„Rechte Bedrohungsallianzen“ – Eine Buchrezension
„Als ab 2011 das volle Ausmaß der Taten des NSU ans Tageslicht kam, wurde in den Medien und von der Politik vielfach ein dichotomisches Bild ‚deutscher Zustände‘ gezeichnet: auf der einen Seite die intakte Gesellschaft, auf der anderen die verbrecherische Terrorzelle. Diese konstruierte Selbstentlastung und der politische Selbstbetrug (…), die auch vor Verfassungsschutz, Polizei und Justiz nicht haltmachten, behinderten lange die gesellschaftliche Selbstaufklärung sowie die Strafverfolgung, wie sich beispielsweise im NSU-Prozess gezeigt hat (…).“ (S. 18)
Mit dieser Passage wird der These widersprochen, dass der NSU ein verrückter Einzelfall war. Das Programm und die Taten des NSU hatten tiefere Ursachen in der Gesellschaft. Zugleich soll gesagt werden, dass diese gesellschaftlichen Ursachen vermeidbar wären, wenn sich die Politik und Justiz die Gründe ehrlich vor Augen halten und dagegen vorgehen würde. Diese Gründe präsentiert das Buch in Form eines „Zwiebel“-Models (abgebildet auf S. 59).
Das Modell unterscheidet diverse rechte Parteien/Gruppierungen und ordnet sie gewissen Schichten zu: Ganz innen sind „terroristische Vernichtungsakteure“, wie der NSU. Den zweiten Ring bildet ein „klandestines terroristisches Planungs- und Unterstützungsmilieu“, also Menschen und Gruppierungen, die konspirativ Tötungen oder andere Gewalttaten gegen von ihnen ausgemachten Feinden vorbereiten, aber noch nicht zur Tat schreiten. Der dritte Ring wird ein „systemfeindliches Milieu“ genannt, in dem der Sturz des demokratischen Systems explizit vertreten wird (etwa Kameradschaften oder Identitäre). Der nächste Ring wird „Milieu des autoritären Nationalradikalismus“ genannt, in dem die AfD oder Pegida angesiedelt sind. Der letzte und äußerste Ring heißt: „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung“. Dieser Teil der Bevölkerung mag die AfD schon wählen oder noch andere Parteien, er vertritt aber bereits vor der Entstehung rechter Milieus eine Reihe an Positionen, die in rechten Parteiprogrammen verdichtet werden, etwa Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Sozialdarwinismus. Mit diesem „{konzentrischen Eskalationskontinuum}“ ist der „{Analyserahmen für rechte Bedrohungsallianzen“} (58f.) gesetzt.
Das Buch handelt überwiegend davon, wie sich die Zwiebelringe wechselseitig Legitimation verschaffen, teils praktisch zusammenarbeiten oder aber auch wie der Sprung von einem Ring in den anderen funktioniere (S. 90-247). Explizit hebt das Buch aber hervor, dass die rechten Parteien und Bewegungen in der Bevölkerung die Abwertung und Diskriminierung von markierten Gruppen vorfinden und nicht hervorbringen:
„Mit den ausgewählten Ergebnissen zur Entwicklung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit möchten wir unterstreichen, dass diese Einstellungsmuster schon vor der Gründung der AfD und vor ihrer Spaltung 2015, mit der eine zunehmende Radikalisierung ihren Lauf nahm (…), in der bundesdeutschen Gesellschaft vorhanden waren. Dies verdeutlicht im nächsten Schritt zweierlei: Die traditionellen schon länger im Bundestag vertretenen (Regierungs-)Parteien haben die feindseligen Einstellungen – trotz vieler Studien – nicht ernst genommen bzw. Menschen mit solchen Einstellungen als eine zu vernachlässigende Größe abgetan. Gleichzeitig stand in der Bevölkerung bereits seit zwei, drei Jahrzehnten ein Einstellungspotenzial bereit, das von einer Partei wie der AfD mit emotional bewegenden Themen mobilisiert werden kann.“ (100)
Seit versucht wird mit Umfragen in der Gesellschaft festzustellen, wieviele Menschen rassistische, antisemitische, sexistische, antiziganistische usw. Urteilen zustimmen, stellt sich in aller Regelmäßigkeit raus: Ganz schön viele. Und dass das vor 1990 auch nicht anders war, ist anzunehmen.
Das macht eigentlich die Frage auf, woher diese verbreiteten abwertenden Urteile in der Bevölkerung herkommen. Dazu präsentiert das Buch durchaus eine Art von Erklärung, die weiter unten behandelt werden soll. Auf jeden Fall sind laut des Buches die demokratischen Parteien dafür in keinster Weise aktiv verantwortlich, wenn ihnen nur vorgeworfen wird, dass sie diese Einstellungen in der Bevölkerung nicht ernst genommen haben. Daher tauchen diese Parteien auch nicht als weiterer Zwiebelring in dem Modell auf. Dabei ist es ein leichtes in den letzten drei Jahrzehnten parteipolitische Kampagnen aufzuzählen, in denen Deutsche gegen Fremde in Stellung gebracht wurden – hier eine kleine Auswahl:
– „{Kinder statt Inder}“ – Jürgen Rüttgers CDU-Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl 2000.
– „{Wenn ein Europa der Vielfalt nationale Identitäten bewahren und dennoch eine kollektive Identität entwickeln soll, braucht es eine politische Leitidee, ein gemeinsames Fundament von Werten und Überzeugungen. Eine solche europäische Leitidee bezieht sich notwendigerweise auf gemeinsame kulturelle Wurzeln, auf die gemeinsame Geschichte, auf gemeinsame religiöse Traditionen}“ Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in Die Welt, 13. Dezember 2005. Darüber hinaus propagierten viele Politiker*innen die Leitkultur.
– Dass die Migrant*innen mit türkischen „Wurzeln“ mit Vorsicht zu genießen seien, hat Bundeskanzlerin Merkel so ausgedrückt: „{Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln.“} [[http://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/politik/aktuelles_berichte/Bundeskanzlerin-Merkel-fordert-von-Tuerkischstaemmigen-Loyalitaet;art29862,3095193; eingesehen am 30.09.2016.]]
– In aller Regelmäßigkeit wird von Politiker*innen, Ökonom*innen und Zeitungen berichtet, dass die Arbeit in Deutschland verglichen mit anderen Ländern zu teuer ist und so den deutschen Arbeiter*innen der Weg gewiesen, wie sie sich in Sachen Arbeitsplatzerhalt gegen ihre ausländischen Kollegen durchsetzen sollten – durch den Verzicht auf Lohn. [[1988: „Fast alle in diesem Hohen Haus bejahen ein offeneres Weltwirtschaftssystem. Dann kann man aber bei den Tarifverträgen, den Kosten, den Arbeitszeitregelungen nicht weiter so tun, als ob wir noch in den autarken, abgeschlossenen Nationalstaaten und Nationalwirtschaften schalten und walten könnten, ohne sich um die Konsequenzen für den Wettbewerb und die Zukunft der Arbeitsplätze zu kümmern.” Stoltenberg (Bundesminister der Finanzen), Erste Beratung des Haushaltsgesetz 1989 und des Finanzplans des Bundes 1988 bis 1992, in: Deutscher Bundestag – Stenographischer Bericht (DB-StB) Nr. 145, 06.09.1988, S. 6068.
1999: „Hohe Sozialausgaben sind ein schwerer Hemmschuh für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.” Eichel (Bundesminister der Finanzen), in: DB-StB, Nr. 197, 15.09.1999, S. 4653.
2002: „Deutsche Arbeit ist teuer – Die Arbeitskosten in Westdeutschland lagen 2001 einer Studie zufolge mit mehr als 26 Euro pro Stunde im internationalen Vergleich an der Spitze. (…) Im Durchschnitt sei die Arbeitsstunde in Westdeutschland um ein gutes Viertel teurer als in den untersuchten 19 ausländischen Konkurrenzländern.“ Handelsblatt 09.07.2002; https://archive.vn/wip/5JLjJ
2019: „Krise der deutschen Industrie – Ökonom rechnet vor: Deutsche Arbeitnehmer sind zu teuer geworden“ Focus am 19.11.2020; https://archive.vn/xbr9d
2020: „Größter Anstieg seit 2012 – Arbeit in Deutschland deutlich teurer – Die Kosten für Arbeit in Deutschland haben sich vergangenes Jahr so stark verteuert wie seit sieben Jahren nicht mehr. Die Lohnnebenkosten stiegen dabei schneller als die Bruttolöhne.“ Tagesschau am 10.03.2020; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitskosten-103.html]] Oder aber die Regierung verspricht ihren Arbeiter*innen, dass sie sich gegen das Ausland zu Wehr setzen werde, wenn letzteres doch versuche mit Lohn- und Umweltdumping deutsche Arbeitsplätze zu vernichten. [[„{EU beschließt neue Maßnahmen gegen Lohndumping – Erntehelfer aus Polen, Bauarbeiter aus Rumänien, Fleischer aus Bulgarien: Hunderttausende Osteuropäer arbeiten zum Billigtarif in westlichen EU-Ländern. Das soll sich nun ändern. (…) Zwischen den EU-Ländern gehen die Interessen aber weit auseinander. (…) Die osteuropäischen Länder kritisierten, westliche Staaten wollten ihre Arbeitsmärkte
abschotten.}“ SPIEGEL – 24.10.2017; https://archive.vn/wip/KMS8I]]
– Und um ein Beispiel aus einer anderen Sphäre zu wählen – die Süddeutsche Zeitung schrieb bezüglich homosexueller Paare: „{Überhaupt sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Prinzip, dass Verantwortung wichtiger ist als Gene, bietet zwar einen guten Lösungsansatz für viele Konstellationen. Dennoch gilt: Die biologische Elternschaft ist prägendes Element einer sozialen Beziehung. Das genetische Band stärkt das Verantwortungsgefühl}.“ [[In dem Hauptartikel der Süddeutschen Zeitung vom 10./11. September 2016, S.1: „{Familie der Zukunft}“.]] Und dieses genetische Band haben homosexuelle Paare nun mal nicht, von daher ist die SZ hier zumindest skeptisch. Sie vertritt damit eine Idee von Familienpolitik, nach der eine biologische Elternschaft vorzuziehen sei – ein zentraler Punkt im Programm der AfD.
Ein erstes Fazit: Heitmeyer et al. wollen den rechten Terror der NSU tiefer in der Gesellschaft verankert sehen, schließen aber einen Gutteil der gesellschaftlichen Akteur*innen erstmal aus ihrer gesellschaftlichen Zwiebel aus. [[Einzig an einer Stelle wird die Politik mal als Treiber rechter Gruppierungen benannt im Zusammenhang mit den Pogromen Anfang der 90er Jahre: „Rückenwind bekamen die rechten Gewalttäter aber auch aus der Politik (vgl. Quent 2019, S. 108). Unter dem Druck der öffentlichen Meinung beschloss der Bundestag 1993 den sogenannten ‚Asylkompromissʻ. (…) Im rechtsextremen Spektrum wurde diese Reform weithin ‚als Triumph der militanten Straßenproteste gedeutetʻ“ (ebd., S. 108).“ (153f.) Interessant an dieser Einordnung ist, dass überhaupt mal die normale demokratische Politik als Treiber von rechten Gedanken angeführt wird und dann aber gleich wieder aus der „Zwiebel“ ausgenommen wird: Denn letztlich musste sich der Bundestag ja dem öffentlichen Druck beugen, also der vorhandenen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung. Ist Heitmeyer et al. nicht bekannt, dass es in anderen Fällen der Politik zur Zierde dient, sich nicht dem Druck der Straße zu beugen?]] Das liegt schlicht daran, dass die „offene Gesellschaft und die liberale Demokratie, wie sie seit Jahrzehnten – trotz zahlreicher kritikwürdiger Defekte – gewachsen sind“ (106) im Ganzen einfach gut finden. Das zeigt sich dann auch dort, wo sie überhaupt versuchen, rechte Denkmuster eingrenzend zu definieren:
{{{Was ist rechtes Denken?}}}
Wenn das Buch über rechte Bedrohungsallianzen handelt, machen sich Heitmeyer et. al. – ganz im Sinne moderner Geisteswissenschaft – erstmal daran, zu definieren, was rechts ist. „{Bezeichnungen wie ‚Rechtsradikalismusʻ, ‚Neonazismusʻ oder ‚Neofaschismusʻ}“ (19) werden als ungenügend ausgemustert. „{Rechtspopulismus}“ (104) oder „{faschistische Gesinnung}“ (106) sollen die Sache ebenfalls nicht treffen. Als ‚bessere‘ Defintion wird folgendes angebracht:
„Wir stützen uns im Folgenden auf die Definition die eine Ideologie der Ungleichwertigkeit in Verbindung mit Gewaltakzeptanz als Kern der entsprechenden Phänomene identifiziert.“ (20)
„Die Ideologie der Ungleichwertigkeit basiert auf nationalistischer Selbstübersteigerung, rassistischen Kategorien, soziobiologischen Behauptungen natürlicher Hierarchien, auf einer sozialdarwinistischen Betonung des Rechts des Stärkeren, totalitärer Abwertungen von ‚Andersseinʻ sowie einer Betonung von Homogenität.“ (20)
Greift man aus dieser Charakterisierung rechten Denkens zunächst nur heraus, dass es sich dadurch auszeichnet, soziale Hierarchien biologisch zu legitimieren, dann stimmt das überwiegend. Ein Hinweis aber an dieser Stelle: Die sozialen Hierarchien selber findet das rechte Denken allemal vor. Die Sortierung der Menschheit nach In- und Ausländer*in; die Konkurrenz und damit den Gegensatz zwischen ganzen Volkswirtschaften, wenn diese nationalstaatlich organisiert sind; die Sortierung der Bevölkerung auf unterschiedliche Einkommensquellen und Einkommensgrößen; dass diese soziale Hierarchie deshalb manche Menschen wichtiger für den Staatshaushalt und die Politik macht als andere und gar nicht wenige Menschen nur eine Belastung für denselben darstellen; die Sortierung in der Schule, wo junge Menschen, die länger Zeit brauchen, um etwas zu lernen, früher aufhören müssen.
Aber nicht nur die sozialen Hierarchien findet das rechte Denken vor. Auch das Bedürfnis, diese Hierarchien irgendwie zu legitimieren, ist überall in der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden. [[Dies einmal am Beispiel unterschiedliche Einkommensgrößen durchgespielt:
Verbreitet ist die Idee, dass die Einkommensgröße sich der Leistung des Menschen verdanke. Es ist nur gerecht, dass derjenige, der sich anstrengt, mehr bekomme. Das ökonomische Ergebnis der gegensätzlichen Klassen und der Konkurrenz innerhalb der Klassen ist so verwandelt in ein Gemeinschaftswert (der berühmte Kuchen), von dem dann jeder etwas abbekommt, entsprechend seiner Leistung. (Zur Kritik siehe das vierte Kapitel im Buch: Die Misere hat System: Kapitalismus von GKN).
Diese Leistung lässt sich dann im Geiste der Rechtfertigung ausdifferenzieren: Warum bekommt die Ärztin mehr Gehalt als die Putzkraft in der Klinik? Weil die Ärztin länger studiert habe und in dieser Zeit auf Einkommen verzichtet habe, so eine gängige Erklärung. Oder: die Ärztin hat sich in der Schule mehr angestrengt. Oder tautologisch: die Ärztin leistet mehr, das sieht man letztlich an dem Einkommen.
Es wird in der Gesellschaft dann munter darüber gestritten, ob die Differenzen im Gehalt wirklich die Leistung widerspiegeln – und alle unterstellen dabei, dass das zumindest so sein sollte. Selbst diejenigen, die darauf hinweisen, dass die Startbedingungen ungleich und damit ungerecht seien (z.B. Bildungsniveau des Elternhauses), bejahen implizit das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit.
Man kann jetzt gedanklich Schluss machen und die soziale Hierarchie ist in großen und Ganzen bejaht. Man kann sich aber intellektuell gedrängt sehen, weiter zu denken: Wie kommt es, dass Menschen so unterschiedlich leistungsfähig sind? Und dann kann man soziale Umstände anführen oder aber auf ein persönliches Genie (oder einen Loosercharakter) der Personen weiterschließen. Egal, was verhandelt wird (unterschiedliche Einkommen oder unterschiedliche Schulleistungen), in der Regel ist ein sowohl als auch die gängigste (V-)erklärung: Umwelt und Anlage seien die wichtigen Faktoren.
]] Damit hätte man eine gesellschaftliche Grundlage benannt, warum Leute auch ganz ohne die Anleitung der AfD von selbst auf rassistische oder biologistische Legitimationen kommen können: Weil diese besondere Formen der Legitimation sind – und dabei auch noch recht wasserdichte. Damit könnte man sich auch erklären, warum demokratische Parteipolitiker*innen manchmal auf solche Legitimationen zurückgreifen. Sie leisten, dass gesellschaftliche Hierarchien, Ausgrenzung und staatliche Gewalt angemessen und notwendig entsprechend der angeblichen Menschennatur erscheinen. Wie mies die staatlich ins Werk gesetzten sozialen Verhältnisse auch immer aussehen – sie sind notwendig und gehen in Ordnung, weil „der Mensch“, „die Ausländer“, „die Frauen“ usw. sich durch bestimmte natürliche Eigenschaften auszeichnen würden, die zu der Position und der Behandlung passen.
Interessant ist dann die zweite Seite der Definition des rechten Denkens:
„An dieser Stelle kommt das zweite Element der Definition ins Spiel, die Gewaltakzeptanz. Ihre wesentlichen Varianten sind die Überzeugung, Gewalt gehöre unabänderlich zum sozialen Dasein (…)“. (20)
Es lohnt sich das Zitat an dieser Stelle einmal zu unterbrechen. Wer in dieser Gesellschaft hält Gewalt eigentlich nicht für eine notwendige Sache des „sozialen Daseins“? Die Staatsgewalt hält so gut wie niemand für überflüssig. Und tatsächlich, solange man Kapitalist*in, Grundeigentümer*in, Selbstständige oder Lohnarbeiter*in bleiben will, ist die staatliche Gewalt unverzichtbar für diese sozialen Daseins-Formen (ein Hinweis: Wir meinen dass Lohnarbeiter*innen nichts von dieser Gesellschaft haben und daher einen guten Grund hätten, diese Gewaltaffinität abzulegen). Eigentum muss geschützt sein, Verträge eingehalten werden. Und als Konkurrenzsubjekte, die sowieso schon dem staatlichen Gewaltmonopol unterworfen sind, malt sich jede aus, wie es wäre, wenn es keinen Staat gäbe und sagt dann: Ohne Staat kein soziales Dasein, wie man es sich wünscht. Darüber hinaus kennt jede unanständiges Verhalten von den anderen Bürger*innen und ist froh, dass der Staat dem hinterher steigt bzw. fordert zumindest, dass er das tun sollte. Dass dieser Staat sich wiederum militärisch gegen das Ausland wappnen muss und manchmal auch in fernen Weltgegenden mitmischen sollte, ist für fast alle eh abgehakt.
Kurzum: Diese Definition für sich genommen, trifft das rechte Denken insofern nicht, weil sie gar keine Besonderheit rechten Denkens enthält. Die Idee einer nützlichen, sinnvollen und legitimen Gewaltausübung ist in der bürgerlichen Gesellschaft fast universell vorhanden. Aber das Zitat geht ja weiter und zwar so:
„(…), die Billigung fremdausgeübter privater bzw. repressiver staatlicher Gewalt, eigene Gewaltbereitschaft sowie schließlich tatsächliche Gewalttätigkeit.“ (20)
Zunächst wird hier dann eine Differenz eingeführt. Eine normale Staatsbürgerin wünscht sich den guten Einsatz staatlicher Gewalt, rechte Leute nehmen sich dagegen raus, ihre Ziele auch mit privater – nicht legitimer Gewalt – durchzusetzen. Nur: Sind rechte Menschen wirklich der Überzeugung, dass es einfach mehr private Gewalt geben sollte? Ist es nicht vielmehr so, dass sie einen Mangel an (in ihrem Sinne) richtig staatlich angewandter staatlicher Gewalt feststellen und sich deshalb in der Pflicht sehen, selber gewaltsam vorzugehen? In der Hooligan-Szene wird sicherlich auch ein Genuss an körperlicher Auseinandersetzung vorhanden sein, aber das ist bestimmt kein allgemeines Begehren in der rechten Szene, wenn man Parteien wie die AfD dazurechnet.
Das ist Heitmeyer et al. auch aufgefallen und deshalb ist in der Definition gleich ein „bzw. repressiver staatlicher Gewalt“ eingebaut. Damit wird es aber nicht besser. Denn eine Gewalt, die nicht-repressiv ist, gibt es einfach nicht. Wenn, dann müsste man es so formulieren: Rechtes Denken befürwortet eine staatliche Gewalt, die rechtsstaatliche Bedenken in bestimmten Fällen für überflüssig hält und sich vor allem auf die Wirkung der Gewalt verlässt, anstatt auch mal zu dem Schluss zu kommen, dass Sozialarbeit nützlicher sei, als bloßes Draufhauen.
„Gewalt gilt als normales legitimes Mittel der Austragung von Konflikten sowie zur Durchsetzung der Ideologie der Ungleichwertigkeit.“ (20)
Hier ist man dann einerseits zurück auf Los: Jedes zivilrechtliche Gerichtsverfahren drückt die Tatsache aus, dass es Bürger*innen selbstverständlich ist, dass man Konflikte mit dem normalen und legitimen Mittel der Gewalt austrägt. Denn die Klägerin will für ihren Standpunkt die höhere Gewalt in Anspruch nehmen und geht damit davon aus, dass ihr Interesse ohne diese Gewalt nicht zum Zuge kommt. Andererseits wird dieser Mangel in der Definition dann versucht auszubaden, indem im genannten Zitat ein „sowie“ äußerlich und zugleich irgendwie doch dazugehörend angehängt wird. Die Rechten haben eine Ideologie der Ungleichwertigkeit und sind bereit die daraus gezogenen politischen Schlüsse mit Gewalt umzusetzen.
Die ganze Definition macht deutlich, dass Heitmeyer et. al. es nicht hinbekommen, einmal nüchtern zu fragen, was rechtes Denken eigentlich ist, was seinen Kern ausmacht, um hinterher zu sagen, was man daran kritisiert und welche Unterstützung das rechte Denken aus der Gesellschaft erhält. Von vornherein ist das Interesse am Funktionieren der Demokratie, die sie für gut befinden, der Leitfaden der ganzen Untersuchung:
„Rechte Bedrohungsallianzen werden in dieser Analyse als Bündnisse zwischen individuellen Akteuren, Gruppen, sozialen Bewegungen und Parteien verstanden, die sich gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie richten.“ (18)
Und da muss man sagen: Das stimmt sicherlich, dass rechte Gruppierungen eine offene Gesellschaft [[Die „offene Gesellschaft“ ist selber eine Interpretation der Demokratie, ein Ideal von derselben. Hier wird diese Bezeichnung nicht weiter untersucht, weil das rechte Denken tatsächlich gegen dieses Ideal kämpft.]] und eine liberale Demokratie ablehnen. Aber ist das der Kern des rechten Denkens oder nicht vielmehr eine Konsequenz aus ihrem politischen Kern? Gleiches gilt für die Rolle der Gewalt: Sie ist für die Rechten ein Mittel ihrer politischen Standpunkte und daher Konsequenz ihres Kerngedankens.
In denjenigen Kapiteln, in denen das Buch die einzelnen Zwiebelringe eingehender bespricht, werden die Hauptanliegen der jeweiligen rechten Parteien oder Gruppen zitiert. Dort liest man:
– AfD und Pegida: „‚{Deutsch-Seinʻ als Schlüsselkategorie}“ (111)
– Intellektuelle: „{Der Historiker Volker Weiß hat in seiner Analyse der ‚autoritären Revolteʻ die zentrale Kategorie herausgearbeitet, um die sich alles dreht: den angeblichen Untergang des deutschen Volkes.}“ (117f.)
– Der Dritte Weg: „{In ihrem Programm fordert sie etwa die ‚Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkesʻ sowie die ‚Beibehaltung der nationalen Identitätʻ, die vor Überfremdung zu schützen sei.}“ (165)
– Identitäre Bewegung: „{Die IB propagiert einen Ethnopluralismus, der die nationalen Interessen aller Völker wahren und ein vermeintliches Aussterben, den ‚Volkstodʻ bzw. den ‚Großen Austauschʻ verhindern will.}“ (165)
– Terroristisches Milieu: „{Die Perspektive verengt sich auf einen „Tunnelblick“, das Handeln orientiert sich an den zitierten Parolen vom ‚Untergang des deutschen Volkesʻ (…).}“ (208)
Im Grunde ist nicht zu übersehen, dass sich das rechte Denken um das Volk dreht und hier genauer darum, dass das Volk für sie in einer Krise stecke. Einer der höchsten Grundsätze der Demokratie steht damit für das rechte Denken auf dem Spiel: „{Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.}“ (GG, Art. 20 (2)) Das rechte Denken ist zu dem Schluss gekommen, dass die Staatsgewalt mit der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik das Volk neu ordne, sich die Staatsgewalt quasi aussuche, wem sie dienen will. Und damit ist dann auch der aktuelle deutsche Staat für die Rechten keine Instanz mehr, der sie bereitwillig dienen wollen.
Was an diesen Gedanken der Fehler ist und auf welchen objektiven gesellschaftlichen Grundlagen sich dieser Fehler stützt, das wäre Sachen, die zu klären wären. [[Dies wird im folgenden Text gemacht: „Von Schland nach Gauland“, der das ausführlich macht: https://gegen-kapital-und-nation.org/von-schland-nach-gauland]] Insbesondere, wenn man der Frage nachgehen will, wie es dazu kommt und auf welchen Mist der Umstand gedeiht, dass Menschen, die zuvor Nicht-Wähler*innen waren oder die üblichen demokratischen Parteien gewählt haben, sich entschließen, der AfD die Stimme zu geben, bei Pegida mitzumarschieren und es im Internet oder auf der Straße jetzt politisch wichtig finden, bestimmte Gruppen zu beleidigen, zu bedrohen oder anzugreifen.
{{{Das Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit}}}
Heitmeyer et al. stellen richtigerweise fest, dass die rechten Parteien einen Fundus an falschen Vorstellungen oder Einstellungen in der Bevölkerung vorfinden können, diesen dann programmatisch verdichten und zu manchen Anlässen dann besonders gut Bevölkerungsanteile für ihr Programm gewinnen können.
Aus der Frage heraus, wie rechte Parteien oder Gruppen erfolgreich sein können, werden diese vorgefundenen Denkweisen in der Bevölkerung als „{Einstellungspotenzial}“ (100) bestimmt. Einige verbreitete Denkweisen in der Bevölkerung werden so verwandelt in die Möglichkeit des Zuwachs von rechten Parteien.
Mit dieser methodischen Verwandlung von {existierenden} Denkweisen in die Möglichkeit von etwas Anderen ist in dem Buch der Weg vorbereitet, die Denkweisen in der Bevölkerung selbst nicht erklären zu wollen bzw. dort, wo dies doch ansatzweise versucht wird, auf eine falsche Erklärung zu kommen.
„Wir gehen von der Annahme aus, dass es sich bei Vorurteilsformen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder der Abwertung homosexueller, behinderter, langzeitarbeitsloser oder obdachloser Menschen um verschiedene Elemente eines Syndroms handelt. Unterschiedliche Vorurteile haben in diesem Verständnis nicht nur ähnliche Ursachen, sondern auch einen gemeinsamen Kern, nämlich die Ideologie der Ungleichwertigkeit (…).“ (90)
Zunächst ist einzuwenden, dass Rassismus, Antisemitismus und Sexismus zwar durchaus falsche Urteile einschließt, sie aber nicht einfach Vorurteile in dem Sinne sind, dass die Menschen vorschnell und ohne genügend Erfahrung auf die Idee gekommen wären, dass schwarze Menschen, Jüd*innen oder Frauen in bestimmten Hinsichten so oder so seien. Es stimmt zwar, dass sich z.B. Antisemit*innen nicht von irgendeiner Erfahrung mit Jüd*innen abhängig machen, aber dann muss man eben sagen: Das verbreitete Urteil, nach dem „der Jude an sich“ geldgierig sei und konspirativ die politischen Machthöhen in einer jeden Gesellschaft erobern wollen würde, hat seinen Grund woanders. Wer antisemitische Urteile als Vorurteile benennt, hat sich entschieden an den Antisemiten nur einen Mangel an Nachdenken auszumachen, anstatt zu untersuchen, wieviel (falsche) Gedanken in dem antisemitischen Urteil drin steckt.
Davon abgesehen machen Heitmeyer et al. derzeit zwölf „Vorurteile“ aus, deren gemeinsames auftreten sie ein „Syndrom“ nennen. [[„{- 1. Rassismus (Abwertung aufgrund der Vorstellung biologischer oder natürlicher Unterschiede);
– 2. Fremdenfeindlichkeit (Abwertung oder Abwehr vermeintlicher Konkurrenz durch Gruppen anderer ethnischer Herkunft);
– 3. Antisemitismus;
– 4. Islamophobie;
– 5. Sexismus (maskuline Vormachtstellung, Verteidigung klassischer Rollenvorstellungen);
– 6. Homophobie (Abweichung aufgrund als von der Norm abweichend wahrgenommener sexueller Orientierung);
– 7. Abwertung von Menschen mit Behinderung;
– 8. Abwertung von Obdachlosen;
– 9. Einforderung Etabliertenvorrechten (…);
– 10. Vorurteile gegenüber Langzeitarbeitslosen (Abwertung erfolgt beispielsweise durch die Bezeichnung wie ‚Sozialschmarotzerʻ;
– 11. Abwertung von Asylbewerbern;
– 12. Abwertung von Sinti und Roma (…)}.“ (Fn. 1, S. 90f.)]] Was ist ein Syndrom?
„Ein Syndrom bezeichnet in der Medizin und der Psychologie eine Kombination von verschiedenen Krankheitszeichen (Symptomen), die typischerweise gleichzeitig und gemeinsam auftreten. Wie mehrere Symptome ursächlich zusammenhängen, bleibt mehr oder weniger unbekannt (…). (…) In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt, ebenfalls als Syndrom bezeichnet.“ (wikipedia – Syndrom)
In diesem Sinne behaupten Heitmeyer et al., dass die zwölf „Vorurteilsfomen“ in der Regel als ein Set auftauchen. Seit 2002 wird in repräsentativen Umfragen dieses Set von Urteilen in der Bevölkerung abgefragt. [[Von 2002 bis 2012 jährlich, veröffentlicht unter dem Titel „Deutsche Zustände“. Seit 2013 werden sie alle 2 Jahre als „Mitte-Studien“ publiziert.]] Manche Urteilsformen sind dabei konstant (Rassismus), manche nehmen ab (Homophobie und Sexismus), vor allem die Abwertung asylsuchender Menschen sticht der Häufigkeit nach heraus und nimmt seit dem Sommer 2015 zu (92ff.).
Die unterschiedliche Häufigkeit und die Veränderung der Häufung spricht einerseits dagegen, dass man es mit einem Syndrom zu tun hat. Man kann nicht von einem gleichbleibenden Zusammenhang sprechen, der sich in den „Symptomen“ zeigt, wenn die „Symptome“ gar nicht gleichbleibdend auftauchen. Den machen Heitmeyer et. al. aber aus. Der Kern bestehe in der Ideologie der Ungleichwertigkeit. Da alle aufgeführten „Vorurteilsformen“ die beurteilten Gruppen negativ bewerten, ist die Ungleichwertigkeit als gemeinsamer Nenner einerseits fast eine Tautologie. Andererseits könnte die Liste der Abwertungen auch leicht erweitert werden: Wenn man in Berlin eine Umfrage zu Schwaben machen würde, käme ein hoher Prozentsatz an Abwertung heraus. Was hält man von Nazis, von der Mafia, überhaupt von Verbrecher*innen, von Politiker*innen, von Menschen, deren sexuelle Orientierung sich auf Kinder richtet, von Vergewaltiger*innen, Polizei (Bullen) – das alles wären Fragen, die ebenfalls in der Bevölkerung hohe Raten an Zustimmung für abwertende Urteile erhalten würden.
Kurzum: Das Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist eine tautologische Konstruktion. Einerseits soll das Syndrom ein Set von Abwertungen bestimmen, das einen inneren Kern habe, der aber nicht das rechte Denken selber ist. Zugleich ist an der Auswahl der Abwertungen ersichtlich, dass hier nur abwertende Haltung zu solchen Gruppen einfließen, die für das gefestigte rechte Denken eine größere Rolle spielen und nicht zugleich auch für linke Parteien und Gruppen.
Die Studien „Deutsche Zustände“ und „Mitte-Studien“ haben einen Verdienst: Sie machen anschaulich wie verbreitet zentrale Themen des rechten Denkens in der Bevölkerung vorhanden sind, ohne dass die Menschen auch die AfD, sondern andere Parteien wählen. Dann müsste man fragen, was sich die Leute damit alles so in der Gesellschaft falsch erklären und welche gesellschaftlichen Grundlagen dieses Denken hat. Die Antwort muss dann in der Demokratie zu finden sein, wie sie bis zur AfD ohne große Erfolge rechter Parteien in Deutschland funktioniert hat. Davon getrennt wäre die Frage zu beantworten, warum die aufgeführten Abwertungen im gefestigten rechten Denken eine große Rolle spielen. Da wäre dann der drohende Untergang des Volkes die zentrale Kategorie, von der aus sich dann die zwölf aufgezählten politischen Felder einer Gegnerschaft gegen bestimmte Gruppen erklären würden.
{{{Woher kommt die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?}}}
Einerseits muss man sagen: Das Buch gibt darüber keine Auskunft.
Anderseits gibt das Buch polit-ökonomische und sozialpsychologische Faktoren an, die förderlich für die Ausbreitung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sein können:
„Immer wieder wurde ein enger Zusammenhang zwischen solchen Verunsicherungen und Elementen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sichtbar; zu nennen sind hier insbesondere Fremden- und Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus sowie Rassismus.“ (47)
„So unterschiedlich die drei kurz angerissenen theoretischen Zugänge (…) sein mögen, unterstreichen sie doch die problematischen bis zerstörerischen Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus auf die Integrationsqualität der Gesellschaft und auf die Politik. In einer solchen Situation können sich autoritäre Versuchungenen herausbilden, die auf den Verlust sicherheitsstiftender Koordinaten, auf anomische Gefühle der „Standortlosigkeit“, auf Statusbedrohungen, sozialer Abstieg (bzw. die Angst davor) und auf Kontrollverlust reagieren. Neben einem unterwürfigen Autoritarismus bilden sich neue Formen wie der anomische und machtbewusste Autoritarismus heraus.“ (50f.)
[[„{Anomie bezeichnet in der Soziologie einen Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnung}.“ (Wikipedia – Anomie)]]
Die Übertragung von ehemals staatliche Aufgaben an das Kapital, die Umstellung der Sozialhilfe auf Fordern und Fördern, die Aufforderung sich auch ohne jedes Eigentum als (Ich-)Unternehmerin zu betrachten, schaffe allseitige Unsicherheit und das Gefühl, dass die Politik einen nicht mehr beachte. Die Abstiegsängste seien dann ein Motor für die zwölf erwähnten Abwertungen als Gesamtpaket des Syndroms.
Heitmeyer et. al. stehen hier ganz in der Tradition von Adorno, der ebenfalls auf den Zusammenhang von Deklassierung und rechtem Denken hingewiesen hat. Eine Kritik an dieser Theorie, findet sich in einem Text von den Gruppen gegen Kapital und Nation, der sich mit Adornos „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ beschäftigt. [[Erscheint demnächst auf http://gegner.in.]] Sie soll hier nicht wiederholt werden, vor allem deswegen, weil Heitmeyer et. al. am Ende explizit zugeben, dass mit dieser Theorie wiederum die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nicht erklärt ist. Wird der neoliberale Kapitalismus und die daraus folgende Orientierungslosigkeit zunächst noch als förderlich für die gruppenbezogene Menschlichkeit angeführt, geht das vorherige Zitat so weiter:
„Zusammen mit der ohnehin bereits existierenden gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vergiften diese Einstellungen das Klima in der Gesellschaft. Wahlpolitisch blieben sie so lange ohne Konsequenzen für das demokratische System, wie es keinen politischen Ort für sie gab. Mit der AfD steht seit 2015 ein solches Angebot bereit.“ (51)
Wiederum sind die abwertenden Einstellungen unterstellt und nicht erklärt. Noch ein letzter Hinweis: Die empirischen Studien von Heitmeyer beginnen erst 2002. In einer Passage weist er darauf hin, dass der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung gerade nach der deutschen Einheit stark vorhanden waren (153f.). Aber war in den Zeiten vor dem sogenannten Neoliberalismus die Abwertung von Gastarbeiter*innen, von homosexueller Orientierung oder der Sexismus geringer als in den Zeiten danach? Wir meinen nicht und damit sollte man sich endlich einmal von der Vorstellung verabschieden, dass Rassismus und Sexismus ein Widerspruch zur demokratischen Gesellschaften seien und anfangen sich zu erklären, was sie sind. Und bezogen auf die objektiven Bedrohungsallianzen muss man frei nach Horkheimer festhalten: Wer von der Demokratie nicht reden will, der sollte vom Faschismus schweigen. Dass z.B. der Rassismus oder die Fremdenfeindlichkeit „ohne Konsequenzen für das demokratische System waren“ oder sind, würden wir nämlich stark bestreiten. Als Formen der Legitimation von sozialen Hierarchien, sind sie eben auch ein großes Ja zu der Demokratie und die von ihr hervorgebrachten Hierarchien. Den größten Zwiebelring haben Heitmeyer et al. bei ihrem Buch einfach übersehen, weil sie ihn so gerne mögen.
„Rechte Bedrohungsallianzen“ – von Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer. Berlin 2020.