Anschlagsserie: Die mysteriöse Spur der militanten Klimaaktivisten
Teile der Klimabewegung radikalisieren sich. In mehreren Großstädten kommt es zu Anschlägen auf Unternehmen. Während der Staatsschutz ermittelt, führen Spuren im Netz ins akademische Milieu. Ein Einblick in die Gedankenwelt der Extremisten.
Kurz vor Weihnachten verübt eine militante Klimagruppe einen Anschlag auf ein Betonwerk des internationalen Cemex-Konzerns in Berlin-Kreuzberg. Die Täter zünden vier Betonmischer an, zerstören eine Förderbrücke und beschädigen Teile eines Gebäudes. Zu dem Anschlag bekennt sich eine Gruppe mit dem Namen „Switch off“. Die Ermittlungen führt nun der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz. Die Berliner Polizei rechnet der militanten Klimagruppe mittlerweile zwölf Anschläge zu – und sie geht von mehreren Tätern aus.
Deutschlandweit sind Ermittler besorgt, dass sich Teile der Umweltszene radikalisieren könnten – und zwar in rasantem Tempo. Der Grund: Immer öfter verweisen autonome Kleingruppen auf den Umweltschutz. Erst am vergangenen Wochenende attackierten Maskierte ein Kieswerk in Hessen, zerschnitten Förderbänder und beschädigten Motoren. Schaden: rund 50.000 Euro. Die Täter veröffentlichten später ein Bekennerschreiben, auch sie stammen offenbar aus der Szene. Eine weitere Gruppe, die sich „Disrupt now“ nennt, verübte ebenfalls Anschläge. Und nach jüngsten Brandanschlägen auf Tesla-Autos und -Ladesäulen in Berlin ermittelt die Polizei wegen „linkspolitisch motivierter“ Straftaten.
Die Taten passen in ein Raster, das Verfassungsschützer ausgemacht haben. Den Gruppen gehe es „in letzter Konsequenz“ darum, aktuelle Themen wie Klima- und Umweltschutz zu nutzen, um die parlamentarische Demokratie zu diskreditieren und für ein anderes politisches System zu werben. „Aufgrund des vielfach jugendlichen Alters der Protestierenden und der hohen öffentlichen Wahrnehmung stellen Klimaproteste für Linksextremisten aus verschiedenen Spektren ein attraktives und anschlussfähiges Themenfeld dar“, heißt es im Lagebild des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Doch wie sieht die Gedankenwelt aus, in der sich Gruppen wie „Switch off“ bewegen? Wer die Spuren im Internet verfolgt, landet bei ausufernden Bekennerschreiben und Pamphleten, in denen ein Systemwechsel gefordert wird. Dafür sei auch Militanz ein Mittel: „So radikal wie der vom Kapitalismus gemachte Klimawandel es erfordert, können wir kaum blockieren und sabotieren“, schreiben die Hintermänner der Gruppe.
In Berlin hatte sich „Switch off“ bereits zu Brandanschlägen auf Bagger und Baufirmen bekannt. Auch für Attacken auf die Bahn in Hamburg sollen die Autonomen verantwortlich sein. In der Logik der Gruppe dient der Bahn-Konzern „neokolonialer Ausbeutung“. Ungewöhnlich ist, dass es sich bei „Switch off“ laut Erkenntnissen aus Sicherheitskreisen um eine Art Mitmachkampagne handelt, unter deren Dach die Anschläge verübt werden. Eine Art Franchise-Organisation mit dem Ziel, mutmaßliche Umweltsünder zu attackieren.
Wer zum Unterstützerkreis gehört, die Bekennerschreiben formuliert und sie ins Netz stellt und wer die Anschläge bislang verübt hat, ist auch den Behörden unklar – anders als das ideologische Terrain der Kampagnen. Teilweise wurden in den Bekennerschreiben, die der Staatsschutz als authentisch einschätzt, ganze Passagen von einem Wissenschaftler übernommen. So tauchen in verschiedenen unter dem Namen der Kampagne veröffentlichten Texten auffällige Formulierungen auf, die auch in Veröffentlichungen eines Forschers und Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen zu finden sind.
Der Mann heißt Guido Arnold und forscht am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Diss), einer privaten linken Einrichtung. Arnold hat nach Angaben des Diss an den Universitäten Wuppertal und Nantes theoretische Physik studiert und in der Quantentheorie promoviert. Zuletzt veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zu Themen wie künstliche Intelligenz, Kapitalismuskritik – und dem Klimawandel.
Anschlag auf Golfclub
WELT AM SONNTAG fand mehr als ein Dutzend sich teils über mehrere Sätze erstreckende Passagen, die „Switch off“ für ihre Verlautbarungen bei Arnold entliehen hat. In den Texten ist von „Expansionskapitalismus“ die Rede, der die Position der Machthaber sichere. In einem achtseitigen Pamphlet von „Switch off“ heißt es über Industrie und Politik: „Sie kleben am Dinosaurier der Atomenergie.“
Nach einem Anschlag auf einen Golfclub im Hamburger Nobelviertel Blankenese schrieb „Switch off“ in einem auf dem linksradikalen Portal „Indymedia“ veröffentlichten Text: „Und so ist der Kampf gegen die Klimazerstörung unweigerlich auch ein Kampf entlang von Klassenfragen.“ Ein Satz, der wortgleich in einem Aufsatz von Arnold steht. Und selbst ganze Textblöcke scheinen aus Werken eines einzigen Autors zu sein. Dann etwa, wenn „Switch off“ postuliert, die „Initiative“ zur Umwälzung müsse „notwendigerweise von unten kommen“. „Denn der Staat fühlt sich bis auf kosmetische Korrekturen einem dystopischen ‚Weiter-so‘ für das Wirtschaftssystem verpflichtet. Ein Festhalten an dieser ökologisch verheerenden, kapitalistischen Wirtschaftsweise kommt einer ignoranten Beschleunigung in Richtung Kollaps gleich.“ Ein Bekennerschreiben bei „Indymedia“ wurde mit dem Schlagwort „Biopolitik“ versehen, das auch Arnold nutzt.
Welche Rolle spielt der Wissenschaftler, der in der Vergangenheit unter verschiedenen Namen in zahlreichen aktivistischen Bewegungen – etwa gegen die Hartz-Reformen, den Konzern Amazon, oder die „Bild“-Zeitung – aktiv war? Arnold gibt auf Anfrage an, „Switch off“ nicht zu kennen. „Meine Texte sind auf der Webseite des Diss frei verfügbar. Ob und wer sich daran bedient, weiß ich nicht“, so Arnold. Eine radikale Umweltgruppe also, die bei einem ihr ideologisch nahestehendem Wissenschaftler plagiiert?
Dass Enteignungsfantasien mit dem Klimaschutz begründet werden, ist nicht nur bei „Switch off“ zu beobachten. Das zeigt etwa ein Diskussionspapier, das auf dem Blog der linksextremistischen „Interventionistischen Linken“ veröffentlicht wurde. Darin kündigen die Autoren an, eine viel grundlegendere Veränderung vorzubereiten, als Parlamente sie je beschließen könnten. „Was wir in unseren Bewegungen schaffen, reift heran, um im richtigen Moment alles umzustrukturieren“, heißt es in einem Schreiben mit dem Titel „Klimagerechtigkeit wird nicht in den Parlamenten gemacht“. Eine maßgebliche Rolle komme dabei dem von der „Interventionistischen Linken“ beeinflussten Bündnis „Ende Gelände“ zu, heißt es im aktuellen Berliner Verfassungsschutzbericht. Im März 2022 veröffentlichte die Gruppe das Buch „We shut shit down“. In dem Buch heißt es: „In einer kapitalistischen Gesellschaft (kann es) keine Klimagerechtigkeit geben. Daher ist neben dem Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft der Kampf für einen Systemwandel erforderlich.“
Keine Klebeaktionen mehr
Die Sicherheitsbehörden verfolgen auch die Entwicklung von Organisationen wie der „Letzten Generation“ aufmerksam. Die Aktivisten hatten kürzlich angekündigt, künftig auf Klebeaktionen zu verzichten und ihren Protest direkter zu adressieren. So schreiben die Aktivisten auf ihrer Homepage, dass man die Verantwortlichen für die Klimazerstörung in Zukunft „verstärkt direkt konfrontieren“ wolle. Zum anderen wolle man häufiger Orte der fossilen Zerstörung aufsuchen – so wie man es in der Vergangenheit schon bei Protesten an Öl-Pipelines, Flughäfen oder dem Betriebsgelände von RWE getan habe.
Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin beobachtet den Protest der „Letzten Generation“ schon länger – und zählte zu den schärfsten Kritikern. Er sagt, dass der Strategiewechsel der Aktivisten nicht überraschend komme. Wenn über Sabotagen und Eingriffe in den Flugverkehr gesprochen werde, „reden wir über weitere angekündigte Straftaten“, so Jendro. Aus Sicht der GdP erfülle die Gruppierung sämtliche Parameter einer kriminellen Vereinigung. Die große Frage ist, ob „Switch off“ und die „Letzte Generation“ auch gemeinsam agieren.
Extremismusforscher Klaus Schroeder von der Freien Universität in Berlin sagt: „Teile der Umweltbewegung haben sich weiter radikalisiert und sind kriminell und verfassungsfeindlich.“ Das sehe man etwa beispielhaft an den Kampagnen von „Switch off“. Dahinter versteckten sich Leute, die sich an die Umweltbewegung dran gehängt hätten, weil das Thema anschlussfähig ist. Auch die „Letzte Generation“ stehe am Scheideweg. „Mit der Ankündigung eines Strategiewechsels und direkteren Aktionen bis hin zu Sabotageakten untergraben sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung und greifen den Staat an“, so Schroeder. Und weiter: „Teile der Bewegung wollen nicht das Klima ändern, sondern das System. Und das wäre verfassungsfeindlich.“
Von Alexander Dinger, Lennart Pfahler
[eine mysteriöse spur hat der investigativ-reporter dinger („berichtete zuletzt als Reporter vor allem über Clan-Kriminalität und die Letzte Generation“) nicht, aber da der welt.de artikel hinter einer paywall ist hier in kopie]
passiert am 17.02.2024