solidaritätsbewegungen mit dem globalen Süden, LGBTIQ+[8] und so weiter. Sie bleiben aber meist monokausal und wie sagt ein altes senegalesisches Sprichwort: „Keine Theorie kein Zusammenhang“ und so werden auch alle einzeln erlegt, oder zerfleischen sich gegenseitig. Die erfolgreichsten, wie Friday for Future werden zudem von der Kulturindustrie korrumpiert.

Hier liegt wirklich eine Paradoxie vor. Der linke Tribalismus der letzten Jahre, der Relativismus und Antiessentialismus predigte, hat durch die Auflösung der gesellschaftlichen Zusammenhänge einem tendenziell totalitären Wahrheitsspiel den Weg geebnet. Das Spiel ist tatsächlich neu, weil es nicht mehr darum zu gehen scheint, die eigene Perspektive oder Wahrheit zur Perspektive von allen zu machen, sondern darum, die eigene Wahrheit dominant zu setzen. Mit anderen Worten, es geht gar nicht mehr darum zu überzeugen, sondern es geht um eine vorbehaltlose Akzeptanz. In dieser Konstellation wird schon der bloße Wunsch, über sie zu diskutieren zur inakzeptablen Relativierung. Parallel zur narzisstischen Moral ist die narzisstische Wahrheit antigesellschaftlich und daher diktatorisch. Denn, obwohl sie alle allgemeinen Kategorien zurückweist, muss sie dennoch von allen anerkannt werden (Charim 2023, 196). „Im vorherrschenden Narzissmus gründet alles auf der Eigenen [instabilen] Identität“ (201). Deshalb sind Kompromisse, oder Einschreibungen, anderer gesellschaftlicher Akteure nicht mehr möglich. Die Wahrheit wird in der Relativierung quasi absolut. Relativismus und Antiessentialismus landet so letztlich bei Carl Schmitts „Begriff des Politischen“ für den die Unterscheidung von Freund und Feind die Vorrausetzung ist.

Man wird den Tribalismus und die genannten Probleme natürlich nicht los indem man die Uhr zurückdreht. Insofern wird es keine Lösung des Problems geben, wie im neuen Asterix „Die weisse Iris“, indem alles wieder so schön wird, wie es nie war. Hinzu kommt, dass wir nicht in einem Widerstandsdorf leben, umzingelt von den Römern/Preußen. Zugegeben, für Frankfurt gefällt mir der Gedanke, aber nein, sind wir nicht. Und auch einen humanitären Korridor nach Frankreich wird es nicht geben. Zwar sollte man, da hat Fredi Bobic recht, das Alte nicht so schlecht reden, wie es wirklich war, aber ein Zurück darf es nicht geben. Die Auflösung des Tribalismus geht nur nach vorne, es war ja die neue Linke, die auf die Vielfalt der Lebensweisen bestanden hat. Es kann also nur um eine progressive Aufhebung gehen und um einen neuen Universalismus. Nicht der Universalismus war das Problem, sondern die Tatsache, dass er nie durchgesetzt werden konnte. Beziehungsweise dass er instrumentalisiert wurde für partikulare Interessen, wie zurzeit von der Völkergemeinschaft, also dem Westen, also der NATO.

Universalismus

Es war im Übrigen nicht in Europa, wo der Universalismus am weitesten vorangetrieben wurde, sondern in Haiti. Erst hier wurde versucht die Ideen der Französischen Revolution wirklich umzusetzen[9]. „Der wirksamste Schlag, den man dem Imperium möglicherweise überhaupt versetzen könnte, bestünde wohl darin, sich als loyaler Verfechter der Idee einer universellen Menschheit zu bekennen, indem man die anmaßende Annahme zurückweist, irgendein politisches, religiöses, ethnisches, kulturelles oder durch Klassenzugehörigkeit gekennzeichnetes Kollektiv könne diese Idee exklusiv und andere ausschließend für sich reklamieren.“ (Buck-Morss 2011, 199)

Damit bin ich auch schon bei meiner 11. These: Die postmodernen Philosoph:innen und Sprachpolitiker:innen haben nur verschieden über die Welt gesprochen; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

Dabei geht es gerade nicht darum, das Abscheuliche lieber nicht auszusprechen. Es verschwindet nämlich nicht nur weil wir nicht mehr darüber reden. Oder anders gesagt, die Welt wird nicht besser, nur weil wir besser über sie reden. Der „ganze alte Scheiß“ ist eben leider doch mehr als ein Effekt von Bedeutungszuschreibungen. Die Grünen haben ja gerade in einem großangelegten empirischen Forschungsprojekt gemeinsam mit dem Außenministerium unter Beweis gestellt, dass eine ‚feministische wertegeleitete Außenpolitik‘ nicht vereinbar ist mit dem Verfolgen geoökonomischer und geopolitischer Interessenspolitik im globalen Kapitalismus. Aber OK, es hört sich gut an …

„Das Konzept einer modernen, offenen und demokratischen Gesellschaft gegen neoliberale Markradikalität und barbarischen Kommunitarismus zu verteidigen ist eine Voraussetzung für ein ‚richtiges Leben im Falschen‘. Das richtige Leben ist das Benennen des Falschen zum Zwecke seiner Überwindung.“ (Metz/Seeßlen 2022, 190) Das mache ich mit der Benennung des tiefsten Tiefpunktes zum Zwecke seiner Überwindung. In dem Text eines alten deutschen Volksliedes heißt es „wenn die Nacht am tiefsten ist der Tag am nächsten“. Ob das auf Gesellschaft übertragbar ist, weiß ich nicht, aber der Gedanke ist schön und die gute Nachricht ist, dass es zumindest nicht an Literatur mangelt, die das Falsche richtig benennt, nur ein Bruchteil davon wurde hier verarbeitet.

Da Revolutionen in Deutschland anscheinend immer im achten Jahr eines Jahrzehntes ausbrechen, hoffe ich auf 2028. Wir haben also noch vier Jahre Zeit, uns zu überlegen wie und in welche Richtung das Falsche überwunden werden könnte.

Auf Wiedersehen.

[1] Die angeblich allgemeine Kriegsbegeisterung zu Beginn des ersten Weltkriegs, betraf wohl hauptsächlich den Adel und das zum Adel aufschauende Bürgertum.

[2] Das Zentrum Liberale Modere wird von Marieluise Beck und Ralf Fücks geführt. Zumindest letzterer war, ebenso wie Winfried Kretschmann, in der maoistischen K-Gruppe KBW. Bei Küppersbusch TV gibt es eine gute Reportage zur Rolle des Zentrum Liberale Modere bei der Organisierung der Kriegstüchtigkeit: „Staatsknete für die richtige Meinung“, URL: https://www.youtube.com/watch?v=iZ-iEEfBGt0&t=132s

[3] Das Ziel der Zero Covid Kampagne war es, die COVID Pandemie durch das Absenken der 7-Tages-Inzidenz auf null zu beenden. Dabei wurden weitergehende Maßnahmen gefordert als von staatlicher Seite durchgesetzt. Diese wären letztlich nur polizeilich dursetzbar gewesen und hätten insbesondere die Menschen besonders getroffen, die zu fünft in kleinen Ein-, oder Zweizimmerwohnungen leben müssen.

[4] Wie man sieht, ist der Befund nicht neu. Neu ist, dass es kaum organisierten Widerstand dagegen gibt.

[5] Die Ausweitung des Rassismusbegriffs ging einher mit einer Verengung, weil dem US-amerikanischen Diskurs folgend „Rasse“ mit „Farbe“ zunehmend gleichgesetzt wurde (vgl. Wacquant 2023, 172)

[6] Das schrieb Omri Boehm vor den Massakern des 7. Oktobers und der schrecklichen Antwort, an dem grundsätzlichen Befund hat sich nichts geändert.

[7] Immerhin wurde im Februar 2022 versucht den ukrainischen Kampf gegen die völkerrechtswidrige Invasion der russischen Armee als antikolonialen Befreiungskampf zu rahmen.

[8] Stand Anfang 2024. Die Tatsache, dass mittlerweile weitere Buchstaben dazu gekommen sein könnten, verweist auf ein weiteres Problem von Identitätspolitik. „Man könnte auch sagen; Das Plus ist das Zeichen unerreichbarer Konkretheit“ (Charim 2023, 198).

[9] Das Scheitern der Revolution ändert daran nichts.

Literatur

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Boehm, Omri 2022: Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität, Berlin.

Brumlik, Micha 2021: Postkolonialer Antisemitismus?, Hamburg.

Buck-Morss, Susan 2011: Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte, Berlin.

Charim, Isolde 2023: Die Qualen des Narzissmus. Über freiwillige Unterwerfung, Wien.

Crouch, Colin 2008: Postdemokratie, Berlin.

Demirović, Alex 1999: Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, Frankfurt/M.

Demirović, Alex/ Dück, Julia/ Becker, Florian/ Bader, Pauline 2011 (Hg.): VielfachKriese, Münster.

Duque Gabriel, Ricardo/ Klein, Mathias/ Pessoa, Ana Sofia 2023: The Political Costs of Austerity. The Review of Economics and Statistics, S. 1-45; doi: https://doi.org/10.1162/rest_a_01373

Hirsch, Joachim 1995: Der Nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus, Berlin – Amsterdam.

Metz, Markus/ Seßlen, Georg 2022: Apokalypse & Karneval. Neoliberalismus: Next Level, Berlin.

Naumann, Florian 2024: „Krieg muss nach Russland getragen werden“: CDU-Experte fordert Eskalation – gegen den Worst Case, in: Frankfurter Rundschau, 12.02.2014; URL: https://www.fr.de/politik/forderung-appell-kiesewetter-cdu-russland-krieg-putin-ukraine-waffen-deutschland-zr-92825380.html (zuletzt abgerufen, 12.02.2024)

Neumann, Mario 2023: Über den deutschen Umgang mit Krieg, Rassismus und Antisemitismus, in: www.links-netz.de, 16. November 2023; URL: http://wp.links-netz.de/?p=610 (zuletzt abgerufen 12.02.2024)

Poulantzas, Nicos 2002: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus, Hamburg.

Soiland, Tove 2023: Der hypermoderne Hygienismus und die Linke. Tendenzen eines postideologischen Totalitarismus, in: Das Argument (341), S. 105–149.

Vogl, Joseph 2021: Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart, München.

Wacquant, Loic 2023: Die Erfindung der „Unterklasse“, Berlin.

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