Rechte Umtriebe in der Berliner CDU – Prenzlauer Sumpf
Nicht nur Ex-Finanzsenator Peter Kurth hat in der Berliner CDU Verbindungen zum ultrarechten Rand. Auch zwei Ortsvorstände haben nach SPIEGEL-Recherchen eine fragwürdige Vergangenheit.
Es ist ein Bild aus besseren Zeiten: Der ehemalige CDU-Finanzsenator Berlins, Peter Kurth, Arm in Arm mit Mitgliedern seines Ortsverbands Prenzlauer Allee. Man feiert in Kurths Wohnung. Direkt rechts neben Kurth steht der Vorsitzende, Sebastian Greve. Kurth hat den Arm um Greve gelegt, beide lächeln in die Kamera. Man kennt sich, man ist sich offensichtlich nah an diesem Augustabend im Jahr 2021.
Im Frühjahr dieses Jahres steht die Welt des Ortsverbands Kopf. Der SPIEGEL enthüllte im Januar, dass Peter Kurth im vergangenen Sommer in seine Wohnung AfD-Leute eingeladen hatte: Der Europawahlkandidat Maximilian Krah stellte sein Buch vor, auch Martin Sellner, Führungsfigur der rechtsextremen »Identitären Bewegung«, war dort. Kurth soll zwischen 2019 und 2022 rund 240.000 Euro an Firmengeflechte der völkischen Aktivisten überwiesen haben, mutmaßlich für Immobilienprojekte.
Noch mehr Berliner CDU-Mitglieder haben Verbindungen nach Rechtsaußen
Die Enthüllungen um Kurth kamen für den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner zur Unzeit. Er will seinen CDU-Landesverband als moderne Hauptstadtpartei vermarkten. Die CDU soll diverser, weiblicher und jünger daherkommen. Wegner will weg vom Image der Altherrenpartei. Er distanzierte sich sofort von Kurth. Doch das Problem mit Rechtsaußen-Akteuren in der Berliner CDU ist offenbar größer als bislang bekannt.
Greve sagte dem Sender RBB kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Kurth, er sei schockiert gewesen, als er davon erfahren habe: »Unfassbar« sei das. Dem SPIEGEL ließ er über seinen Anwalt mitteilen, er habe die vergangenen drei Jahre »fast keinen Kontakt« zu Kurth gehabt. Der seltene Kontakt wirkt allerdings sehr vertraut. Und noch im Dezember 2023 ehrte Greves Ortsverband Kurth bei der Weihnachtsfeier für dessen besondere Verdienste, Greve überreichte Kurth die Ehrennadel der Partei und eine Flasche Rotwein. Kurth habe sich »über so viele Jahre mit außerordentlichem Engagement und Einsatz mehr als verdient gemacht«, schrieb der Ortsverband danach auf seiner Facebook-Seite. Der Beitrag ist inzwischen gelöscht.
Greve will bis Januar außerdem nicht gewusst haben, dass Ulrich Vosgerau seinem Ortsverband angehört. Jener Mann, der an dem Treffen in Potsdam teilnahm, auf dem Sellner und andere Rechtsextreme laut »Correctiv«-Recherchen die massenhafte Abschiebung oder Verdrängung von Menschen aus Deutschland diskutierten.
Der Prenzlauer Berg ist vor allem für Eltern-Kind-Cafés bekannt, in die junge Eltern ihre teuren Kinderwägen schieben. Doch genau dort entwickelte sich in Teilen der örtlichen CDU offenbar ein extrem rechter Sumpf. Recherchen des SPIEGEL zeigen, dass Greve und andere Mitglieder im Kreisverband Pankow offenbar eine lange Vergangenheit am äußerst rechten Rand haben.
Sebastian Greve: Enkel eines Baulöwen, Mitglied in schlagender Verbindung
Als die »Hamburger Morgenpost« Greve 1999 einen kleinen Text widmete und ihn auch zu Hause besuchte, berichtete sie über eine Rede, die Greve im Studierendenparlament über seinen Großvater gehalten haben soll: Er sei stolz auf seinen Großvater für jeden alliierten Bomber, den dieser abgeschossen habe. Sein Großvater ist Helmut Greve, ein Hamburger Baulöwe, der der Universität zwei Flügelbauten schenkte. Greve bestreitet über einen Anwalt auf Anfrage, sich je so geäußert zu haben. Der SPIEGEL hat mit damaligen Angehörigen des Studierendenparlaments gesprochen. Sie bestätigen die Aussage. Greve sagte damals auch, er sei ins Studierendenparlament, um »den Linksextremisten nicht das Feld zu überlassen«.
Er bildete eindeutig ein Gegengewicht: Greve war in der schlagenden Hamburger Studentenverbindung Corps Irminsul aktiv. Dort focht man gern mit der seit Jahrzehnten als rechtsextrem geltenden Burschenschaft Germania. Greve lässt mitteilen, er habe mehr als 20 Jahren keinen Kontakt mehr zum Corps oder dessen Mitgliedern, habe diese aber immer als »ausgesprochen liberal und aufgeschlossen wahrgenommen«.
Vorstandsmitglied im Bismarckbund: »Wehrbereitschaft« und »Pflichterfüllung gegenüber Staat und Volk«
Ab 2001 war Greve außerdem im Vorstand des Bismarckbunds, einem Verein, dessen Mitglieder sich laut Satzung unter anderem zu »Wehrbereitschaft« und »Pflichterfüllung gegenüber Staat und Volk« verpflichtet hatten. Der Verein und ein ihm verbundener Orden würdigten »Verdienste für vaterländische Treue« mit der »Bismarckmedaille«. Während Greves Zeit als Vorstandsmitglied bekam die Medaille – in Gold – unter anderem ein Herr, der damals Vorstandsmitglied des rechtsextremen Vereins »Gedächtnisstätte« war. Den wiederum hatte die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck gegründet. Bei der Verleihung der Medaille bedauerte laut einem Medienbericht ein ehemaliger Nato-General die »Reeducation« nach dem »Untergang 1945«. Der Verein ist inzwischen aufgelöst.
Greve lässt dazu mitteilen, er habe nur etwa »zwei- bis dreimal an Veranstaltungen des Bismarck-Bundes teilgenommen«, an Verleihungen von Auszeichnungen sei er nie beteiligt gewesen. Er lehne es ab, Rechtsextreme auszuzeichnen, denn diese »verdienen keine Auszeichnungen egal welcher Art«. Darüber hinaus lässt er mitteilen, er habe vom Bismarckbund »seit über 20 Jahren nichts mehr gehört«. Greve war bis 2005 Mitglied des Vereinsvorstands, also bis vor 19 Jahren.
Greves Name und Adresse in einer Bestellliste von »Thor Steinar«
Im selben Jahr findet sich der Name Sebastian Greve auf der Unterzeichnerliste zum »Aufruf gegen das Vergessen« des neurechten und heute AfD-nahen »Instituts für Staatspolitik«. Greve lässt über einen Anwalt mitteilen, er habe »keinerlei Erinnerung daran«, einen solchen Aufruf unterzeichnet zu haben. Er würde das heute auch nicht tun, heißt es weiter. Das Institut kenne er nur aus der Presse und es sei »nichts, mit dem er etwas zu tun haben möchte«.
Als 2006 die neurechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« keinen Stand auf der Leipziger Buchmesse bekommen sollte, gab es eine Petition, die sich für die Zeitung einsetzte. Auf dieser Liste findet sich ein Unterzeichner namens Sebastian Greve, der als Tätigkeit »Student« angab. Greve lässt über einen Anwalt mitteilen, er habe keine Erinnerung daran, eine solche Petition unterzeichnet zu haben, könne sich »beim besten Willen« auch nicht vorstellen, es getan zu haben. Die »Junge Freiheit« finde er inhaltlich problematisch, es gebe dort homophobe Berichterstattung, auch die Begeisterung für Russland teile er nicht.
Greves E-Mailadresse findet sich außerdem in einer Bestellliste des Rechtsextremen-Ausstatters »Thor Steinar« aus dem Jahr 2010. Als der SPIEGEL Greve damit konfrontiert, lässt er mitteilen, er habe vor vielen Jahren unaufgefordert per E-Mail Werbung von »Thor Steinar« bekommen, die Marke jedoch nie getragen oder dort etwas bestellt. Er distanziere sich von dem Modelabel. Doch eine Adresse von einer inzwischen aufgelösten Firma Greves steht ebenfalls in der Liste, genau wie ein Passwort, das man zum Einloggen in das Portal benötigte.
Früherer persönlicher Referent von Alexander Gauland zu Besuch im CDU-Ortsverband
Greves Verbindungen nach Rechtsaußen reichen bis in die Gegenwart. Es seien immer wieder Leute mit Rechtsaußenpositionen zu den Stammtischen des Ortsverbands gekommen, heißt es von Greves Parteikollegen. Darunter Steffen Westermann, der ehemalige persönliche Referent von Alexander Gauland, als dieser Fraktionsvorsitzender der AfD war.
Westermann war zeitweise selbst AfD-Mitglied. Das ist er nach eigenen Angaben heute nicht mehr, er arbeitet nach SPIEGEL-Informationen aber weiterhin für einen Bundestagsabgeordneten der AfD. Auf Anfrage äußerte sich Westermann nicht. Sebastian Greve lässt über einen Anwalt mitteilen, dass er Westermann »vor ein oder zwei Jahren geschätzt zweimal begegnet« sei. Westermann habe ihm gesagt, dass er in keiner Partei Mitglied sei, auch nicht der AfD. Er habe sich aus deren Umfeld lösen wollen, die CDU sei eine Option gewesen. Greve halte es für richtig, »bürgerliche Kräfte aus dem Umfeld der AfD herauszulösen«, lässt er mitteilen. Dass Westermann früher für Gauland gearbeitet hatte, habe er nicht gewusst, sagt Greve. Der Kontakt sei über »zwei kurze Gespräche« nicht hinausgegangen.
Der Vorsitzende der Jungen Union in Berlin, Harald Burkart, ist auch Mitglied in Greves Ortsverband. Er teilte bei WhatsApp parteiintern Bilder, auf denen die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel mit Adolf Hitler verglichen wird. Als das öffentlich bekannt wurde, sagte Burkart, das sei Satire gewesen. Die Rechtmäßigkeit seiner Wahl zum JU-Chef ist bis heute umstritten, der CDU-Landesverband erkennt sie nicht an. Burkart polemisiert immer wieder gegen den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner.
Ortsvorsitzender Gutschow: Verbindungen zur »Jungen Freiheit«
Und Greve ist nicht der einzige Ortsvorsitzende in Pankow mit einer fragwürdigen Vergangenheit. Der Vorsitzende des Ortsverbands Alt-Pankow, Norman Gutschow, musste 2005 wegen internen Drucks aus der CDU austreten, weil er Autor der »Jungen Freiheit« war. Er schrieb unter anderem über Veranstaltungen der extrem rechten Burschenschaft »Gothia«, bei der auch Peter Kurth »Alter Herr« ist. Gutschow blieb nach seinem CDU-Austritt dem ultrarechten Publikationsrand treu: Mehrere Jahre führte er Interviews für das Blog »Freie Welt«, den die heutige AfD-Frau Beatrix von Storch mit ihrem Ehemann betreibt. Auch für die AfD-nahen Medien »Tichys Einblick« und »Eigentümlich frei« schrieb Gutschow.
2014 wurde er wieder Mitglied der CDU, machte aber weiter wie zuvor: 2016, 2018 und 2019 trat er auf dem »Junge Freiheit«-Stand auf der Frankfurter Buchmesse auf. Eingeladen waren unter anderem Alice Weidel von der AfD und die neurechte Publizistin Vera Lengsfeld.
Außerdem arbeitete er fünf Jahre lang, bis 2020, für die AfD-nahe »Bibliothek des Konservatismus«, einen Treffpunkt der extremen Rechten in Berlin. Hier liegt etwa das rechtsextreme »Compact«-Magazin in der Auslage, AfD-Größen halten Reden an »Nationalisten«. Gutschow betreute unter anderem den Newsletter der Bibliothek und moderierte Veranstaltungen. Heute ist Gutschow Mitglied im Kreisvorstand der CDU Pankow, 2021 kandidierte er fürs Berliner Abgeordnetenhaus, Slogan: »Freiheit statt Sozialismus«.
Auf Anfrage teilt Gutschow mit, er sei wieder in die CDU eingetreten, weil die seine »politische Heimat« sei. Zu den Ständen der »Jungen Freiheit« sei er als Mitarbeiter der »Bibliothek des Konservatismus« gekommen, um dort die Arbeit der Bibliothek vorzustellen.
Dabei scheint Gutschow nicht der Einzige in seinem Ortsverband zu sein, der Rechtsaußen-Positionen vertritt: Zwei ehemalige Schatzmeister des Verbands waren auch Kassenwart bei der extrem rechten Burschenschaft »Gothia«, einer der beiden arbeitete auch schon in der AfD-Bundesgeschäftsstelle.
Der Kreisvorsitzende Dirk Stettner, auch Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, teilt auf Anfrage zu der SPIEGEL-Recherche mit: »Jegliche Zusammenarbeit, Unterstützung der AfD oder AfD-naher Organisationen schließt eine Mitgliedschaft in der CDU aus.« AfD-Funktionäre hätten auf Veranstaltungen der CDU nichts verloren, sagt Stettner. »Die CDU ist bürgerlich, liberal, konservativ – aber nie radikal. Wir haben mit Rechtsaußentümeleien nichts am Hut.« Jeder, der in der CDU Pankow mitarbeiten wolle, »muss dies mittragen«.
Als der SPIEGEL andere Mitglieder der CDU Pankow auf Gutschows Vergangenheit anspricht, sind einige überrascht: »Ich hatte ihn immer als konservativ gesehen, aber dass er so eine Vergangenheit hat, wusste ich nicht«, sagt einer. Dabei hätte es für einen ersten Eindruck gereicht, Gutschows Namen zu googlen.
passiert am 28.03.2024