Ihr seid die Krise: Parkraumbewirtschaftung für die Verkehrswende?

Laut dem Berliner Koalitionsvertrag soll bis Ende nächsten Jahres im gesamten Gebiet des S-Bahn Rings Parkraumbewirtschaftung durch gesetzt werden. Die Stunde kostet zwischen zwei bis vier Euro. Ein weiterer Plan des Senats sieht in Zukunft sogenannte Scan-Fahrzeuge vor, die parkende Autos automatisch erfassen können. Politiker*innen begründen die flächendeckende Ausweitung auf alle Bezirke mit dem 2019 beschlossenen „Luftreinhalteplan“ und behaupten, dass durch Parkgebühren eine Reduzierung der Luftverschmutzung, ein Umsteigen auf den ÖPNV und mehr Parkflächen für Anwohner*innen erzielt werden würden. Sie sprechen davon, den Klimawandel damit aktiv aufhalten zu wollen und durch die Kosten dafür zu sorgen, dass Menschen auf ihr Auto verzichten. Doch wie in extrem teuren Park-Zonen-Städten wie München und Freiburg, lässt sich ablesen: wer Geld hat, kauft oder mietet sich Park- und Tiefgaragenplätze, kann sich ohne Probleme die Parkausweise für das ganze Jahr leisten oder parkt die drei Autos einfach auf dem Balkon oder dem eigenen Grundstück. Wer hinten runter fällt sind all jene, die dafür keine Kohle haben.
All jene, die aber auf ein Auto angewiesen sind, weil sie in der Innenstadt arbeiten, aufgrund ihrer Schichten nicht mit dem ÖPNV fahren können, aufgrund der schlechten Accesibility oder auch aufgrund fehlender Sicherheit vor allem Nachts nicht Bahn oder Bus fahren können, werden mit dieser Maßnahme weitaus mehr getroffen.

Es ist überall der gleiche Diskurs: Es wird propagiert wir alle müssten den Gürtel enger schnallen, beim Strom, Heizen, Reisen, Auto fahren und so weiter. Doch am Ende müssen all jene Unterdrückten dieser Erde das abfedern und dafür weiter schuften, dass die Reichen ihren Lebensstil aufrecht erhalten und ausweiten können.

Die Krise in der Parkraumbewirtschaftung zu sehen liegt für uns in der Einführung der Parkzone 77 im Berliner Wedding. Diese umfasst das Gebiet zwischen Seestraße, Müllerstraße, Fennstraße und Sylter Straße. Dort parken viele Mitarbeitende des Virchow-Klinikums, die im Schichtdienst arbeiten. Die betroffenen Pflegekräfte wissen nicht wie sie diese Mehrkosten bezahlen sollen. Es geht hier um 16 Euro pro Tag oder 80 Euro pro Woche, vorausgesetzt die Pfleger*innen leisten keine Überstunden.
Das Bezirksamt hatte anfangs von einer Ausnahmegenehmigung gesprochen, als sich Protest ankündigte und die Arbeitenden mit Kündigungen drohten. Bis heute wurde jeder Antrag abgelehnt mit der Begründung: Die Bedingungen für eine Ausnahmeregelung erforderten ein Schichtende nach 00:30 Uhr oder einen Beginn vor 05:30 Uhr. Somit können nur diejenigen im Nachtdienst umsonst parken. Und noch dazu hieß es tatsächlich vom Senat, die Arbeitenden könnten und sollten auf den ÖPNV umsteigen oder das Rad, das sei schließlich das erwünschte Ziel. Ob der Chefarzt auch auf den Bus umsteigen muss, bleibt reine Spekulation.
Wie ist zu verstehen, dass der Berliner Senat gerade den Pflegekräften weitere Steine in den Weg legt, ihren Beruf weiter aus führen zu können? Einfach damit, dass diejenigen, die sich schlecht wehren können, weil sie in diesem System keine Lobby haben, die Kosten für die „Klimawende“ bezahlen müssen.

Dass hunderttausende Pflegekräfte an Überlastung, Dauerstress und geringer Bezahlung mit ihrer eigenen Gesundheit bereits bezahlen, scheint hierbei auch nach Corona und all den Klatsch- und Dankbarkeitsbekundungen immer noch keine Rolle zu spielen.
Jede vierte Pflegekraft ist in Deutschland zur Zeit auf der Suche nach einem anderen Job.
Zwölf Prozent wollen in eine andere Tätigkeit im Gesundheitswesen wechseln, 16 Prozent sogar ganz raus aus der Branche. Noch schlimmer fällt die Überbelastung und Unzufriedenheit bei Intensivpflegekräften aus, bei denen die große Mehrheit die weitere Ausführung ihres Berufs infrage stellt.
Die Gründe liegen nicht in der Impfpflicht oder den Folgen des Corona-Notstandes sondern überwiegend in der bereits davor zu hohen Arbeitsbelastung, dem Gehalt, den Arbeitszeiten und der fehlenden Anerkennung.

Die Parkzone 77 ist seit dem 15. August 2022 in Kraft. Hunderte Pfleger*innen, Hebammen und weiteres Personal sind davon betroffen hunderte Euros pro Jahr für das Auto mehr auszugeben, da sie schlicht keine Wahl haben auf Öffis umzusteigen.

Statt Pfleger*innen zuzuhören, was sie brauchen, um diesen harten Job auszuführen und es ihnen zu geben, wird weiter an dem Unternehmen Krankenhaus gespart, so dass die Pflegekräfte damit zu kämpfen haben, das Gefühl aufgedrückt zu bekommen, die unzureichende gesundheitliche Versorgung ihrer Patient*innen mit zu verantworten.

Die Krise liegt im System und in diesem Fall zeigt sie sich an der Parkraumbewirtschaftung: einem Modell, das die Kosten und Verantwortung für die Verkehrswende ein weiteres Mal bei den prekär Beschäftigten ablädt.

Daher haben wir 14 Parkautomaten in den anliegenden Straßen des Virchow-Klinikums mit Farbe von oben bis unten bemalt und sie hoffentlich viele Tage außer Betrieb genommen.

 

siehe auch:

Ihr seid die Krise: Parteibüro der Grünen eingeworfen

Ihr seid die Krise: Auto der oberen Verwaltungsebene angegriffen

Ihr sei die Krise: Butler für Niemanden!

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