Der „Volksentscheid“ wird durch niemanden umgesetzt werden, außer durch die Wut der Straße
In der Nacht auf den 24. Februar wurde ein Büro der Deutsche Wohnen in der Sodtkestraße, Prenzlauer Berg, dem Corporate Design der DW-Enteignen-Kampagne angepasst. Die Straßenfront ist nun großflächig in gelb und lila eingefärbt und der seitliche Zugang hat seine Scheiben klirrend eingebüßt.
Im Rahmen der Bundestagswahl wurde Ende September 2021 über die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ abgestimmt. Dass der Begriff enteignen nicht zu den Zielen der Kampagne passt und bewusst in die Irre führt, ist nicht neu (1). Hier wird eine Radikalität gegenüber den Wohnungskonzernen vorgetäuscht, die auf Stimmfang gehen und polarisieren soll. Die Kampagne sollte nach Aussagen ihrer Protagonist_innen zur Diskursverschiebung und der Wiederbelebung des Begriffes „Enteignung“ beitragen und die Stimmung der Menschen, die zur Miete leben, aufgreifen. Das nutzten auch Parteien wie „Die Linke“ aus, die die Kampagne als strategisches Mittel für ihren eigenen Wahlkampf nutzten. Dass die Kampagne obiges Ziel erreicht hat, war spürbar. Es waren viele Leute auf den Straßen, um über Wohnungskonzerne, steigende Mieten und Praktiken der Aufwertung zu diskutieren und auch in Freund_innenkreisen, Familien und den Medien wurde selten so oft über diesen Themenkomplex gesprochen. Doch stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Gewinn der Kampagne. Die „Aktivierung“ der Mieter_innen war auf die Abstimmung des Volksentscheids ausgerichtet – auf einen Tag, dem Wahltag. Und wie auch bei jedem anderen Ankreuzen ging es darum einen Auftrag an die Politik zu überreichen: Die Wut der Straße, das was all die Mieterinitiativen mühsam erkämpft hatten, was durch militante Kampagnen befeuert wurde, was die einzelne Mieterin durch Vernetzung in ihrer Hausgemeinschaft erreicht hatte, wurde nun gebündelt, verschnürt und mit großen hoffnungsvollen Augen an diejenigen überreicht, die in der Landesregierung sitzen, an diejenigen, die damals einen Großteil der Häuser, um die es geht, geradezu verschenkt hatten (2).
Die Argumente, die gegen die Ziele der Kampagne sprechen, wurden in zahlreichen Texten schon dargelegt und sollen nicht nochmal ausführlich behandelt werden. Genannt sei nur, dass natürlich auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit handeln, dass diese ebenso Zwangsräumungen durchführen und dass generell ein Ankauf der Wohnungen von Vonovia, DW und Co. zu einem Preis stattfinden soll, den diese Konzerne als Marktwert betrachten.
Ob wir die Kampagne zum Volksentscheid richtig und sinnvoll fanden oder nicht: Es bleibt festzuhalten, dass sie ihr erklärtes Etappenziel erreicht hat und zwar in einem Maße, das im Vorhinein keinesfalls absehbar war. Dies zu berücksichtigen, erscheint durchaus von Bedeutung wenn wir bestimmen wollen, wie eine autonome Positionierung in den Miet- und Häuserkämpfen dieser Stadt aussehen muss.
Der Erfolg von DWE wurde unter anderem mit viel PR und falschen Versprechungen erkauft und die Gründe weshalb Leute mit ‚Ja‘ gestimmt haben sind vielfältig. Es gibt keinen Anlass voller Euphorie eine massenhafte Mieter_innenbewegung heraufziehen zu sehen. Gleichzeitig ist es vermessen, die Hunderttausenden als naiv zu betrachten, und zu behaupten, sie seien den Bewegungsmanager_innen von DWE in eine vermeintliche Sackgasse gefolgt. Wir verstehen die 59% Ja-Stimmen vielmehr als Ausdruck der selben Situation, die dazu geführt hat, dass nach der Abschaffung des Mietendeckels – zum ersten Mal seit langem – spontan Tausende auf die Straße gegangen sind und die wir bei unseren Freund_innen und Nachbar_innen seit Jahren erleben: Die Miete wächst uns stetig aber sicher über den Kopf, viele sind wütend, noch mehr sind verzweifelt, viele werden verdrängt und wohnungslos. So weiter geht es nicht, es muss sich was ändern, wie und wohin dürfte den wenigsten klar sein, Hauptsache: in der eigenen Wohnung bleiben und runter mit der Miete.
In dieser Lage, die mittlerweile für fast alle, denen wir uns verbunden fühlen, eine existenzielle Bedrohung darstellt, bot DWE einen Bezugspunkt und dieser steht jetzt als „Volksentscheid“ schwarz auf weiß auf dem Papier.
Was passieren wird…
… oder warum ist es eigentlich so still um den Volksentscheid?
Damit ihr es nicht selber nachschauen müsst: Das sagt die neue Landesregierung offiziell zu ihren nächsten Schritten:
„Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein. Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens. Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft. In den ersten 100 Tagen beschließt der Senat über die Einberufung, Beauftragung und Besetzung der Expertenkommission anhand einer Beschlussvorlage. Dabei setzt die Koalition auf externe fachliche Expertise.“ Weiter soll es um Verfassungskonformität gehen, es wird eine Geschäftsstelle für die Expert_innen eingerichtet und [Trommelwirbel und Paukenschlag]: „Der Senat wird die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung [..] gewichten und bewerten.“
Und eben so konkret wird vermutlich: eingeflossen, berücksichtigt, evaluiert, geprüft, definiert, verständigt, entwickelt, verbessert, vorgelegt, einberufen, angeboten, verlängert, geregelt, verpflichtet und mit viel Glück verantwortungsvoll umgegangen.
Der Volksentscheid ist so wie er vorliegt ein Vorschlag, der von all denen, die unterschrieben haben, an die Landesregierung überreicht wurde. Die Politik soll damit jetzt „verfahren“. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Es ist kein prinzipieller Zynismus, der uns bewegt, rein gar nichts von parlamentarischen Prozessen zu halten. Was kommen wird ist schlicht: business as usual. Verändern wird dieser Appell faktisch nichts an der Prekarität der Berliner Mieter_innen. Denn innerhalb des Systems in dem Wohnraum eine Ware ist, führt Eigentum an dieser Ware zu dem Interesse an Wertsteigerung und Konkurrenz um Wohnraum.
Aus diesem Kreislauf auszubrechen geht unserer Meinung nach nicht durch die Mechanismen dieses Kreislaufs. Braucht es dafür die schlichten Beispiele der anderen Volksbegehren in Berlin oder das Bilderbuch-Beispiel der OXI-Bewegung in Griechenland, die aus dem System ausbrechen wollte – um den Verrat an einer wählenden und hoffenden Masse aufzuzeigen? Oder reichen die Lehren der Berliner Hausbesetzerkämpfe, die uns zeigen wie Staat und Kapital sich Wege bahnen werden die Bewegung zu spalten? Die Spaltung verlief zwischen Befriedeten, die belohnt wurden und weiterhin Radikalen, die isoliert wurden und dazwischen diejenigen, die bis heute glauben, um Mehrheiten zu gewinnen, müsse man diesen das faule Argument verkaufen, dass auch innerhalb staatlicher Politik ihre Bedürfnisse gehört würden. Das ist auch unsere Prophezeiung der folgenden Prozesse um die Kampagne.
Die Akteur_innen – Das Lager der Lobbyist_innen der Immobilienwirtschaft, deren Motto: Its all about the profit; Die Landesregierung, mit dem Motto: Wär schön, wenn die ganze Aufwertung nicht auf Kosten der Mieter_innen und unserer Wähler_innen ginge; und zuletzt das Lager der DWE-Kampagne, mit dem Motto: Besser sind landeseigene Wohnungsbaugesellschaften Eigentümer_innen an unserem Zuhause, als die Privatwirtschaft – werden in der Öffentlichkeit zuallererst versuchen ihr Gesicht zu wahren, heißt: ihrem Motto treu zu bleiben.
Erstere werden auf der legalen Ebene versuchen die Machbarkeit des Ganzen, wie auch beim Mietendeckel, juristisch zu widerlegen und drohen mit Klagen. Auf der nicht-öffentlichen Ebene werden sich die dicken Fische damit beschäftigen Lobbyarbeit zu machen: Peu à peu Presseartikel einstreuen, Radiointerviews, Kunst- und Kulturevents, über beispielsweise den menschenfreundlichen Konzern Vonovia oder die Bereitstellung einer Obdachlosenunterkunft. Sie werden sich mit den Politiker_innen zusammen setzen, je nach Ziel, vor und hinter geschlossenen Türen, um auszutarieren, wo gehobelt werden kann. Vielleicht entsteht eine Schmutzkampagne gegen mietenpolitische Akteur_innen, vielleicht werden Objekte und Grundstücke auf das Reißbrett geworfen, vielleicht wechselt Akteur_in A aus der Degewo ins Management von Akelius oder Politiker_in B wird ganz offiziell von Covivio bezahlt? Vor allem werden Informationen gesammelt und alles Kriegsgerät mobilisiert, um auf der einen Seite die Aktionär_innen und der anderen die Investor_innen ruhig zu stellen.
Und die Kämpfer_innen der Klemmbrettfront? Sie werden wohl nicht mehr als Statisten-Rollen in den Wirren dieses Machtkampfes erhalten, ein bisschen mehr, als diejenigen, die die Unterschrift setzten. Im besten Fall wird es nochmal eine Demo geben, um diese Menschen daran zu erinnern, dass sie es „geschafft haben“ und jetzt die Politik nur noch handeln muss. Und wer sich hervortun wird, als echauffierte „Expert_in“ an den runden Tischen und Kommissionen, mit wutentbrannten Reden, über die Untätigkeit wahlweise der SPD, ähnlich der Klima-Robin Hood und Presseliebling, Luisa Neubauer, wird sich zeigen. Und wie viel diese Charaktere bereit sind für ihre Karriere zu opfern und inwiefern die Ideale von Gruppen wie der IL daran zerbrechen werden, die Kompromisse des Senats vor den „Wähler_innen“ zu rechtfertigen, können wir ebenfalls nur vermuten.
Doch nüchtern betrachtet, wird es in Zugeständnissen münden, Teilerfolgen, Absichtserklärungen und Bekundungen, weitere Instrumente zu prüfen.
Auch wenn der Erfolg der Kampagne nur daran gemessen werden soll, dass diese x-Milliarden ausgegeben werden und 240.000 Wohnungen (3) in der Hand der Landesregierungen landen, glauben wir nicht, dass es zu diesem „Erfolg“ der Kampagne kommen wird, wenn die Umsetzung von nun an Kommissionen dieser Regierung überlassen wird.
Was passieren muss…
… oder wie ein Volksbegehren auch aussehen könnte.
Wie bereits erwähnt: Ein massenhaftes Aufbegehren gegen die Zumutungen des Wohnungsmarktes steht auch bei einem eingestampften Volksentscheid nicht vor der Tür. Dennoch: Jeder vergangene Monat mit neuen Vertagungen und Nebelkerzen wird die Kumpanei von Senat und Immobilienlobby mit den Karrierist_innen in DWE offensichtlicher erscheinen lassen, Frustration und Misstrauen in alle Beteiligten zunehmen.
In einer solchen Situation wird es darauf ankommen, die Befriedungsstrategien und Scheinangebote von Senat und Eigentümerlobby zurückzuweisen und die vorhandenen Tendenzen der Wut und Politikverdrossenheit in selbstorganisierte und offensive Bahnen zu lenken. Nicht mit dem Versprechen dadurch eine Umsetzung des Volksentscheides erreichen zu können, sondern als Geländegewinn für eine antagonistische Mieter_innen- und Wohnungslosenbewegung.
Eine unserer Überzeugungen war schon immer, dass es abseits des reformistischen Weges Aktionen braucht, um seine_ihre eigene Involviertheit zu erleben, um mit anderen in den Kämpfen zu wachsen und wirklich Veränderungen einzufordern, statt darauf zu setzen, dass Politiker_innen unsere Interessen durchsetzen. Wir wollen die Wut, Enttäuschung und Ohnmacht der Menschen aufgreifen, die vor einem Jahr die Briefe in der Hand hielten, dass ihre Miete nun doch nicht verringert wird und utopische Nachzahlungen anstehen. Das Kreuz auf einem Wahlzettel, ist für uns kein Zeichen für die Bereitschaft sich einzumischen und wir glauben nicht daran, dass Menschen durch das Ritual einer Wahl politisch eingebunden werden.
Umso wichtiger finden wir es, dass auch all jene, die der Enteignen-Kampagne nie etwas abgewinnen konnten, sich wieder verstärkt ins Gemenge werfen und die Basisarbeit und aktionistischen Interventionen fortführen, die die Wohnraumfrage vor Jahren erst auf die politische Karte Berlins gesetzt haben.
Zu tun gäbe es vieles, eine Auflistung der Möglichkeiten wollen wir hier gar nicht erst versuchen, wir sind da auch nicht schlauer oder einfallsreicher als ihr. Wichtiger als die Frage ob wir nun Propaganda an Hauswänden und in Briefkästen machen, mit nächtlichen Aktionen einen Konflikt zuspitzen oder in Kiezinis aktiv sind, finden wir die grundlegende Haltung und Botschaft unseres Handelns: Dass ein objektiver Widerspruch zwischen den Interessen der Mieter_innen/Wohnungslosen und den Interessen von Senat und Wohnungswirtschaft besteht und wir in diesem Konflikt nichts zu erwarten haben, was wir uns nicht selbst erkämpfen.
Das Potential der daraus entstehenden Auseinandersetzungen ist nicht zu unterschätzen. Die Gegenseite ist sich dessen durchaus bewusst, nicht umsonst ist der ehemalige Innensenator und Räumungs-Dirigent Andreas Geisel (SPD), jetzt Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen.
Inwieweit wir dabei in der Lage sein werden, dem widerständigen Teil dieser Stadt auf Augenhöhe zu begegnen, unsere Kämpfe zu teilen und der Wut den Weg zu ebnen, wird sich zeigen müssen.
Wir haben allen Grund wütend zu sein. Und dies nicht nur auf Twitter, sondern im Alltag, auf der Straße und überall. Ein gutes Beispiel war die Reaktion nachdem der Mietendeckel gekippt wurde. Innerhalb weniger Stunden sind in Berlin über 10.000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Das war was! Leute haben es an sich selbst gespürt, dass sie betroffen sind und was tun müssen. Und sie haben auf der Straße Menschen gefunden, denen es so geht wie ihnen, die auch verdammt sauer waren. Und vielleicht haben sich Menschen in ihren WGs oder Innenhöfen danach darüber unterhalten, was dagegen unternommen werden muss. Was gibt es Schöneres? Und was macht den Politker_innen mehr Angst, als wenn wir uns zusammen schließen, unsere Lage erkennen und Pläne schmieden, ohne sie einzubeziehen? – Am Ende nur 10.000 Menschen, die nicht nur wütend sind, sondern auch wissen an wem sie ihre Wut auszulassen haben.
Den Widerspruch zwischen Kapital und einem Leben nach unseren Bedürfnissen, können wir nicht zur Debatte stellen. Er muss aufs Schärfste bis auf die Spitze getrieben werden, dass er zerschellt. Das schaffen wir nur, durch praktische Arbeit, in gemeinsamen Kämpfen, Gesprächen, Erlebnissen, in Solidarität und dem Vertrauen in unsere Bewegungen.
AutonomeGruppe Stadtentwicklung
(1) Sammlung vieler Texte zur Kritik an DWE:
vonovia-broschuere-weblq.pdf [kopiert zu kontrapolis hier] (7MB)
vonovia-broschuere-druckhq.pdf (50MB)
(2) Das Land Berlin verscherbelte 2004 unter einer rot-roten Koalition damals rund 65.000 GSW-Wohnungen für einen lächerlichen Preis und Rot-Rot-Grün kauft aktuell viele dieser Wohnungen für das fünffache zurück. So vielleicht auch im Rahmen des Volksentscheids.
(3) Betroffen sind rund 240.000 Wohnungen von Deutsche Wohnen, Vonovia, Adler, Covivio, Akelius, Heimstaden und Grand City.Fusion