Erinnern heißt kämpfen! Bericht über die Gedenkveranstaltung für die ermordeten Jüdinnen und Juden des Rigaer Ghettos am 30.11.2021 in Berlin-Friedrichshain

„Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“

Theodor W. Adorno

Und das bedeutet, nicht nur in der Rigaer Straße oder heute, sondern überall und immer an die deutschen Verbrechen zu erinnern und wachsam zu sein, dass sie sich niemals wiederholen können.

Aus einem Redebeitrag an der Gedenkdemonstration „Wir erinnern der vermoderten Jüdinnen und Juden aus dem Rigaer Ghetto

Am 30. November 1941 und am 8. Dezember 1941 wurden 27000 Jüdinnen und Juden von Deutschen Tätern und ihren Verbündeten im Baltikum ermordet. Zum 80ten Jahrestag dieses antisemitischen Verbrechens organisierte die Stadtteilinitiative „Wir sind alle Friedrichshain“ am 30.11.2021 eine Gedenkkundgebung im Friedrichshainer Nordkiez an der Ecke Rigaer Straße/Ecke Liebigstraße. Diese geschichtspolitische Intervention in einem Kiez, der seit Jahren für linke Hausprojekte und Proteste gegen Gentrifizierung steht, wurde von einen Mitglied der Gruppe auf der Veranstaltung so begründet:
Wir, d.h. die Gruppe, die dieses Gedenken heute organisiert hat, sind nur zufällig durch einen Artikel auf die Ereignisse gestoßen. Eigentlich machen wir politische Nachbarschaftsarbeit zum Thema Verdrängung, vor Allem hier im Nordkiez in Friedrichshain. Wir sehen es aber nicht als Widerspruch an, uns auch hier zu engagieren im Sinne einer geschichtspolitischen Intervention.

„Zum Einen, weil wir feststellen, dass bisher in der Rigaer Straße, dem Zentrum unseres Kiezes, nichts an den zehntausendfachen Mord von vor 80 Jahren erinnert – allerdings gibt es an 2 Häusern Plaketten, die an Antifaschisten erinnern, die von den Nazis ermordet wurden, zB direkt hier an der Rigaer 94.
Und da sind wir beim zweiten Grund, warum wir heute hier sind:
Und zum Anderen, weil die Geschichte zeigt, dass Antifaschismus ein unbedingtes Erfordernis ist.“

Ein Redner der Friedrichshainer VVN-Bund der Antifaschist*innen erinnerte daran, dass im Baltikum noch immer SS-Verbände und ihre örtlichen Unterstützer geehrt werden. Transnationale Proteste gegen die Ehrung für Judenmörder wurden kriminalisiert. So wurden 2016 Antifaschist*innen aus Deutschland, die die lettischen Genoss*innen bei ihren Protesten gegen die Aufmärsche unterstützen wollten bei der Ankunft am Flughafen aus Riga ausgewiesen.
Im Anschluss wurde ein Text von Margers Vestermanis verlesen. Er hat im kleinen Ghetto in Riga, in dem die Mitglieder der Arbeitskommandos eingepfercht waren, die Ermordung seiner Familie vor 80 Jahren überlebt. Während eines Todesmarsches ist ihm die Flucht gelungen, er hat sich einer Partisanengruppe angeschlossen und so die Deutschen bis zur Befreiung bekämpft.Später wurde er zum wichtigsten lettischen Historiker, der über den Holocaust forscht.
Im Anschluss wurden die 68 Namen von Jüdinnen und Juden verlesen, die mit dem Transport am 30.11.1941 in Riga ankamen und ebenfalls vor 80 Jahren im Wald von Rumbula ermordet wurden und zumindest zeitweise in Friedrichshain gewohnt haben. Für sie und weitere unbekannte Opfer wurde danach ein Gedenkzeichen an den Straßenschildern angebracht. Im Anschluss wurde der Film „Wir haben es doch erlebt -das Ghetto von Riga“ von Jürgen Hobrecht gezeigt, der Anfang der 1900er Jahre Interviews mit Überlebenden der Mordaktion und deren Angehörigen geführt hat. An zentraler Stelle wird dort auch Margers Vestermanis interviewt. Der Film wird am kommenden Donnerstag, den 9.12. um 18 Uhr im Stadtteilladen Zielona Gora in der Grünbergerstraße 73 noch einmal gezeigt.

Es war erfreulich, dass sich ca. 60 Menschen an der Gedenkveranstaltung beteiligt haben. Wir finden es wichtig, unsere Kämpfe gegen die Zumutungen des kapitalistischen Alltags im Stadtteil mit solchen geschichtspolitischen Interventionen zu verbinden. Denn der Kampf gegen alle Formen von Faschismus und Antisemitismus damals wie heute sollte Grundlage unserer Arbeit sein.

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passiert am 30.11.2021