„Ein bischen Frieden“ ist nicht genug
Gedanken zum Artikel „Antifafahne versus Friedenstaube“ von Peter Nowak (Zeitschrift Lotta) und zur Demo „Nein zu Krieg und Aufrüstung“ der „Antikriegskoordination“ am 02.09.23 in Berlin
Peter Nowaks Text gibt sich den Anschein journalistischer Ausgewogenheit, indem er scheinbar ohne eigenen Standpunkt Konflikte und Diskussionen zwischen politischen Gruppierungen nachzeichnet.
Eher oberflächlich schildert er die Auseinandersetzung um die Rechtsoffenheit der aktuellen deutschen Friedensbewegung, bleibt dabei auf der Ebene der Schilderung von Episoden und
vermeidet es gekonnt, genau zu benennen, was weite Teile der aktuellen Friedensbewegung verbindet: Nationaler Egoismus, Antiamerikanismus, Anti-Modernismus.
Dabei ist der Text gleichzeitig hoch manipulativ und möchte die Lesenden für die Positionen des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ (das zusammen mit der „IL“, „Hände weg vom Wedding“, „Solid“ und anderen die „Antikriegskoordination“ bildet) gewinnen. Dies möchte ich mit Fokus auf zwei exemplarische Textstellen herausarbeiten:
1.
Zu Beginn seines Textes führt Nowak geschickt die Figur des überforderten Friedensbewegten ein, der sich angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine fragt, wo der richtige Platz für sein politisches Engagement ist, das der Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ gerecht werden soll. In dieser Überforderung durch die Komplexität der gegenwärtigen Situation finden sich sicherlich erst mal viele Lesende wieder. Doch Nowak lässt diesen fragenden Friedensbewegten –und die Lesenden – im Regen stehen. Er macht sich nicht die Mühe, mögliche Antworten auf dessen Frage zu durchdenken und erweckt damit den – falschen – Anschein, die von diesem aufgeworfene Frage sei ein unauflösbarer Widerspruch.
Dabei genügen einige einfache Gedankenspiele, um zu zeigen, dass dem nicht so ist und dass dem
suchenden Friedensbewegten geholfen werden könnte:
– Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen beteiligen, bei denen die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg gefordert wird. Das wäre eine klare Positionierung gegen die totalitären russischen Machthaber („Nie wieder Faschismus!“) und auf die lange Sicht ein Beitrag zur Verhinderung von Krieg als Mittel zur Durchsetzung imperialer staatlicher Interessen („Nie wieder Krieg!“)
– Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen beteiligen, die Russland zur sofortigen Beendigung des Angriffskrieges und zum vollständigen Rückzug seiner Truppen aus der Ukraine aufrufen. Wie bei der vorherigen Option würde er sich dadurch klar und deutlich für die beiden Forderungen „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ einsetzen.
– Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen der aktuellen deutschen Friedensbewegung beteiligen. Dabei werden in der Regel die sofortige Beendigung der militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg, Verhandlungen auf Grundlage des Status Quo und ein sofortiger Waffenstillstand gefordert – bei einem kleineren Teil dieser Kundgebungen wird zumindest der russische Angriffskrieg verurteilt, in der Regel, ohne daraus weitere Konsequenzen gedanklicher oder praktischer Natur abzuleiten. Die Forderung „Nie wieder Faschismus!“ würde der Friedensbewegte damit offensichtlich verfehlen, denn er würde ein totalitäres System in seiner militärischen Expansion unterstützen. Er könnte sich vordergründig in der Illusion wiegen, damit die Forderung „Nie wieder Krieg!“ zu unterstützen. Bei näherer Betrachtung würde ihm allerdings wohl schnell klar werden, dass ein „Frieden“ auf Kosten eines Teiles der ukrainischen Bevölkerung nicht wirklich eine Verwirklichung dieser Maxime darstellt.
Und mit Blick auf die Zukunft könnte er sich fragen, ob die erfolgreiche Expansion eines totalitären Systems durch einen Angriffskrieg nicht in den nächsten Jahren weitere Kriege wahrscheinlich macht.
Peter Nowak macht sich in seinem Text nicht die Mühe, diese Optionen zu prüfen. Daher kann er dem Friedensbewegten auch nicht zu einer der ersten beiden Optionen raten bzw. von der dritten Option abraten.
Das ist sicherlich kein Zufall. Indem er ihn mit der scheinbar unauflösbaren Widersprüchlichkeit der doppelten Maxime „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ zurücklässt, erweckt er auch bei den Lesenden den – falschen – Anschein, dass angesichts der komplexen Realität am besten an den Forderungen der Friedensbewegung der 1980er Jahre – gegen Aufrüstung, gegen Waffenkonzerne etc. – festzuhalten ist.
Solche abstrakten politischen Forderungen denken jedoch an der komplexen Realität vorbei, der Verweis auf die geopolitische Konfrontation zweier Blöcke (Russland vs. NATO) führt in die Irre.
Solche Forderungen bedeuten in ihrer Zuspitzung, aus der privilegierten Position in Deutschland heraus den ukrainischen Opfern des russischen Angriffskrieges das Recht und die Möglichkeit zur Verteidigung abzusprechen. Russland kurz alibi-haft als Aggressor zu benennen und ansonsten die Lesart beizubehalten, alleine die Großmächte würden Entwicklungen bestimmen, reduziert den russischen Angriffskrieg auf einen Interessenkonflikt mit der NATO. Ach, wäre die Welt doch so einfach… Eine solche Deutung ignoriert darüber hinaus die Positionen und Interessen der Mittel- und Osteuropäer*innen – das ist das Gegenteil einer emanzipatorischen linken Politik und blendet gesellschaftliche Verhältnisse, Perspektiven sozialer Bewegungen und ideologische Widersprüche in der russischen Gesellschaft aus. Daher finden sich z. B. Im Aufruf zur Demo der „Antikriegskoordination“ auch keine Ausführungen über den repressiven Charakter der Diktatur in Russland. Wer diese Verhältnisse und Widersprüche bei der Analyse ignoriert, verweigert sich der Komplexität einer unübersichtlichen Gegenwart.
Derart vereinfachende Antworten, die durch das schlichte Zusammenkleistern von in Ansätzen durchaus richtigen Positionen (natürlich verdienen Rüstungs-Konzerne, Aufrüstung, Machtblöcke etc. eine radikale Kritik!) entstehen, führen aber angesichts einer sich verändernden und komplexen Realität im Ergebnis zu falschen Forderungen. Leider ziehen diese sich auch durch den Aufruf der „Antikriegskoordination“ zur Demo am 02.09.23 in Berlin. Festzuhalten bleibt: Demos und Kundgebungen entsprechend der ersten und/oder zweiten Option gibt es zum Glück zahlreich – allerdings werden diese nicht von der aktuellen deutschen Friedensbewegung organisiert.
2.
Am Ende seines Textes ist Nowak kurz davor, eine wichtige Überlegung mit Blick auf die
Friedensbewegung zu Papier zu bringen, führt den Ansatz seines Gedanken dann aber nicht
konsequent zu Ende. Er erwähnt die rechte Agitation Ende der 1930er Jahren in den USA gegen deren Eintritt in den Krieg gegen NS-Deutschland. Und er benennt den erfolgreichen Krieg der Alliierten gegen Deutschland als Voraussetzung für den Schwur der Überlebenden von Buchenwald.
Um das Weiter-Denken der hier von Nowak bedauerlicherweise auf halber Strecke abgebrochen Argumentation zu bestärken, sei hier gerne noch das Selbstverständnis der Internationalen Brigaden, die die Spanischen Republik mit Waffengewalt gegen den faschistischen Putsch zu verteidigen versuchten, erwähnt. Oder die erfolgreiche Kampagne „Waffen für El Salvador“ in der westdeutschen Linken in den 1980er Jahren.
Mit diesen historischen Erfahrungen im Hinterkopf wird deutlich, wie Antifaschismus und Friedensbewegung zueinander im Verhältnis stehen: „Nie wieder Krieg!“ meint „Nie wieder werden wir einen Angriffskrieg unterstützen!“, nicht aber den grundsätzlichen Ausschluss von militärischem Eingreifen in bestehende Konflikte. Denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Faschismus verbietet sich jede Interpretation dieses Satzes, die den Antifaschismus wehrlos gegen totalitäre, reaktionäre und/oder faschistische Entwicklungen machen würde. Daraus folgt für die gegenwärtigen Diskussionen: Friedensbewegungen sind nicht aus sich heraus „links“, „progressiv“ oder „antifaschistisch“. Eine Abgrenzung gegen jede Form von autoritären, totalitären oder rechten Bewegungen ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine „progressive“ Friedensbewegung. Auch die wohlfeile Kritik an Rüstungsunternehmen und Aufrüstungspolitik, die die Notwendigkeiten des Handelns in konkreten und realen Konfliktsituationen nicht mitbedenkt, macht eine Friedensbewegung nicht zu einem „progressiven“ Projekt. Vielmehr muss sich jede Friedensbewegung daran messen lassen, ob ihre Forderungen dazu beitragen, autoritäre, totalitäre, faschistische oder anderweitig menschenfeindliche Verhältnisse zu bekämpfen, oder ob sie deren Aufrechterhaltung dienen.
Diese Gedanken zuzulassen, führt zu vielen neuen Fragen, Verunsicherungen und Ambiguitäten, die es erst einmal zu benennen und – günstigenfalls – in weiteren Diskussionsprozessen zu klären gilt.
Aber sie führen auch zu einer ersten Klarheit: Eine Friedensbewegung, die einfach nur abstrakt Verhandlungen, Abrüstung, Waffenstillstand und Frieden fordert, ist in der Realität komplexer Konflikte in keinem Fall ein progressives, linkes oder antifaschistisches Projekt – ganz egal, wie gut die Abgrenzung gegenüber rechten Projekten gelingt.
passiert am 02.09.2023