„Rote Hilfe“ bricht zusammen: Schilderung eines palästinensischen Betroffenen
Der deutsche Staat spielt seit langem eine führende Rolle bei der Unterstützung des zionistischen Verbrechens in Palästina – nicht nur durch die militärische, logistische oder finanzielle Unterstützung des zionistischen Staates, sondern auch durch die Unterdrückung der Palästinenser:innen und ihrer Solidaritätsbewegung im eigenen Land. Diese bedingungslose Unterstützung hat sich nach der mutigen Al-Aqsa-Flut-Operation am 07.10.2023 deutlich verstärkt und ist für die Fortsetzung des Genozids in Gaza unerlässlich geworden. In diesem Rahmen haben die staatlichen Repressionen gegen Palästinenser:innen in Deutschland ein neues Ausmaß erreicht, welches durch zahlreiche wahllose Ausweisungs- und Abschiebungsbescheide und -androhungen charakterisiert ist. Diese stützen sich in den meisten Fällen auf den Vorwurf der Betätigung “israelfeindlicher” Aktivitäten oder der Zugehörigkeit zu „antisemitischen und israelfeindlichen” Gruppen.
Ich war einer der Betroffenen. In dem Ausweisungsbescheid, den ich weniger als drei Wochen nach dem 7. Oktober 2023 erhielt, wurde mir vorgeworfen, der “linksextremistischen” Organisation Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network anzugehören und damit eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darzustellen. Ich hatte keine finanziellen Mittel, um gegen diesen Bescheid und die Abschiebung zu klagen. Deshalb musste ich mich an die Rote Hilfe wenden, die Menschen, die wegen ihrer linkspolitischen Arbeit staatlicher Repression ausgesetzt sind, finanzielle und juristische Unterstützung anbietet. Die Rote Hilfe beschreibt ihre Solidarität als „unabhängig von politischen Einstellungen und angewandten Aktionsformen“. Kurz vor dem Vereinsverbot von Samidoun in Deutschland hat die „Rote Hilfe“ jedoch ihre Solidarität mit dem palästinensischen Solidaritätsnetzwerk und seinem Koordinator, Zaid Abdulnasser, der auch mit Abschiebung bedroht ist, zurückgezogen – mit der Begründung, Samidoun sei keine linke Organisation. In ihrem diffamierenden Entsolidarisierungsschreiben erklärt die „Rote Hilfe“ nicht, warum Samidoun aus ihrer Sicht nicht die Ziele der linken Bewegung in Deutschland verfolgt, sondern beruft sich lediglich auf Behauptungen der rechtsbürgerlichen deutschen Presse, ohne sich jemals wirklich mit dem betroffenen Netzwerk auseinandergesetzt zu haben.
Trotz dieser Zustände hatte ich einen letzten Funken Hoffnung, dass die „Rote Hilfe“ die Ernsthaftigkeit der Repressionen erkennt und berücksichtigt, und dass sie in bedrohlichen Einzelfällen – wie z.B. bei einer möglichen Abschiebung nach Israel, wo eine Inhaftierung in den zionistischen Gefängnissen wahrscheinlich ist – nach ihren angeblichen „Prinzipien und Grundsätzen“ entscheidet und ihrer historischen Rolle, nämlich der materiellen und politischen Unterstützung politisch Verfolgter in Deutschland, nachkommt und gerecht wird.
Nach zwei Monaten erhielt ich im Januar 2024 die Antwort des Bundesvorstandes der Roten Hilfe auf meine Anfrage. Im Folgenden zusammengefasst:
“Es geht nicht um eine Gesinnungsprüfung, die wir als Rote Hilfe ablehnen, aber wir müssen aufgrund der Beschlusslage nachfragen, ob wir deinem Antrag zustimmen können. Gestatte uns daher bitte folgende Fragen:
1. […] Wie stehst du zu der Parole “Tod den Juden”?
2. Warst du Anmelder der Demo oder einfach nur anwesend […]? (1)
3. Du sprichst in deinem Schreiben vom 07. Oktober als “überragenden Sieg des palästinensischen Widerstands gegen die Belagerung”. Nach dem Durchdringen der Mauer kam es zu Menschenrechtsverletzungen an israelischen Linken und Zivilisten, das auch von anderen Befreiungsbewegungen scharf kritisiert wurde. Inwieweit hat dein politisches Handeln einen Bezug dazu?”
Diese Fragen zeigen in aller Deutlichkeit die Übereinstimmung dieser angeblich linken Organisation „Rote Hilfe“ mit der Politik der Herrschenden, die die gesamte muslimische und arabische Bevölkerung als judenfeindlich betrachtet, wobei der nicht antisemitische Araber die Ausnahme sei. Die Lächerlichkeit wird auch deutlich, weil die Frage „Wie stehst du zu der Parole Tod den Juden” oder äquivalente Ausdrücke in vielen Fällen Palästinenser:innen von der Ausländerbehörde gestellt wurden. Die Aufforderung einer angeblich antirassistischen Organisation, dass ich mich von dieser Parole distanziere und Stellung beziehe, zeigt den tief verwurzelten Rassismus dieser Organisation.
Wenn der „strömungsübergreifende Charakter“ eines der Grundprinzipien der „Roten Hilfe“ ist, wie ist es dann möglich, dass mein Antrag von meiner politischen Überzeugung über den Charakter des antikolonialen Kampfes und insbesondere des 7. Oktober abhängig gemacht wird? Wie kann die politische Unterstützung des antikolonialen Kampfes in Palästina in all seinen Formen, der weltweit auch von zahlreichen linken Parteien und Organisationen unterstützt wird, von einer deutschen Organisation delegitimiert und als “nicht-linke Position” bezeichnet wird? Welchen moralischen Anspruch hat diese vermeintliche deutsche Linke?
Nachdem ich mit diesen diffamierenden und absurden Fragen konfrontiert wurde, wurde mein Antrag ohne weitere Begründung abgelehnt. In jedem Fall, ob ich nun wegen meiner politischen Arbeit abgeschoben werde oder nicht, macht sich die Rote Hilfe mitschuldig. Nicht nur, weil sie meinen Antrag auf politische und finanzielle Unterstützung im juristischen Verfahren abgelehnt hat, sondern vor allem, weil sie die rassistischen Strukturen in Deutschland aufrechterhält und die sich verschärfende Repression gegen jegliche Palästina-Solidarität direkt legitimiert.
Schließlich ist der einzige Ausweg für die Rote Hilfe aus dieser moralischen Heuchelei ein grundlegender Wandel in ihren Reihen und in ihrem politischen Verständnis, um ihrer moralischen, politischen und historischen Aufgabe und Verantwortung gegenüber einer Befreiungs- und Solidaritätsbewegung gerecht zu werden oder überhaupt erfüllen zu können. Diese Bewegung, die von den Herrschenden hier in Deutschland besonders ins Visier genommen und massiv unterdrückt wird.
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(1) Gemeint ist hier die Demonstration von Samidoun am 08.04.2023
[Anmerkung Kontrapolis: Einige Formulierungen im Text, wie „nach der mutigen Al-Aqsa-Flut-Operation am 07.10.2023“, haben bei uns zu Diskussionen geführt und eine Veröffentlichung lange verzögert. Der Beitrag wurde bereits im Juni eingereicht. Die Kritik an der Roten Hilfe Bundesstruktur halten wir aber unabhängig einzelner Formulierungen für relevant. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die Stellungnahme der RH Berlin.]