BRD: Anklage gegen einen Journalisten von Radio Dreyeckland (RDL) wegen Verlinkung des Archivs von linksunten.indymedia
„Indymedia linksunten wurde am 25. August 2017 vom Bundesinnenminister verboten. Die Seite bleibt als Archiv erhalten. Die einzigen Archive der Bewegungen haben die Bewegungen selbst hervorgebracht und niemand wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht selbst tun. Bewegungen müssen Spuren ihrer Leidenschaft für zukünftige Generationen hinterlassen, denn vergessene Kämpfe sind verlorene Kämpfe.“
Harte Zeiten erfordern unabhängige Medien! (Vorspann zum Archiv von linksunten)
Offensichtlich reicht es dem deutschen Staat nicht, nur den ehemaligen HerausgeberInnen-Kreis von linksunten.indymedia ausgeschaltet zu haben, sondern die Staatsanwaltschaft Karlsruhe (BRD) will nun auch – in Form des Strafverfahrens gegen Fabian von Radio Dreyeckland (Freiburg) – den blossen Hinweis auf deren Archiv bestrafen.
Die ‚Tat‘: Verlinkung zum Archiv von linksunten
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat Anklage gegen den Journalisten von Radio Dreyeckland erhoben (RDL vom 02.05.2023; vgl. die Presseschau bei publikum.net vom 10.05.2023). Sie wirft ihm in Bezug auf diesen Artikel der Webseite des Freien Freiburger Radiosender vor,
„bei der Vornahme der Veröffentlichung zumindest billigend in Kauf genommen [zu] habe[n], dass durch die von ihm gewählte inhaltliche Gestaltung und die darin eingebettete Verlinkung des vollständigen Vereinsarchivs die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ über eine bloße journalistische Berichterstattung hinaus weiter beworben und gefördert wurden. Dies ist strafbar gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB.“ (Auskunft der Staatsanwaltschaft Karlsruhe lt. taz-Blogs vom 05.05.2023; herv. von mir)
Schauen wir uns § 85 Absatz 2 des deutschen Strafgesetzbuches mal etwas genauer an:
„Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (herv. von mir)
Aus dem „organisatorischem Zusammenhalt“ macht die Staatsanwaltschaft Karlsruhe also eine [geistige] Bestrebung und aus dem „Unterstützen“ wird ein „Bewerben“.
Worin besteht die juristische Problematik?
Der „organisatorische Zusammenhalt“ kann natürlich nur befördert werden, wenn die Vereinigung (in welcher Organisationsform auch immer) auch existiert. Gerade dies ist aber bei linksunten nicht der Fall, wie selbst das Bundesministerium des Inneren (BMI) bestätigt (s. taz-Blogs vom 11.02.20231).
Und das Bewerben ist ausdrücklich von der Strafbarkeit ausgenommen worden: „Verzichtet wurde auf die im Reg[ierungs]-E[ntwurf] noch genannte Begehungsform des Werbens.“ (Bundestags-Drucksache V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 6).
Eine Verurteilung würde also bedeuten, dass die Strafbarkeit nicht gesetzlich, sondern gerichtlich bestimmt werden würde – und dass die Strafbarkeit nicht vor, sondern nach der Tat – nach Schreiben des Artikels – festgelegt werden würde.
Beides würde gegen Normen, die gemeinhin mit dem schillernden Wort „rechtsstaatlich“ bezeichnet werden, verstossen: nulla poena sine lege scripta et stricta (Keine Strafe ohne geschriebenes und ausdrückliches Gesetz / strafrechtliches Analogieverbot) / nulla poena sine lege praevia (Keine Strafe ohne der ‚Tat‘ vorausgegangenem Gesetz)2.
Ein Bild als Straftat?
Weiter wurde in dem betreffenden RDL-Artikel ein Foto verwendet, dass die Parole zeigt: „Wir sind alle linksunten.indymedia“. Diese Foto zusammen mit der Verlinkung des Archivs soll die tendenziöse Schlagseite des Berichts ausmachen (vgl. nd vom 02.05.2023: „Staatsanwalt wittert journalistische ‚Einseitigkeit‘“)
In Wirklichkeit steht aber unter dem Foto: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform“.
Wie man daraus eine tendenziöse Schlagseite entnehmen kann, bleibt wohl das Geheimnis der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Im übrigen ist sog. „Tendenzfreiheit“ (was nicht ‚Freiheit von Tendenz‘, sondern die autonome [freie] Festlegung der politischen Tendenz von Medien [Blattlinie] meint3) gerade ein wichtiges und anerkanntes Element von Rundfunk-4 und Pressefreiheit5.
Strafbarkeit der Verlinkung des Archivs eines internet-Portals, das laut Bundesverwaltungsgericht NICHT verboten ist?
Aber es geht noch weiter: Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ignoriert, dass das Bundesverwaltungsgericht 2020 (zum 2017 vom Bundesinnenministerium verfügten ‚linksunten-Verbot‘) entschieden hat, dass nicht die Medienplattform linksunten das Verbotsobjekt sei, sondern der BetreiberInnenkreis:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).
Wer immer dieser Betreiberinnenkreis auch gewesen sein mag – und wie er sich organisiert hatte –, seine geistigen Produkte in Form von im internet lesbaren Artikeln unterliegt dem Schutz der für sie einschlägigen Grundrechte aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz der BRD (Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit):
„Eine Meinungsäußerung kann sehr gute Wirkungen haben, kann aber auch alle Rechtsgüter von Staat und Gesellschaft schwer schädigen. Solange diese Gefährdung nur geistiger Natur ist, indem sie durch ungünstige Beeinflussung der Mentalität der Leser, Hörer oder Beschauer das Vertrauen zu bisher anerkannten Wahrheiten, als feststehend und richtig angenommenen Erkenntnissen oder herrschenden Sittengesetzen irgendwelcher Art erschüttert und dadurch vielleicht geistig den Boden für eine Änderung der bestehenden Anschauungen über Recht und Sitte vorbereitet, soll sie mit Rücksicht auf die guten Wirkungen der freien Meinungsäußerung, ohne die kein menschlicher Fortschritt denkbar ist, in Kauf genommen werden. […] die Freiheit der Meinungsäußerung [hat] vor allen Rechtsgütern solange den Vorrang […], als der Angriff auf sie lediglich mit dem ideellen Mittel sachlicher Überzeugung geschieht, […] umgekehrt [hat aber] jedes Rechtsgut seinerseits vor der Freiheit der Meinungsäußerung Vorrang […], sobald die Meinungsäußerung sich nicht auf ideelle Wirkungen beschränkt, sondern gleichzeitig auch materiell Rechtsgüter verletzt oder unmittelbar gefährdet.“6
Der Jurist als Staatsanwaltschaft im Wortsinne – wie Staatsanwalt Graulich7 das Erzählen linker Geschichte bestrafen will
Hinzukommt, dass diese Artikel nicht (nur) vom Betreiberinnenkreis kamen (dies sogar eher selten), sondern überwiegend von den Lesern (open posting Plattform). Das heisst, eine Zurechenbarkeit von Inhalten und HerausgeberInnen dürfte eher schwierig herstellbar sein. Natürlich könnte – im Rahmen einer staats-immanenten Argumentation gesagt werden – strafbare Inhalte hätten geblockt werden können; aber auch das würde kein generelles „Mediums-Verbot“ rechtfertigen. Überhaupt lässt das Grundgesetz der BRD gar keine Mediumsverbote zu8):
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ (Artitkel 5 BRD-GG; herv. von mir)
Eine Zensur findet nicht statt. Punkt. Ein Verbot des künftigen Erscheinens von linksunten.indymedia würde also das Zensurverbot verletzten; dass linksunten – mit neuem HerausgeberInnenkreis – trotzdem nicht längst wieder erscheint, ist ein politisches Problem der linken Bewegung(en).
Was nachträgliche Einschränkungen von Meinungsäußerungen und Presseberichterstattung anbelangt, kommen nur nur die sog. „allgemeinen Gesetze“9, die gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und die persönliche Ehre als Grundlage in Betracht. Das heißt: Es müsste, wenn dann jeder einzelne linksunten-Artikel darauf hin geprüft werden, ob gegen ihn auf der Grundlage der genannten BRD-Normen vorgegangen werden darf. Aber auch daraus ergäbe sich immer noch kein generelles ‚Mediumsverbot‘.
Die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit schützt auch das Betreiben und den Zugang zu Archiven und die Herausgabe von Quellensammlungen
Außerdem beziehen sich die Schranken in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz der BRD nur auf die dort vorstehenden Rechte in Absatz 1, aber nicht auf die erst nachfolgenden Rechte in Absatz 3 (anderenfalls würde der tatsächliche zweite Absatz erst am Ende von Artikel 5 stehen). Die Freiheit der Wissenschaft und Forschung – die kein exklusives ProfessorInnen- oder (etwas allgemeiner) AkademikerInnen-Recht ist – unterliegt den Schranken aus Absatz 2 also nicht. Zur Freiheit von Wissenschaft und Forschung gehört auch der Zugriff auf Archive und „Giftschrank“-Literatur sowie die Herausgabe von Quellensammlungen.
„Was die [Nachfolge-]Herausgeber [des Buback-Nachrufes10] getan haben, ist eines, und was sie gewollt haben, ist ein anderes, soweit es von dem, was sie getan haben, abweicht. Was sie getan haben, ist dies: Sie haben Texte verbreitet, die man unzweifelhaft verbreiten darf, weil sie selbst geschichtliche Tatsachen sind – die in diesem Land wenig genug gekannte Geschichte unterliegt nach der Rechtsordnung dieses Landes vorerst noch nicht strafrechtlich bewehrten Geheimhaltungspflichten –“.
(In Sachen „Mescalero“. Plädoyer vor dem Landgericht Bielefeld, in: Demokratie und Recht 1978, 224 – 229 [225])
Auch die bei linksunten.indymedia erschienen Artikel sind keine Staatsgeheimnisse, sondern Teile linker Bewegungsgeschichte – daher sei auch an dieser Stelle die URL des Archivs noch einmal genannt:
https://linksunten.indymedia.org/.
AUS ALL DIESEN GRÜNDEN DAR DER RDL-AUTOR NICHT VERURTEILT WERDEN!
SOLIDARITÄT ORGANISIEREN!
[1] Siehe dort Abschnitt: „BMI: „keine Erkenntnisse über eine Fortführung […] der […] Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“.[2] Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz der BRD)
[3] Es geht also um das Recht zur politischen Bewertung von berichteten Tatsachen.
[4] BVerfGE 12, 205 – 264 (260 f.); https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv012205.html#260, Texziffer 179.
[5]BVerfGE 80, 124 – 137 (133 f.); https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv080124.html#133; Textziffer 27 und BVerfGE 20, 162 – 230 [174 f.; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv020162.html#174; Textziffer 35: „Die Presse […] beschafft die Informationen [und] nimmt selbst dazu Stellung“.
Die zweite der in der hiesigen Fußnote genannten Entscheidungen ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Spiegel-Affäre, „bei der sich Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel aufgrund eines Artikels über die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik einem Ermittlungsverfahren wegen möglichen Landesverrats ausgesetzt sahen. Weite Teile der westdeutschen Öffentlichkeit sahen darin einen Versuch, eine missliebige Publikation zum Schweigen zu bringen“ [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Spiegel-Aff%C3%A4re&oldid=233635058].)
[6] Kurt Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutsches Staatsrechts. Zweiter Band, Mohr: Tübingen, 1932, 651 – 675 (660, 661); Hervorhebungen und Normalschrift hier teils abweichend vom Original.
[7] „Zuständig für die Anklage ist nach Informationen des ‚nd‘ der Staatsanwalt Manuel Graulich.“ (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172875.justiz-redakteur-von-radio-dreyeckland-angeklagt.html)
[8] Juristisch wichtig ist in dem Zusammenhang der Unterschied zwischen präventivem Vorgehen [Verbot oder Vorab-Kontrolle künftiger Veröffentlichungen = Zensur im rechtlichen Sinne] und anlass-bezogenem repressivem Vorgehen nach Erstveröffentlichung gegen einzelne Texte, die z.B. im Falle von Beleidigungen zulässig ist; siehe dazu: Warum das Verbot von linksunten.indymedia grundgesetzwidrige Zensur darstellt; https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/10/Unteilbar-Flugi.pdf.
[9] Siehe zu diesem umstrittenen Begriff den Anhang 2 des Artikels von Detlef Georgia Schulze bei publikum.net vom 10.05.2023: https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/ bzw. https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/05/publikum-Pressseschau%20zu%20Anklage.pdf, S. 13 – 15.
(10] Siehe zu diesem: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=G%C3%B6ttinger_Mescalero&oldid=231577259.
passiert am 13.05.2023